Aber der schien auf Tauchstation gegangen zu sein. Jedenfalls hatten ihn die Kollegen nicht auftreiben können und seine Wohnung war seit Tagen verlassen.
Milo und ich verließen Helen Lamarrs Appartement schließlich wieder. Das einzige Ergebnis unserer Ermittlungen war ein Adressbuch, in dem ein paar Telefonnummern standen.
Vielleicht konnte uns die eine oder andere davon weiterhelfen.
Ich hatte den Sportwagen in einer Nebenstraße geparkt. Als wir den Wagen erreichten, fiel mir sofort der Umschlag auf, der hinter dem linken Scheibenwischer klemmte.
"Wie ein Strafmandat wegen Falschparkens sieht mir das aber nicht aus", meinte Milo.
Ich zog einen Latexhandschuh über, bevor ich das Kuvert an mich nahm. Schließlich gab es ja die vage Hoffnung, dass irgendwelche Spuren daran zurückgeblieben waren. Ich öffnete den Umschlag. Der Inhalt überraschte mich in keiner Weise mehr. Es handelte sich wieder um eine Fliege.
Aufgeklebt auf einer Karte.
Milos Hand glitt augenblicklich in Richtung der P226. Mit einer blitzschnellen Bewegung hatte er die Waffe hervorgezogen. Ich ließ den Blick an den umliegenden Häuserfassaden entlanggleiten.
"Wir waren eine halbe Stunde in Helen Lamarrs Wohnung", stellte ich fest.
"Ich glaube nicht, dass er noch hier ist", meinte Milo.
Ich umrundete den Sportwagen, öffnete die Tür.
Wir stiegen ein.
Ich legte den Umschlag mit der Karte ins Handschuhfach.
"Das hier erinnert mich jetzt langsam an das sadistische Spiel, das dieser Psychopath mit dem Polizisten aus Baltimore spielte..."
Milo wollte antworten, aber sein Handy klingelte. Er griff zum Apparat.
Ich steckte den Schlüssel ins Zündschloss.
"Nicht herumdrehen, Jesse!", entfuhr es Milo. Seine Hand war vorgeschnellt und hatte mein Handgelenk umfasst.
"Was ist los?"
"Ein Anruf ist in der Zentrale eingegangen."
"Von unserem Freund?"
"Ja. Sobald du den Sportwagen startest, explodieren wir!"
23
Milo gab unsere Position durch. Unsere Leute waren unterwegs zu uns. Vielleicht bluffte der Unbekannte nur, um uns einen Schrecken einzujagen. Aber Milo und ich hatten wenig Lust, das zu testen.
Wir stiegen aus dem Wagen. Den Schlüssel ließ ich stecken.
Wieder ließ ich den Blick umherschweifen. Ein Schwarzer ging mit swingendem Gang die Straße entlang und bog dann in einen Hauseingang ein. Eine junge Frau stieg in einen Porsche, quälte sich aus der Parklücke und fuhr davon.
"Woher kennt der Kerl uns?", fragte Milo. "Woher weiß er, dass dies dein Sportwagen ist?"
"Frag mich was Leichteres", erwiderte ich.
Und dann sah ich den roten Punkt auf Milos Jacke.
Der Strahl eines Laserpointers, wie er bei modernen Waffen zur Zielerfassung benutzt wurde.
Ich warf mich zur Seite und riss Milo mit mir. Wir stolperten zu Boden, während dicht an uns vorbei ein Schuss zischte. Das Projektil fuhr in die Betonwand hinter uns. Der Putz platzte weg. Ein gut sichtbares Loch entstand.
Der zweite Schuss folgte nur einen Sekundenbruchteil später. Ich rollte auf dem Boden herum. Milo ebenfalls. Er rappelte sich auf und suchte in einer Türnische Deckung. Der unbekannte Killer jagte ihm sofort eine Kugel hinterher. Sie schoss ein Stück aus der Mauerecke heraus.
