Kan Palmer war bei vollem Bewusstsein. Er schien nicht sterben zu können, bevor sein letzter Wunsch erfüllt war, mit Dan zu sprechen.
„Endlich“, sagte der alte Mann, dessen Gesichtshaut grauweiß geworden und mit kaltem Schweiß bedeckt war, bei Dans Eintritt in die Hütte. „Es ist gut, dich zu sehen. Du lebst und wirst alles tun, dass Ann nichts geschieht?“
„Gewiss.“
Dan hockte sich neben dem Sterbenden nieder. Er schluckte, denn die Kehle schien ihm zu eng geworden zu sein. Er nahm die Hand, die ihm der Alte entgegenstreckte und hielt sie fest umklammert.
„Wir hätten Freunde sein können“, sagte Palmer nachdenklich. „Du und Ann, ihr seid nicht schuld, ich allein war es. Reite zu ihr, sie liebt dich und erwartet das gleiche von dir. Vor meinem Stamm brauchst du dich nicht zu fürchten, ich habe mein Amt als Stammesältester niedergelegt.“ Dan musste sich tiefer beugen, um den Sterbenden zu verstehen. Seine Partner Lee und Paul, die bei Stuart Jugens im Hintergrund standen, verhielten sich still. „Das Sterben fällt mir nun gar nicht schwer“, sagte Palmer nach einer Pause. Er musste schwer nach Luft ringen. „Sage Ann, dass ich ihr verzeihe und dass ich euch alles Gute für das weitere Leben wünsche.“
Die Stimme von Kan Palmer verlöschte.
„So long, Kan Palmer“, hörte Dan Pauls heiser klingende Stimme. „Er braucht keine Kerbe mehr zu schnitzen, er hat es hinter sich. Er hat nun den Frieden, den wir alle auf dieser Welt erhoffen. So long auf der letzten großen Fahrt, Kan Palmer!“
Paul nahm mit einer langsamen Bewegung den Stetson ab, Lee und Dan folgten seinem Beispiel. Dan erhob sich und blickte mit verlorenen Augen auf den Mann nieder, dem diese Insel im Moor wie schon so vielen anderen den Tod gebracht hatte.
Ich hätte wie er daliegen können, dachte Dan. Er fühlte, wie ihm ein eiskalter Schauer über den Rücken rann. Je länger ich ihn ansehe, um so grauenvoller wird mir der Tod. Ich kann seinen Anblick kaum ertragen.
„Gehen wir“, hörte er Paul sagen und fühlte sich an der Schulter gefasst und sanft aus der Hütte geschoben. Er nahm die Dinge um ihn herum wie im Traum wahr, und doch prägte sich alles in ihm mit größter Schärfe ein. Es war ihm, als hätte er in Kan Palmer einen guten alten Freund verloren und nicht einen Mann, der ihn als Gegner verfolgt hatte.
„Sitz auf!“, forderte Lee ihn auf, ihn jäh aus seinen Gedanken reißend. „Oder willst du, dass wir dich in den Sattel hineinheben?“
Nein, das wollte Dan nicht, und obwohl ihm sehr elend zumute war und er sich am liebsten irgendwo verkrochen hätte, musste er seinen Partnern zeigen, dass er die Zähne zusammenbeißen und seine Gefühle in sich niederkämpfen konnte. Kein Wunder, dass er sich jetzt fragte, wie viel ein Mann eigentlich ertragen konnte. Das Maß für ihn schien voll zu sein. Seine Partner hingegen taten so, als wäre es erst der Anfang. Dan nagte an der Unterlippe und schwang sich auf Blacky. Er ritt den anderen nach, die bereits angeritten waren.
Die tiefe Verkrampfung in Dan löste sich nicht so schnell. Er war froh, dass Paul und Lee keine
Fragen stellten. Erst, als man ohne Schwierigkeiten den Zugang zur Teufelsinsel überwunden hatte und aus dem Moorgebiet herauskam, entspannte er sich ein wenig. Jetzt erst dankte er Lee.
Dieser wehrte den Dank ab.
„Wozu, Dan? Wenn man Gegner wie die Jugens vor sich hat, dann gibt es nur eins, sich seiner Haut zu wehren. Es heißt dann: entweder du oder ich! Es sind nun weniger Schufte auf der Welt, und niemand wird ihnen eine Träne nachweinen, im Gegenteil, wenn es erst bekannt wird, werden viele Menschen aufatmen. By Gosh, jeder Revolverkampf mit tödlichem Ausgang haftet einem an, und wenn jemand glaubt, dass der Tod eines Gegners eine tiefe Befriedigung auslösen kann, so irrt er sich gewaltig. Der Tod endet einen Streit, er löst Konflikte, aber er schafft keine Erleichterung. Du wirst noch darüber hinwegkommen. Was du brauchst, sind einige Stunden Ruhe und Entspannung. Wir werden uns nach einem geeigneten Lagerplatz umschauen.“
Dan hatte dem nichts entgegenzusetzen. Er war im Gegenteil erleichtert, als man gegen Mittag ein Lager fand, das für ihre Zwecke gut geeignet war.
