Rom kämpft um den Rhein. Walter Krüger. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Walter Krüger
Издательство: Readbox publishing GmbH
Серия: Rom kämpft um den Rhein
Жанр произведения: Зарубежная публицистика
Год издания: 0
isbn: 9783347013063
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Fernweg, der aus Reims kommt, innerhalb eines Tages in Bavay angekommen. Welche Orte der Atuatuker lagen an diesem Fernweg?

      Einer davon müsste der sein, den er angegriffen und erobert hatte. An Caesars Seite befanden sich insgesamt 8 Legionen (liber II, 19), d.h. ohne Tross und Hilfskräfte waren das mindestens 40.000 bis 45.000Mann. Mit Hilfskräften noch mehr. Diese Legionen und ihre Hilfsvölker einschließlich der Tiere mussten permanent versorgt werden. In diesem nervischen Gebiet, in dem die Römer standen, waren die Vorräte bereits vom Stammesheer aufgebraucht worden. Mit ausreichendem Nachschub war nicht zu rechnen, auch wenn er die Remer dazu verpflichtete.

      Abb.5

      Caesar auf dem Fern weg von Boulogne-sur-Mer (Gesoriacum) nach Neuss mit den Schlachtorten an der Selle und vor Atuatuka/ Binche

      Unter diesem Gesichtspunkt kann man davon ausgehen, dass Caesar sein Heer nicht beisammen halten konnte. Zu allererst galt es, sich um die Verwundeten nach der Schlacht an der Selle 57 v.Chr. zu kümmern. Dazu bedurfte es großer Legionslager. Zum anderen mussten die geschlagenen Nervier, Atrebaten und Viromanduer gezwungen werden, so bald wie möglich Nahrungsmittel heranzuschaffen. Und schließlich war der Vorstoß nach Osten dazu angetan, einen Teil der Legionen in Bewegung zu setzen zu neuen Gebieten, in denen beschafft werden konnte, was sie benötigten. Da Caesar die starken Nervier besiegt hatte, fürchtete er den viel kleineren Stamm der Atuatuker nicht. Auf die lockende Beute habe ich schon hingewiesen. Sie fand man jedoch nicht in den verstreut liegenden Gehöften und Weilern, sondern dafür wären Siedlungen oder befestigte Plätze vorzuziehen.

      Wie zuvor bereits erwähnt, gab es östlich von Bavay zwei Plätze, auf denen feste Siedlungen gestanden haben könnten. Durch die 100-Meilen-Grenze, die er in seiner Aussage über die Winterlager von Amiens aus zog, kämen dafür nur Binche und Thuin infrage. Thuin wird von französischen und belgischen Historikern des Öfteren genannt, Binche nicht. Ich werde nachfolgend versuchen, diese beiden Orte unter dem Gesichtspunkt der von Caesar überlieferten Angaben zu bewerten und zu vergleichen.

      Die Atuatuker hatten kurz nach den Verhandlungen zwischen den Römern und Nerviern erfahren, dass Caesar mit einigen Legionen in ihr Gebiet eindringen werde. Da er schon in ein bis zwei Tagen anrücken konnte, war Eile geboten. Wie in solchen Situationen üblich, flohen die entlang des Fernwegs lebenden Bauern mit ihrem Hab und Gut in die umliegenden Wälder und Schluchten, um sich zu verstecken. Der Fluchtkorridor musste mindestens 15 bis 20km breit sein, um nicht der Reiterei in die Hände zu fallen. Ein Teil der wehrfähigen Männer bildete größere Haufen, die sich längere Zeit verteidigen konnten. Von den unter Waffen stehenden Kriegern wurde ein Teil in den befestigten Platz hineingeführt. Die nahe wohnenden Bauern zog es ebenfalls dorthin. Schließlich musste der befestigte Ort ertüchtigt werden für eine Belagerung. Das war unter dem Zeitdruck äußerst schwierig.

      Sehen wir uns in Abb.6 an, wo sich die möglichen festen Plätze befunden haben können. Hauptgrund für die Wahl dieses geografischen Raumes ist die Entfernungsangabe Caesars mit etwa 150km von Amiens. Sehr unterschiedliche Bedingungen beeinflussten die Lage der Orte. Thuin liegt an der Sambre in einer für die Höhensiedlungen angemessenen Topografie. Binche liegt abseits, nördlich des Flusses, in der Nähe des Fernwegs. Nur etwa 12km entfernt. Der Fernweg, der heute als „Chaussée Brunehault“ bekannt ist, wurde erst in römischer Zeit als schnurgerade Reichsstraße angelegt. Zur Zeit der römischen Invasion führte er wahrscheinlich südlich von Binche über die Höhenrücken nördlich der Sambre. Sie bildeten zugleich die Wasserscheide zwischen den Flusseinzugsgebieten der Maas/Sambre und Schelde. Binche gehört geografisch bereits in das Einflussgebiet der Schelde, speziell der Haine, und damit zum nördlichen Stammesgebiet. Vom alten Fernweg aus waren Thuin und Binche etwa gleich weit entfernt. Warum entschied ich mich, Binche als Atuatuka anzunehmen? Diese Frage möchte ich mit der Lagebeschreibung und Charakteristik von Thuin beantworten.

