Jugens sah völlig entstellt aus. Für ihn war das, was Lee da mitteilte, das Ende. Jetzt, als Lee ihn
anredete, tauchten auch die beiden Ranger auf, denen das Warten zu lange gedauert hatte.
„Ich habe euch unterschätzt“, kam es spröde von Jugens’ Lippen. „Ich habe das Spiel verloren, doch ihr habt Jim und Larry noch nicht, und ihr werdet sie nie erwischen!“
„Sie haben dich alle verlassen, Stuart Jugens. Nicht einer ist geblieben. Dir bleibt nicht einmal die Hoffnung, wieder in ein normales Leben zurückkehren zu können. Den Rest deines Daseins wirst du — doch dazu gehört schon ein Großmaß an Glück — im Gefängnis zubringen müssen.“
Lee winkte den beiden Rangern zu, die vorsichtig näher kamen.
„Es ist alles in Ordnung“, sagte er zu den Männern der Elitetruppe. „Wie ich Ihnen schon sagte, haben wir einen Vogel besonderer Art eingefangen, und mit ihm zusammen übergeben wir gern die geraubten dreißigtausend Dollar. Je schneller wir beides los sind, um so leichter wird es uns ums Herz sein. By Gosh, Dan, was starrst du mich so an, ist etwas nicht in Ordnung?“
„Hast du dich nach Ann Palmer erkundigt?“, fragte er ungeduldig. „Weißt du etwas von Ann?“ Lee Millard schüttelte den Kopf.
„Ich hatte keine Gelegenheit dazu“, erwiderte er. „Zuviel auf einmal stürmte auf mich ein, und Henry Dublon kam mir wie ein Zauberkünstler vor, der mehr aus unserem Leben wusste als wir selbst. Außerdem ließ er mich nicht mehr frei, als er mich einmal kennengelernt hatte. Es tut mir leid, dass ich mich nicht nach Ann umschauen konnte. Es musste sich bald herausstellen, dass ihr nichts passiert ist. Ich kann mir denken, dass bei den Schwierigkeiten, die Jim Jugens hatte, er kaum noch ein Interesse an der Frau haben dürfte. Gewiss war es ihr Glück, dass der Tumult in der Stadt losbrach. Nur keine Sorge, ich bin sicher, dass Ann alles gesund in der Stadt überstanden hat. Reiten wir, damit wir uns davon überzeugen können.“
Noch während Lee sprach, hatten die beiden Ranger sich Stuart Jugens’ angenommen und mit ihm ein kleines Verhör begonnen. Dan interessierte es nicht, er war in Sorge um Ann. Seine Unruhe hatte ständig zugenomnuen.
„Eins ist jetzt sicher, dass Larry und Jim Jugens zusammen sind“, sagte Dan. „Jim hat keinen Grund mehr, sich gegen seinen Bruder zu sperren. Ich bin nicht sicher, dass Jim Ann in Ruhe ließ.
Warum hat man noch keine Aufgebote zusammengestellt, die die Gegner jagen?“
„Man ist dabei, Dan“, erwiderte Lee, „doch es geht nicht so schnell, die ganze Stadt ist durcheinander. Man braucht einige Zeit, um alles unter Kontrolle zu bekommen. Man muss verstehen, dass der Großteil der Menschen in der Stadt noch immer ängstlich ist und sich wohl noch nicht so recht der Freiheit erfreuen kann.“
Während Lee noch mit Dan sprach, hatte Paul den Rangern erklärt, dass sie voraus reiten würden. Er hatte dazu deren Erlaubnis eingeholt in dem Glauben, dass der Chef ihnen einen Befehl übertragen hatte, sie nicht aus den Augen zu lassen, doch zu seinem Erstaunen wurde ihm erwidert:
„Ihr steht nicht unter Kontrolle, ihr seid freie Bürger und könnt tun und lassen, was ihr wollt. Mister Dublon war der Meinung, dass man euch nicht im Wege sein sollte. Ihr braucht euch also nicht weiter um Stuart Jugens zu kümmern. Er ist uns übergeben worden und wird uns nicht mehr entwischen. Das Material, das wir gegen ihn zusammentragen konnten, ist so schwerwiegend, dass er den Rest seines Lebens hinter Gitter verbringt.“ Wenig später ritten die drei Partner davon.
