Aber es kam anders. Die Stadt, vor der Caesar erschien, hatte er sich als Beute auserkoren. Von diesem Schicksal ahnten die Bewohner noch nichts. Sie waren die Kriege mit ihren Nachbarn gewöhnt, aber nicht mit den Römern, den unerbittlichsten Gegnern.
Kommentieren wir, was Caesar dazu schrieb:
Die Stadt, die er angriff, kann nicht die „gesamten Streitkräfte“ aufgenommen haben (liber II, 29), denn das waren nach den Angaben Caesars bzw. der remischen Adligen 19.000 Mann, auch für die Römer eine ernst zu nehmende Armee. Dieses Heer hätte sich in jedem Falle in einer Feldschlacht gestellt und nicht zurückgezogen in eine eisenzeitliche Siedlung. In der Stadt lag eine Mannschaft zu ihrer Verteidigung, die vielleicht 1.000 bis 1.500 Mann stark war. Mehr konnte der Stamm in dieser Zeit und Gegend nicht aufbieten und mehr konnte auch der Raum nicht fassen. In der Stadt, die höchstens 2.000 bis 3.000 Bewohner beherbergen konnte, mussten dazu noch Flüchtlinge aus der nahen Umgebung aufgenommen werden. Alle wehrfähigen männlichen Bewohner hatten sich auf einen Kampfeinsatz einzustellen. Der Rat der Siedlung verfügte über einige gefüllte Speicher und Brunnen. Mit Entsatz konnte nicht gerechnet werden. Denn mit dem Einmarsch der Römer müssten sich im übrigen Stammesgebiet, besonders an den befestigten Plätzen wie Thuin, Namur u.a. einige Tausend Männer zu deren Verteidigung eingefunden haben. Ein Rest von Kriegern verteilte sich im Lande und bildete kleinere Einheiten, die Jagd auf römische Futter- und Holzsammler machen sollten.
Caesar war vielleicht mit zwei Legionen, die ihm besonders nahe standen wie die X. und einigen Hilfskräften - ca. 15.000 Mann - von den Nerviern fortgezogen, um die Atuatuker in ihrer befestigten Siedlung anzugreifen. Da er die Stärken der Gegner genau erfasste und prüfte, bevor er angriff, wusste er, dass zwei Legionen völlig ausreichten. Seine Vorstellungen von diesem Kriegszug sind bereits dargestellt worden. Es kommt jedoch noch eine andere hinzu. Nach der Schlacht an der Selle musste er den gewaltigen Widerstand der Nervier, Atrebaten und Viromanduer anerkennen und ließ als Folge diese Stämme weitgehend in Ruhe, d.h. in ihrem Eigentum und in ihren Rechten, obwohl er sie als unterworfen ansehen konnte dank der Friedensangebote. Seine Legionäre gingen dadurch leer aus. Sie konnten keine Beute machen. Dafür galt es einen Ersatz zu schaffen. Für Caesar stand deshalb von Anfang an fest, dass der Vorstoß in das Land der Atuatuker vorrangig dieses Ziel beinhaltete. Insofern hatten die Bewohner und Krieger der belagerten Stadt gar keine Chance, heil aus dieser Situation herauszukommen. Aber noch wehten die Feldzeichen auf den Mauern der Stadt. Sie waren geschmückt mit dem Stammeszeichen, den schwarzen Früchten des Attichs. Im Gegensatz zu den roten der Eibe, die die Eburonen verwendeten. Vom Attich hatten die Atuatuker ihre Stammesbezeichnung abgeleitet. Attich, der Zwergholunder, heißt germanisch Attuh, attah, Aduk, aduhhaz, und Zug tuga. Dieses Wort verweist auf die Züge ihrer Vorfahren.
Abb. 9
Die Belagerung von Atuatuka/Binche 57 v.Chr.
Wie die Belagerung abgelaufen ist, schildert uns Caesar ausführlich in liber II, 29-33. Doch kann man ihm glauben, nachdem schon einige wesentliche Ungenauigkeiten entdeckt werden konnten? Die belagerte Stadt war rundum auf „sehr hohen“ Felswänden errichtet worden. Sie hatte nur einen Zugang. Dieser war etwa 60m breit und stieg vom Umland zum Tor hin leicht an. Das Tor und sicher noch ein zweites befanden sich in einer Doppelmauer. Sie schützte die einzige Stelle der Siedlung, von der aus sie angegriffen werden konnte. Als die Römer heranrückten bis vor die Stadt, veranlasste deren Kommandant (den Namen verschweigt Caesar ebenso wie den des Stammesführers) seine Krieger, den Versuch der Römer, ein Lager zu bauen, durch Ausfälle zu stören. Für diese Ausfälle kam nur das einzige Stadttor in Frage und der abschüssige Zugang beschleunigte das Vordringen der atuatukischen Krieger. Die Gefechte werden von Caesar als klein bezeichnet. Es waren nur wenige Krieger daran beteiligt. Durch ein gewiss kleines Tor konnten eben nur wenige Krieger hinausströmen, damit ihnen der Rückzug ohne Stau gelang. Unbeeindruckt davon legten die Römer ihr Lager an. Sie errichteten es vermutlich auf dem Höhenrücken, der sich nördlich der Siedlung erhebt. Er bildet ein großes Plateau, etwa 100m über NN. Das Tal des Flusses liegt etwa 30m tiefer. Diese Geländeunterschiede stellten keine Hindernisse dar.
