Am nächsten Tag machten wir uns wieder auf den Weg und wollten dem schweren Treiben am Panamakanal zusehen. Dieser Kanal ist rund 80 Kilometer lang, wurde 1914 von Ingenieuren der US-Army errichtet und verbindet den Atlantik für die Schifffahrt mit dem Pazifik, wobei sich die riesigen Schiffe die Fahrt um das Kap Hoorn an der Südspitze Südamerikas sparen. Dieses Schauspiel, bei welchem die monströsen Containerschiffe millimetergenau durch die Schleuse gelotst werden, war wirklich spannend anzuschauen. Panama hat allerdings durchaus mehr zu bieten als bloß diesen Kanal — ja, diese wirkliche Schönheit des kleinen Landes sollten wir bald leibhaftig erleben.
Dazu folgten wir einem geheimen Tipp, machten es uns auf einem offenen Jeep gemütlich und genossen die Fahrt durch den Dschungel bis zum Ozean. Das Meer aber war noch lange nicht zu sehen, doch plötzlich bremste der kleine Fahrer des Jeeps seinen Wagen abrupt ab, sprang heraus und wir folgen ihm. Nun standen wir umzingelt von echten Indianern und tausenden von lästigen Mücken am Fuße eines kleinen Flusses. Das trübe Gewässer floss träge aus dem Wald und in die andere Richtung führte der Weg des Wassers wieder zurück in die Tiefen des Dschungels. Vom Meer war weit und breit nichts zu sehen und jener Fluss schien vorerst nicht mit dem Ozean verbunden zu sein. In diesem Moment zweifelten wir etwas an dem fantastisch klingenden Tipp, den wir zu Ohren bekamen, denn jene Information, die wir erhielten, meinte wir würden dort auf eine kleine und fast einsame Insel auf dem Ozean stoßen. Die Rede war also nicht von einer Landzunge auf einem Fluss an der Meeresmündung mit eventuellem Meerblick. Einerseits schauten wir danach etwas bedröppelt durch die lästigen Mückenschwärme, aber andererseits war ich richtig happy. Endlich bekam ich echte Indianer zu Gesicht und durfte ihnen dabei zusehen, wie sie sich mit flinken Händen unser Gepäck durch die Mücken zukegelten, bis es sicher am Bug einer kleinen Nussschale landete.
Nach ein paar Minuten sollte es losgehen und so stiegen wir in das mickrig wackelige, ruderbootähnliche Boot. Zuerst folgten wir dem schmalen Fluss am Dschungel entlang, bis nach kurzer Zeit die Größe der Bäume abnahm und wir anschließend dichtes Schilf durchkreuzten. Danach wehte uns zunehmend frischer Wind um die Ohren, bis dann endlich die Sicht auf das erhoffte Meer frei wurde. Juhu, nun schaukelten wir glückselig zwischen größer werdenden Wellen herum, fuhren an winzigen und auf Holzpfählen im Wasser stehenden Indianerdörfern vorbei. Als es wenig später anfing zu regnen, war der sprachlose Mann am Steuer bemüht, alles aus dem Motor herauszuholen und schon ging es in gefühlter Windeseile in der Nussschale und im von allen Seiten spritzendem Wasser Vollgas in die See.
Ab diesem Zeitpunkt war es nicht mehr möglich, sich zu unterhalten und ich erkannte nur noch grimmig grinsende Fratzen hinter dem Regentropfenvorhang. Es wurde deshalb aber so richtig abenteuerlich und dieser Moment sollte in etwa eine gefühlte Stunde so weitergehen. Wir alle hofften trotzdem, dass dieser nasse Spaß bald ein Ende haben würde und hätten nie gedacht, was danach folgen sollte. Denn der Regen nahm nun ab, das Boot schaukelte wieder langsamer durch die Wellen und in weiter Ferne erblickten wir eine kleine Insel. Sollte dieser malerisch schöne Ort, wie einem Bilderbuch entsprungen, etwa wirklich unserer werden?
Etwa zwanzig Meter vor der Insel warf der kleine Steuermann einen großen rostigen Anker ins Wasser und in jenem Augenblick brüllten wir vor Freude. Es war wie in einem Traum. Eine bezaubernde Insel gleich dieser, geformt wie ein winziges eiförmiges Eiland, hatte noch keiner von uns je zuvor zu Gesicht bekommen. Ihre gesamte Fläche konnte man wirklich in drei Minuten zu Fuß umrunden. Bloß ein paar Schilfbuden waren in den Sand gezimmert und wenige Hängematten wogen lässig zwischen Palmen im Wind, sonst nichts weiter.
