"Hatte dieser Wohnungswechsel irgendeinen bestimmten Grund?", fragte ich.
"Hören Sie, ich bin hier nur Hausmeister und Mädchen für alles. Genauer gesagt kümmere ich mich um alles, worum sich sonst niemand kümmert. Aber ich bin keiner, der seinen Boss ausfragt!"
6
Jack McCall wirbelte herum, als er den ohrenbetäubenden Krach hörte. Jemand hatte brutal die Tür seiner Wohnung in Yorkville aufgetreten.
Ein maskierter Mann stürmte herein. Er trug eine Micky-Maus-Maske aus Gummi, die sein gesamtes Gesicht verdeckte. Mit beiden Händen umklammerte der Eindringling den Griff einer Beretta, deren Lauf direkt auf McCalls Kopf zielte.
Ein zweiter und ein dritter Mann kamen herein. Jedenfalls nahm McCall auf Grund ihrer Körperformen an, dass es sich um Männer handelte.
Von den Gesichtern konnte er auch bei ihnen nichts sehen.
Einer trug eine Goofy-Maske, der dritte eine Maske mit dem Gorilla-Gesicht von King Kong.
McCall erhob sich aus seinem Sessel. Er stellte die Budweiser-Dose auf den niedrigen Tisch. McCall war selbst nicht gerade klein. Früher war er aktiver Wrestler gewesen.
Seine verkrüppelten Ohren, der unübersehbare Knick in seiner Nase und die Tatsache, dass in seinem Mund die Farbe Gold vorherrschend war, belegten das eindrucksvoll. McCalls aktive Zeit war natürlich längst vorbei. Aber für einen Fünzigjährigen war er immer noch gut im Training. So leicht konnte es keiner mit ihm aufnehmen.
Gegen drei Gegner hatte er bei Schauveranstaltungen schon gekämpft.
Aber gegen drei Bewaffnete, das war etwas anderes.
Und sie trugen alle drei Berettas.
Der Mann mit der King Kong-Maske war damit beschäftigt, die Tür notdürftig wieder zu schließen.
Musste ja nicht jeder, der durch den Flur ging, hineinschauen.
"Hier hast du dich also verkrochen, du Ratte!", zischte Micky Maus dumpf unter der Maske hervor. "Hast wohl gedacht, wir finden dich nicht, was?"
"Hört mal, ihr..."
"War 'ne Kleinigkeit für uns!"
"Wer seid ihr?", fragte McCall.
"Spielt doch keine Rolle, oder?"
"Schickt Sly Jordan euch?"
"Der, der uns schickt, macht sich Sorgen um dich", sagte jetzt King Kong, der seine Arbeit an der Tür beendet hatte.
McCall versuchte, seine Chance abzuschätzen. Er wusste, dass sie denkbar schlecht standen.
Die drei verteilten sich im Raum. Von jeder Seite der Lauf einer Beretta. Eine falsche Bewegung und ich bin ein Sieb, dachte McCall.
"Was wollt ihr?"
"Dir ein bisschen den Ernst der Lage klarmachen, McCall!", grunzte King Kong unter seiner Maske hervor.
Der Goofy-Mann lachte dazu dumpf.
Micky Maus machte einen Schritt nach vorn. "Schön stehenbleiben!", zischt er an McCall gewandt. Er drückte ihm den Lauf der Beretta an die Schläfe. Der Ex-Catcher geriet ins Schwitzen. "Rühr dich auch nur ein einziges Mal und du hast keinen Kopf mehr", zischte es unter der Micky Maus-Maske hervor.
McCall schluckte.
"Hört mal, man kann über alles reden..."
King Kong trat auf McCall zu.
Er warf Goofy seine Beretta zu. Der fing sie auf. Dann schnellten King Kongs Fäuste vor. Eine bohrte sich in McCalls Magengrube. Er krümmte sich, wurde aber sogleich wieder hoch gerissen, als der nächste Schlag sein Kinn traf. McCall flog nach hinten und drückte mit seinem Körpergewicht den niedrigen Wohnzimmertisch platt. Ehe er sich auch nur einmal rühren konnte, bekam er von dem Mann mit der Goofy-Maske einen Tritt in die Nieren.