Ich hatte mich derweil hinter einem der parkenden Wagen verschanzt. Ganz bewusst hatte ich mich damit ein paar Meter von meinem Sportwagen entfernt. Denn ich wusste ja nicht, ob sich die Sprengladung, von der der Unbekannte am Telefon gesprochen hatte, sich nicht vielleicht auch aus der Ferne zünden ließ.
Ich hielt die P226 in der Rechten.
Aber die Waffe nützte mir im Augenblick herzlich wenig. Ich konnte schließlich nicht blindlings auf eine Fensterfront schießen.
Mein Blick blieb an der Fensterzeile des dritten Stocks hängen. Ich glaubte, eine Bewegung zu sehen, dann ein aufblitzen. Der Laserpunkt wanderte über den Ford, hinter dem ich mich verschanzt hatte. Dann blitzte das Mündungsfeuer kurz auf. Ich duckte mich, so weit ich konnte. Die Scheiben des Fords gingen zu Bruch. Die in rascher Folge abgefeuerten Kugeln zerfetzten die Polster. Kleine Löcher stanzten sich durch die Bleche. Eine Kugel drang dicht neben mir in den Boden ein.
Ich sprang auf, hetzte in geduckter Haltung die Reihe der parkenden Wagen entlang. Der rote Punkt folgte mir. Schüsse krachten. Ein Fenster in meiner Nähe ging zu Bruch. Es war ein Höllenlauf. Meter um Meter ließ ich hinter mir. Schließlich war der Winkel derart spitz für den unbekannten Schützen, dass er mich nicht mehr erreichen konnte.
Milo machte etwas Ähnliches. Nur bewegte er sich zur anderen Seite.
Ich überquerte die Straße und lief dann dicht an der Hauswand entlang. Zwischendurch blickte ich hinauf. Das Gebäude hatte mindestens zwanzig Stockwerke. Ich erreichte den Haupteingang. Die zahlreichen Firmenschilder wiesen daraufhin, dass es sich nicht um einen Wohnblock, sondern um einen Büroturm handelte. Dutzende von Firmen hatten hier ihren Sitz.
Ich ging durch eine Drehtür in eine Art Foyer.
Sicherheitsleute saßen hinter Panzerglas. Ich sah ihre aufgeregten Bewegungen, als ich mit der Pistole in der Hand hereinplatzte. Ich zog den Ausweis und drückte ihn an das Panzerglas.
"Was ist los?", fragte einer der Security-Leute.
"Aus dem dritten Stock wurde auf uns geschossen!"
Inzwischen hatte auch Milo den Eingang des Büroturms erreicht. Unter den Security-Leuten, die für die Sicherheit in diesem Gebäude zu sorgen hatten, entfaltete sich eine hektische Aktivität. "Verständigen Sie die City Police und sorgen Sie dafür, dass niemand das Gebäude verlässt. Alle Eingänge müssen bewacht werden!", forderte ich.
Der Mann auf der anderen Seite des Panzerglases nickte.
"Okay, Sir!"
24
Zwei der Security-Männer begleiteten uns zu den Aufzügen.
Weitere Posten stellten sich auf, um zu kontrollieren, wer aus den Liftkabinen herauskam.
Wir ließen uns in den dritten Stock fahren.
Dann hetzten wir einen Flur entlang.
Mitglieder des Sicherheitsdienstes hatten bereits dafür gesorgt, dass der Bereich den im Haus arbeitenden Angestellten nicht mehr zugänglich war.
Schließlich erreichten wir mit Hilfe unserer Begleiter jenes Fenster, von dem aus vermutlich auf uns geschossen worden war.
Die Fenster ließen sich nicht öffnen, da der Büroturm voll klimatisiert war. Der Killer hatte kurzerhand ein Stück aus der Verglasung herausgeschlagen. Groß genug, um den Lauf einer Waffe hindurchstecken zu können.
"Der Flur hier wurde von der Firma Megatronic Computers angemietet", erklärte uns der Security-Mann. "Und die haben im Moment für zwei Wochen Betriebsferien."
"Dann konnte er hier in aller Ruhe agieren",