Jetzt brauchten sie sich nicht mehr um den Gefangenen, die Beutepferde und das Geld zu kümmern, sie konnten unbelastet reiten. Die Nacht breitete schon ihre dunklen Schwingen aus, als sie die Stadt erreichten. Nichts, so fand Dan, hatte sich in der Rinderstadt verändert. Windschief wie eh und je waren die Häuser an der Mainstreet mit den falschen Fassaden und dem abblätternden Anstrich. Die Menschen standen in Gruppen zusammen. Sie wurden neugierig und misstrauisch gemustert, doch wenn man Lee erkannte, schwand das Misstrauen. Es hatte sich in Pelcon wie ein Lauffeuer herumgesprochen, mit wem Lee ins Land gekommen war und auf welcher Seite die drei Männer standen. Vor dem einzigen Hotel in Pelcon hielten die drei ihre Pferde an.
„Jetzt wirst du gleich mehr wissen“, wandte Lee sich an den bleich aussehenden Dan, der seine Erregung kaum zurückhalten konnte. „Jetzt kannst du sie fragen, ob sie deinetwegen in diese Stadt fuhr.“
„Daran, dass sie es meinetwegen tat, zweifele ich keinen Augenblick“, erwiderte Dan mit kehlig klingender Stimme. Er saß ab und schlug sich den Reitstaub aus der Kleidung, wozu er seinen durchlöcherten Stetson benutzte. Seine Erregung war kaum noch zu verbergen.
„Bedeutet sie dir so viel, Freund?“, fragte Paul ruhig. „Bedeutet sie dir mehr als die Aussicht, die Drei-Stäbe-Ranch zurückzubekommen?“
„Ja, viel mehr, Paul“, gab Dan zur Antwort. „Wenn sie mich noch will, dann . . .“
Er sprach nicht weiter und ging auf die Schwingtür zu. Lee und Paul blieben auf ihren Pferden sitzen.
„Wir würden nur stören“, sagte Paul zu seinem Bruder. „Reiten wir zum Gentlemen-Saloon und nehmen wir uns einen Drink, jetzt könnte ich einen gebrauchen.“
„Warten wir lieber, den Drink können wir zu uns nehmen, wenn wir genau wissen, dass sie hier ist. Ich bin mir auf einmal nicht mehr ganz sicher.“ Paul antwortete nicht, nur seine zuckenden Wangenmuskeln verrieten, dass auch er sich Sorgen machte. Er beugte sich im Sattel vor und starrte mit verkniffenen Augen auf die Schwingtür.
„Wenn sie nicht hier ist, Bruder“, sagte Lee, „wenn dieser Schuft Jim Jugens sie von hier fortgeholt hat, möchte ich nicht in seiner Haut stecken, dann wird weder sein revolverschwingender Bruder Larry noch eine hartgesottene Mannschaft ihn schützen können. Wir werden dann sehr auf Dan achten müssen, Bruder.“
„Wir werden wohl noch lange auf ihn achten müssen, Lee“, erwiderte Paul. Er wollte noch etwas sagen, doch in diesem Augenblick wurde die Schwingtür des Hotels aufgestoßen, und Dan trat heraus. Sein Gesicht war verzerrt. Wie Geißelschnüre, so eng waren die Lippen zusammengepresst. In seinen Augen war ein unheimlicher Glanz.
„Sie versuchen mir auch das Letzte zu nehmen“, kam es heiser über seine Lippen. „Kan Palmer hat es vorausgesehen. Er musste gewusst haben, dass es so kommen würde. Beim Sterben hat er einen Blick in die Zukunft tun können. Er hat mein Versprechen. Ich hole Ann, und wenn ich sie mitten aus der Hölle holen müsste! Versucht mich nicht aufzuhalten. Ihr könnt zurückbleiben, Freunde! Von jetzt an werde ich meinen Weg wohl allein reiten müssen.“
Paul schüttelte den Kopf.
„Du übernimmst dich, Dan, wenn du glaubst, dass du uns abhängen kannst. Warum glaubst du