McCall stöhnte auf.
King Kong ließ sich die Beretta zurückgeben und lachte, bevor er von der anderen Seite zutrat.
McCall zuckte.
"Wir machen dich so fertig, dass du nie wieder auf dumme Gedanken kommst, McCall!", kündigte Micky Maus kalt an.
7
Die Adresse, die Speedy uns gegeben hatte, gehörte zu einem schon etwas in die Jahre gekommenen Mietshaus in Yorkville, 79. Straße. Vorwiegend wurden hier kleine Appartements für Singles vermietet, denen die City zu teuer war, die aber wegen ihrer Jobs darauf angewiesen waren, in Manhattan zu wohnen.
Schon als wir den Eingang betraten, hatte ich das Gefühl, dass hier etwas nicht stimmte.
Im Empfangsbereich stand eine Art Glaskasten, in dem normalerweise rund um die Uhr jemand darauf achtete, dass die Videoüberwachungsanlage funktionierte, sich nichts Ungewöhnliches ereignete und niemand ins Haus gelangte, der hier nicht hingehörte.
Aber in dem Glashaus schien niemand zu sein.
Auf den ersten Blick zumindest.
Papiere, Bewohnerliste und die Zeitung, die der Sicherheitsposten benutzt hatte, lagen überall verstreut.
Wir traten näher.
Ich sah ein paar Füße.
Reflexartig ging meine Hand zum Gürtel. Bei Milo war es dasselbe. Einen Sekundenbruchteil später hatten wir beide unsere Dienstpistolen vom Typ Sig Sauer P226 in den Fäusten.
Milo umrundete den Glaskasten mit schnellen, entschlossenen Schritten. Ich blickte mich derweil in Richtung des Treppenhauses und der Aufzüge um.
Milo hatte inzwischen das Büro des Sicherheitspostens betreten. Er beugte sich nieder.
"Bewusstlos!", rief er mir zu. "Bekam einen Schlag von hinten mit einem harten Gegenstand! Er blutet etwas..."
Ich machte eine Schritt nach vorn, so dass ich besser sehen konnte. Der Security-Mann hatte offenbar seine Waffe zu ziehen versucht. Jedenfalls lag sie auf dem Fußboden. Sein Büro war ein einziges Chaos. Die Telefonleitungen hatte jemand durchtrennt.
Ich zog mein Handy hervor und meldete den Vorfall an die Zentrale, um Verstärkung zu rufen. Die Zentrale würde auch die Kollegen der City Police informieren. Einen Notarztwagen bestellte ich ebenfalls zu dieser Adresse. Wir konnten nicht abschätzen, wie schwer es den Security-Mann erwischt hatte.
Milo stand vor den Bildschirmen der Video-Überwachungsanlage, die von einem Besucher, der außerhalb des Glaskastens stand, nicht eingesehen werden konnte.
"Die Videoanlage funktioniert", meinte Milo.
Wer immer hier auch eingedrungen war, er kannte sich aus.
Bei manchen Mietshäusern ist diese Überwachungsanlage nämlich mit einem automatischen Alarmsystem verbunden. Der Alarm wird ausgelöst, sobald die Anlage nicht mehr läuft.
Aber genau das hatten der oder die Täter offenbar unter allen Umständen vermeiden wollen.
Und auch der Zeitpunkt, den sie sich ausgesucht hatten, war denkbar günstig. Neunundneunzig Prozent der Bewohner waren zu dieser Tageszeit in der City und gingen ihren Geschäften nach.
"Da kommen drei Typen", sagte Milo. "Sie steigen gerade in den Lift ein."
"Du meinst, das sind sie?"
"Sie tragen Masken!"
"Na, dann werden wir sie mal gebührend empfangen!"
8