Stuart Jugens, der bisher mit gefesselten Händen schweigend geritten war, fing an zu fluchen. Er hatte die erste Angst überwunden und wurde den Brüdern mit seinen Flüchen langsam lästig.
„Höre auf damit!“, riet Lee ihm mit rauer Stimme. „Du wirst weiterhin unser Gast bleiben.“
„Nicht lange, man wird alles tun, um mich herauszuhauen“, erwiderte Stuart Jugens. „Man weiß jetzt schon, dass etwas nicht stimmt. Ich bin sicher, dass Jim das ganze Land in Alarmbereitschaft hat. Was das heißt, werdet ihr bald genug erfahren. Alles ist so organisiert, dass ihr nicht weit kommen werdet. Ihr seid jetzt schon so gut wie sicher eure Skalps los!“
Er lachte blechern. Der Tod seines Sohnes Red schien in diesem verhärteten Mann keine innerliche Reaktion auszulösen. Er setzte sich darüber hinweg, als wäre es ein Fremder, der tot zurückgeblieben war.
„Du widerst einen an, Jugens“, sagte Paul zu ihm. „Die Jahre haben dich nicht gebessert, sie haben dich im Gegenteil immer schlechter gemacht.“
„Lasst mich frei, und ich garantiere euch, dass ihr davonkommt. Nur die dreißigtausend Dollar werdet ihr mir zurücklassen müssen“, machte Jugens das Angebot.
„Für das lumpige Geld bist du bereit, dich gegen das Gesetz in der Öffentlichkeit zu stellen und deine weiße Weste für immer auszuziehen? Großer Gott, einen solchen Schuft mag ich nicht einmal anspucken“, sagte Lee erbittert und bog die Zweige auseinander, um einen Blick auf die Stadt zu werfen, die vom Versteck aus sichtbar war. Gerade die Tatsache, dass man das Camp in der Nähe der Stadt aufschlug, zeigte deutlich an, dass die beiden Brüder die Nerven nicht verloren hatten. Man würde sie vermutlich überall suchen, nur nicht in der Nähe der Stadt. Auf dem Weg zum Camp hatte man die Augen offen gehabt und so manches gesehen, das dem Land den Stempel aufdrückte. Es waren Ruinen niedergebrannter Siedlerhütten und Kleinranchen zu sehen, niedergerissene Corrale und verlassene Siedlungen. Die Zeichen von Gewalt waren selbst für einen ungeübten Beobachter nicht zu übersehen. Viele Menschen hatten das Land verlassen, hatten aufgeben und einsehen müssen, dass sie gegen die Hartgesottenen keine Chance hatten. Bevor sie aufgaben, waren ihnen die Rinder gestohlen und irgendwohin getrieben worden, und keine Zeichen waren zurückgeblieben, die die Diebe hätten entlarven können. Jugens hatte ein gut funktionierendes System gehabt und hatte allen Verdächtigungen zum Trotz nicht überführt werden können. Das alles hatte ihn völlig kalt gelassen. Er vertraute darauf, dass seine Helfer nicht untätig sein würden. Was er nicht wissen konnte, war, dass am frühen Morgen, der ihm hörige Sheriff durch einen Staatenreiter abgesetzt und auch durch diesen Mann abgelöst worden war, der in Begleitung von einem Rangertrupp aus dem Nachbardistrikt gekommen war.
Man war nicht nahe genug an der Stadt, um beobachten zu können, was sich dort tat. Immerhin, das war schon eine ganze Menge. Schon seit dem frühen Morgen wurden die Sheriffsakten überprüft. Leute aus der Stadt wurden von den Rangern zum Verhör geholt. Die ganze Stadt glich einem aufgestörten Bienenstock, und wenn Stuart Jugens noch immer glaubte, dass die Rückkehr seiner beiden ältesten Söhne und des Revolvermannes Hannigan keinen großen Wirbel verursachen würde, da er die Stadt völlig unter Kontrolle zu haben glaubte, so überschätzte er sich und seinen Einfluss erheblich. Es zeigte sich auch, dass er seinem jüngsten Sohn Jim zutraute, mit den Schwierigkeiten fertig zu werden.
„Lege dich nieder, Dan“, riet Paul. „So wie du dich jetzt fühlst, wirst du dich wenig einsetzen können. Wir können im Augenblick nichts tun. Also lege dich hin! Mein Bruder und ich werden achtgeben. Vor Einbruch der Dunkelheit können wir weiter nichts tun, als hierzubleiben und zu beobachten. — Wie fühlst du dich jetzt?“
„Schon besser“, erwiderte Dan und versuchte Paul anzulächeln. „Ich kann es kaum erwarten, der