      Abb.6

      Die Lage der beiden Orte Binche und Thuin und der Angriff auf Atuatuka/Binche. Wege sind angenommene.

       Die Höhenburg von Thuin

      Thuin liegt heute auf einem Hügel, der im Norden von der Sambre und im Süden von der Biesmelle begrenzt wird. Die Höhe des Plateaus über der Flussniederung beträgt ca. 50m. Die Höhenlinien im Tal liegen bei 120m über NN und steigen bis auf 170 und 180m über NN an. Die Hänge des Plateaus sind steil. Während die Geografie einen Platz für eine Höhenburg auf dem auslaufenden Sporn des Plateaus zwischen der Sambre und der Mündung der Biesmelle anbietet, gut geschützt durch die natürlichen Gewässer, haben belgische Forscher den tatsächlichen Platz auf einem südlichen Teil des Plateaus gefunden. Die archäologische Stätte wird der „Bois du Grand Bon Dieu“ genannt. Sie ist 13ha groß und wird im Westen, Süden und Südosten, auf drei Seiten von der Biesmelle eingefasst. Im Norden bildet ein Graben, der aus dem Étang du Houillon entspringt, die Trennung zum übrigen Plateau. Nur im Osten verbleibt ein niveaugleicher Übergang, der zur Zeit des Oppidums durch eine Mauer geschützt wurde. Davon zeugt noch heute ein 3m hoher Wall von 40m Länge. Somit besaß dieser Platz eine natürliche Verteidigung. Der Felsen trägt heute einen Wald aus Eichen, Stechpalmen und Mispeln.

      Zwischen den Forschern in Belgien gibt es unterschiedliche Auffassungen darüber, ob sich dieser archäologische Platz in die Reihe der Oppida einordnen lässt und dieses vielleicht sogar das von Caesar erstürmte sein könnte. Bis heute wurden aber keine Bebauungsreste gefunden, auch keine Hinweise auf eine kriegerische Auseinandersetzung. Die Forscher des Centre de Recherches en Archéologie et Patrimoine der ULB schließen sich dieser Meinung, Thuin sei Atuatuka, nicht an.

      Berühmt geworden ist ein bedeutender Münzfund aus Goldstateren, der aus der Zeit von 90 v.Chr. bis 50 v.Chr. stammt. Sie werden den Nerviern zugeschrieben. Darüber hinaus förderten die Ausgrabungen ein zeremonielles Schwert, einen besonders schönen Metallgürtel aus einer Kupferlegierung mit eingelegter roter Email, Tongefäße u.a. zu Tage. So führen diese eher kultischen Artikel die Gedanken mehr auf eine Kultstätte, denn auf eine Siedlung (nach Christian Du Brulle). Der Hügel war bereits seit der Jungsteinzeit bewohnt, aber eben auch (oder wieder) im 1.Jh. v.Chr.

      Es liegt somit nahe, dass hier, unter oder neben dem heutigen Thuin ein nicht unbedeutender Ort der Atuatuker lag. Betrachtet man die nähere Umgebung, dann erkennt man, dass Thuin etwa in der Mitte zwischen den Fernwegen Bavay-Tongeren und Avesnes-Dinant liegt. Eine Nord-Süd-Verbindung von Binche über Thuin nach Stree, einem Dorf weiter südlich (eine Annahme), könnte westlich des „Bois du Grand Bon Dieu“ die Sambre gekreuzt haben. Das würde die Bedeutung des Ortes heben. Da es aber unwahrscheinlich gewesen sein dürfte, dass Caesar von Bavay aus in Richtung Dinant ziehen wollte (diesen Ort oder einen Vorläufer kannte er noch gar nicht), sondern den Fernweg nach Tongeren nahm, lag Thuin nicht an seiner Marschroute. Dieser von den beiden West-Ost-Wegen etwas abgelegene Ort hatte aber für den südlichen Gau der Atuatuker eine günstige Lage. Und geheimnisvoll abgeschieden war er auch. Für einen Versammlungs- und Kultplatz unter einem Eichenrund und mit einer Quelle, Étang du Houillon, in der Nähe, war er fast ideal dafür geeignet.

      Abb.7

      Die Lage des Oppidums oder Kultplatzes Thuin

      Noch etwas spricht gegen Thuin als Oppidum. Auch wenn auf dem erwähnten Sporn zwischen Sambre und Biesnelle möglicherweise eine Siedlung, ein Weiler oder, was wahrscheinlicher sein könnte, ein Herrenhof gestanden hätte, wären das keine Voraussetzungen für eine Stadt wie sie Caesar beschrieben hat. Die belagerte Stadt hätte vielen Menschen Lebensraum und Nahrung bieten müssen. In Abb.7 ist die geografische Situation des Siedlungsplatzes Thuin zu erkennen. Was sagt Caesars Geometrie dazu?

       Die Umfassungsmauer war 15.000 römische Fuß lang. Das römische Grundmaß Fuß (pes) beträgt 29,6352 cm. Die Mauer war demzufolge 4.445,28m lang.

      Hätte es eine Siedlung auf dem Sporn gegeben, müsste man fragen: warum sollte um einen