"Keine Ahnung. Ich habe William hinterher danach gefragt, ob es Ärger gäbe."
"Und? Was hat er geantwortet?"
"Er hat gesagt, ich solle mir keine Sorgen machen. Es sei nichts Ernstes. Allerdings habe ich ihm das nicht geglaubt."
"Warum nicht?"
"Weil er wie ein Verrückter hinter seinem Manager hertelefoniert hat."
"Hat er ihn erreicht?"
"Muss wohl. Am Tag darauf hat er sich mit Jim Jenkins, seinem Manager, getroffen. Es war hier in diesem Zimmer. Die beiden hatten etwas ziemlich Wichtiges zu besprechen, und mein Mann war sehr erregt."
Ich fragte: "Haben Sie davon etwas davon mitbekommen, worum es ging?"
Sie schüttelte den Kopf.
"Leider nein."
"Jim Jenkins war früher für Sly Jordan tätig, oder?"
"Das weiß ich nicht. Schon möglich. Wie gesagt, Mister Trevellian: Mein Mann war der Ansicht, dass Frauen sich nicht ins Geschäft einzumischen hätten." Sie atmete tief durch und wischte sich mit einer fahrigen Bewegung eine Haarsträhne aus dem Gesicht.
"Ich frage mich allerdings, was das alles mit dem Tod meines Mannes zu tun haben soll..." Sie musterte mich. Ihre Augenbrauen bildeten dabei eine Schlangenlinie. "Sehen Sie lieber zu, dass Sie diesen Verrückten kriegen, der William einfach so abgeknallt hat! Wie einen Hund!" Sie schluchzte auf.
"Das versuchen wir, Ma'am", sagte ich vorsichtig. "Und ich verspreche Ihnen, dass wir alles tun werden, um den Mörder Ihres Mannes zu finden."
"Und was soll dann diese ganze Fragerei nach Sly Jordan? Glauben Sie denn, dass er etwas damit zu tun hat?"
"Wir können nicht ausschließen, dass es sich um einen Auftragsmord handelt, Mrs. Gerratti", sagte ich.
Sie erriet meine Gedanken.
"Und Sie glauben, dass Sly Jordan der Auftraggeber des Killers war?"
Ich sah sie an.
"Bis jetzt ist noch alles offen", sagte ich. "Aber wir müssen jede Möglichkeit in Betracht ziehen..."
"Da haben Sie natürlich recht."
"Können wir uns etwas im Haus umsehen? Uns interessieren vor allem Mister Gerrattis persönliche Dinge..."
Sie blickte auf. Ihr Gesicht wurde jetzt von einer leichten Röte überzogen. "Sie wollen sicher wissen, wer sein Vermögen erbt und ob es eine Lebensversicherung gibt", erklärte sie dann mit galligem Unterton. Sie erhob sich.
Dabei sah sie mir direkt in die Augen.
Milo und ich standen ebenfalls auf.
"Es wäre schon wichtig für uns, seine finanziellen Verhältnisse zu kennen..."
"Ich nehme an, dass ich mich gegen Ihre Wünsche wohl kaum wehren kann..."
"Sie haben Ihren Mann geliebt", sagte ich. Nicht als Frage, sondern als Feststellung.
Sie schluckte. "Ja", flüsterte sie sichtlich bewegt.
"Das Einzige, was Sie jetzt noch für ihn tun können ist, uns zu unterstützen, Ma'am. Damit wir den Mörder finden, der William Gerratti auf dem Gewissen hat. Auch wenn es für Sie vielleicht schmerzlich ist."
Sie nickte. "Gut", sagte sie. "Sie haben freie Hand. Tun Sie, was immer Sie für notwendig halten. Und damit Sie es sich nicht mühsam aus Wills Unterlagen heraussuchen müssen, sage ich gleich auch noch folgendes: Ja, es gibt eine Lebensversicherung zu meinen Gunsten. William meinte, dass das notwendig sei. Catchen ist ein brutaler Sport - obwohl es nicht halb soviel Verletzungen wie beim American Football gibt. Aber ein Risiko ist natürlich immer dabei. William war sicher vermögender als ein Special Agent des FBI. Aber er war nicht so reich, wie viele vermuten. Er befand sich am Anfang einer großen Karriere. Trotz des Erbes und der Lebensversicherung werde ich dieses Haus zum Beispiel nicht halten können."