Die Stadt zu stürmen, so erkannten Caesar das unschwer anhand der Gegebenheiten, konnte nur über das einzige vorhandene Tor erfolgen. Die Felswände unter den Mauern ließen das nicht zu.
Der römische Kriegsrat entschied, eine Umfassungsmauer mit vielen Stützpunkten zu bauen. Sie maß immerhin 4.400 m Länge und musste sich, um einen militärischen Zweck zu erfüllen, um den ganzen, wenn auch niedrigen Felsen, der die Stadt trug, hinziehen. So sollten die Belagerten von jeglicher Verbindung zur Außenwelt abgeschnitten werden. Das demoralisierte gewiss. Römische Wachposten unterhalb der Wände konnten leicht jeden Kontakt zwischen oben und unten, z.B. das Hinaufbewegen von Nahrung oder Waffen, verhindern. Der Abstand zwischen den Mauern der Verteidiger und Angreifer war so groß, dass keine Wurfgeschosse von Hand ihn überbrücken konnten, nur die Geschütze der Römer.
Die Legionäre wurden beim Bau der Mauer immer wieder gestört durch ausbrechende atuatukische Krieger. Doch denen gelang dies immer nur in der Nähe des Tores. Zum größten Teil verwendeten die Legionäre für ihre Belagerungsmauer Erdreich, das sie ausgruben und zu Wällen aufwarfen, verstärkt mit Gestein. Oben auf setzten sie Palisaden und hölzerne Türme für die Schützen. Dies alles geschah unter den aufmerksamen Augen der Eingeschlossenen. Sie mussten dem Treiben der Legionäre weitgehend tatenlos zusehen und die schnelle und reibungslose Ausführung bewundern.
Nachdem die Stadt keinen freien Zugang mehr hatte, fingen die Römer an, ihre Sturmtechnik für das Erbrechen des Tores aufzubauen. Sie bestand aus Schutzdächern, unter denen, langsam vorwärts bewegend, ein breiterer Damm zum Tor hin aufgebaut werden konnte. Des Weiteren errichteten die Zimmerleute einen hohen Holzturm unterhalb der Rampe. Die Belagerten hätten so etwas noch nicht gesehen, behauptet Caesar und deshalb darüber gespottet, wie denn die kleinen Römer solche riesigen Türme bewegen mochten. Diese Äußerung kann man getrost übersehen, denn gerade Menschen, die in befestigten Siedlungen lebten, waren auch mit der Technik von Belagerungstürmen vertraut, wenigstens die Veteranen, die in der römischen Provinz gekämpft hatten. Denn auch die Nachbarn, die Suessionen wussten zu belagern, wie sie es mit Bibracte versuchten; auch das Beispiel Soissons, das die Römer belagerten, hatte Schule gemacht. Es wurmte Caesar offensichtlich schon länger, dass die Germanen und Kelten über die kleinwüchsigen Römer herzogen. Solche Art von Spott nehmen besonders kleinwüchsige Feldherren sehr übel und rächen sich bei jeder Gelegenheit dafür. Wie nicht anders zu erwarten, schoben die Römer, nachdem sie die günstigste Neigung des Dammes geschaffen hatten, den Belagerungsturm langsam zum Tor vor. Ebenso führten die Legionäre den Rammbock unter dem Schutzdach näher an das Tor heran.
Die meisten Belagerten in der Stadt konnten die Arbeiten der Römer vor dem Tor gar nicht verfolgen. Dazu musste man auf der Mauer stehen. Umso aufmerksamer taten das der Anführer der verteidigenden Kriegerschar und die Räte der Einwohnerschaft. Da die Stadt auf sich allein gestellt blieb, wagten die Anführer angesichts der überlegenen Technik nicht mehr, die Waffen zur Verteidigung zu erheben. Nach den in Kriegen üblichen Regeln entschieden sie sich, den Römern ein Friedensangebot zu unterbreiten, um die Stadt und ihre Bewohner zu retten. Man setzte sich im Rat zusammen und wählte eine Gesandtschaft aus angesehenen Männern. Der römische Feldherr nahm den Vorschlag, den Konflikt friedlich beizulegen, scheinbar an. Die Gesandtschaft durfte vorgelassen werden. Ihr Sprecher unterbreitete Caesar ein Friedensangebot. Es beinhaltete die damals übliche Form der Unterwerfung, indem sie sich und ihre Habe der römischen Gewalt übergaben. Allerdings baten sie darum, dass ihre Krieger bewaffnet blieben, um sich nach dem Abzug der Römer gegen andere Feinde wehren zu können. Das war eine in germanischen Stämmen gewünschte übliche Ausnahme, weil ein Germane ohne Waffen, also wehrlos, kein vollwertiger Mann mehr war. Caesar reagierte wie schon in früheren Situationen mit einem klaren Nein