Tief durchatmen: wer hier nicht entspannen kann, dem kann nun wirklich nicht mehr geholfen werden …
Wir schnorchelten, badeten und schwangen unsere immer leichter werdenden Körper entspannender als entspannt in den Hängetüchern. Zwischen den Erholungsphasen knurrte bloß manchmal der Magen, aber selbst dafür wussten die Indianer liebevoll Sorge zu tragen. Wir brauchten bloß dem hypnotischen Klang zu folgen, welcher von einer großen Muschel erzeugt wurde und schon hockten wir nach einer Minute Fußweg durch den feinen, weißen Sand an einem Holztisch unter einer großen, schattenspendenden Palme. Der frisch gefangene Fisch dampfte bereits essbereit auf dem Teller. Es war einfach wunderschön und wurde sogar romantisch, denn die Abende bei Mondschein, in der Hängematte liegend, in den mit tausenden von Sternen behangenen Himmel zu blicken und dabei dem Meeresrauschen zuzuhören, waren unbezahlbare Glücksmomente. Und es wurde noch romantischer, doch nur für meinen Bruder und Karina, denn an diesem Ort verliebten sie sich.
Nach vier Nächten auf der Trauminsel mussten wir leider wieder zurück in die normale Welt, wo sich auch dann unsere Wege in Panamacity am Fluchthafen trennten. Sancho und Pancho flogen zurück in die kühle Heimat und für Karina und mich ging die Reise erst so richtig los. Wir flogen weiter nach Lima, in die Hauptstadt Perus, die einst als „Stadt der Könige“ bezeichnet wurde, allerdings verpuffte dieser Titel so schnell wie uns schlagartig der Smog dieser Stadt umhüllte.
Nun waren wir zu zweit und irgendwie schlummerte bereits seit dem Zeitpunkt unseres zweiten „Dates“ das Gefühl in mir, dass es zwischen uns vielleicht doch nicht so passen könnte. Es war wahrscheinlich einst beim Wandern über den Weihnachtsmarkt und durch die Mithilfe des Glühweins etwas getrübt worden. Aber wir blieben zusammen, hielten uns zunächst noch zwei Nächte in Lima auf und waren uns dann auch darüber einig, am nächsten Tag in den Bus zu steigen und aus der Stadt rauszufahren. Die rund 1000 Kilometer entfernte Stadt Arequipa, entlang der berühmten Panamericana, sollte unser nächstes Ziel werden. So schön der Name der Route Panamericana wohl klingen mag, der Abschnitt erwies sich in Wirklichkeit als das Gegenteil davon für uns.
Wir fuhren fünfzehn Stunden in einem überfüllten und engen Bus, auf unbefestigten, staubigen Straßen, an wahnsinnig und natürlich nicht gesicherten Schluchten entlang. Mehrere hunderte Meter in die Tiefe würde man stürzen, wenn der Busfahrer auch nur für eine Sekunde einschliefe. Dazu war die Fahrbahn sehr schmal und übersät mit zahlreichen halsbrecherischen Kurven. Aber das war natürlich dem Herrn Buslenker egal, denn er drückte nur so auf sein Gaspedal, bediente bloß kurz vor einer nahenden Kurve nicht etwa seine Bremse, sondern seine Hupe und schoss mit völlig angsterregender Höchstgeschwindigkeit in die Biegung.
Zum Glück passierte uns nichts und es ging weiter und weiter, vorbei an riesigen, wüstenähnlichen Kiesgruben, welche mich eher an Mondlandschaften erinnerten. Und auch die Nazca Wüste, welche die weltberühmten, riesenhaften Tierfiguren, die Nazca Linien, beheimatet, ließen wir in der Dunkelheit der Nacht völlig unbeachtet und in großen Staubwolken an unserer Strecke vorbeiflitzen. Völlig übermüdet und mit noch zu hohem Anteil an Adrenalin im Blut erreichten wir dann endlich „die Stadt, in der man bleiben soll“2. In Arequipa blieben wir zwei Tage und freuten uns, in die Welt der Peruaner eintauchen zu können. Wir fühlten uns dort schon viel besser als noch in Lima und empfanden beide, dass wir eben erst durch diesen Ort in Peru so richtig angekommen waren.
Doch selbst dort wollten uns die manchmal nervigen Taxifahrer ständig irgendwohin chauffieren. Man sollte bei diesem Unterfangen wirklich aufpassen, denn neben den offiziellen Taxis gibt es mehrere inoffizielle und die Fahrer dieser meistens älteren „Mühlen“, so hörten wir, sollen oft kriminell sein. Uns wurde von Fällen berichtet, bei welchen den Touris bis auf die Unterhose alles geklaut worden war. Deshalb sahen wir uns gewarnt und wussten, dass man am besten zu jeder Tages- und Nachtzeit sehr wachsam sein sollte.
Dennoch