"Ich danke Ihnen für Ihre Offenheit", sagte ich. "Hatten Sie einen Ehevertrag?"
"Ja. Im Fall einer Scheidung wäre ich leer ausgegangen. Sie können mich also ruhig auf die Liste der Verdächtigen setzen. Aber ich habe Will geliebt. Unsere Ehe war glücklich."
"So war es nicht gemeint", sagte ich.
"Doch, Mister Trevellian, das war es. Auch wenn Sie etwas mehr Charme haben, als Ihre Kollegen von der Mordkommission."
4
Wir durchsuchten Gerrattis Sachen sehr gründlich. Jeden Beleg, den wir in seinem Schreibtisch fanden, seinen Terminkalender und das Adressregister. Glenda Gerratti beobachtete uns dabei. Schließlich hörten wir den Anrufbeantworter ab.
"Ich bin seit Wills Tod noch nicht dazu gekommen", sagte sie. "Außerdem wollte ich niemanden sprechen. Den ganzen Tag über klingelte es. Eine Presseagentur nach der anderen. Ich hatte einfach nicht den Nerv, um mit irgendjemandem von den Medien zu reden..."
"Das verstehe ich gut", erklärte ich.
Wir gingen die Anrufe einzeln durch. Das meiste war tatsächlich aus dem Presse- und Medienbereich. Jeder dieser News-Geier wollte der Erste sein, der mit der Witwe sprach.
Glenda Gerratti hätte eine Menge Geld verdienen können, wenn sie abgehoben und irgendeines dieser Angebote angenommen hätte.
"Glenda, hier ist Sly Jordan", meldete sich dann irgendwann eine Stimme. "Glenda, ich weiß, dass du zu Hause bist, also nimm ab. Es ist wichtig. Wir müssen miteinander reden, bevor..." Er brach ab. "Du weißt schon. Ich versuche es später nochmal."
Tatsächlich hatte es Sly Jordan insgesamt dreimal versucht.
"Was kann er von Ihnen gewollt haben, Mrs. Gerratti?", erkundigte sich Milo.
"Ich weiß es nicht."
"Es klang sehr dringend."
"Ja, ich habe wirklich keine Ahnung, worum es ihm gegangen sein könnte. Vielleicht ruft er ja nochmal an, dann kann ich Ihnen Näheres sagen. Oder Sie fragen ihn selbst."
"Das werden wir bestimmt noch tun", kündigte ich an.
Wir untersuchten auch William Gerrattis Garderobe. Seit er reich geworden war, schien er ein Faible für Maßanzüge entwickelt zu haben. Allerdings waren das bei seiner muskulösen Bodybuilder-Figur vermutlich auch die einzigen, die er tragen konnte. Er hatte mehrere Dutzend davon. Manche waren vom Schnitt und von der Farbgebung her ziemlich extravagant und schrill. Aber die Stoffe waren immer erste Wahl, die Verarbeitung excellent. In einer der Jacketts fand Milo einen Brief in der Innentasche.
Adressiert war er mit einer Schreibmaschine, deren Typen schon seit Jahrzehnten nicht gereinigt zu sein schienen. Die beiden kleinen r in 'William Gerratti' waren nur noch kleine, schwarze Schmierpunkte.
Ein Absender war nicht vorhanden.
Der Umschlag war an der Oberseite aufgerissen.
Milo holte eine weiße Pappkarte heraus, die in der Mitte gefaltet war.
Außen trug sie keinerlei Beschriftung. Einfach ein Stück dünner Karton mit Glanzbeschichtung.
Milo öffnete die Karte.
Innen gab es auch keinerlei Beschriftung. Dafür etwas anderes höchst Merkwürdiges. Eine dicke Fliege war mitten auf dem weißen Karton aufgeklebt.
"Hast du so etwas schonmal gesehen?", fragte Milo angewidert.
Ich schüttelte den Kopf.
"Sollen wir Wetten darüber abschließen, ob die Fliege echt ist?"
"Sie ist echt", meinte Milo. "Ich hoffe nur, dass sie nicht noch gelebt hat, als dieser Spinner sie auf die Post gab."
Ich sah mir den Umschlag