It's Time to Fly. Juliana Holl. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Juliana Holl
Издательство: Readbox publishing GmbH
Серия:
Жанр произведения: Контркультура
Год издания: 0
isbn: 9783748287902
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Stimme fühlte sich kratzig an. „Du bist auf dem Turnier in Ohnmacht gefallen.“

      Ich konnte mich nicht erinnern.

      „Und wo sind meine Eltern?“

      „Dein Vater ist eben heimgefahren und deine Mutter holt kurz einen Kaffee.“

      „Was ist mit Caro?“ fragte ich ihn mit zitternder Stimme. Bevor Lucas antwortete, verdunkelte sich sein Gesicht. Er zögerte.

      „Wie fühlst du dich? Hast du Schmerzen?“

      „Was ist mit Caro?“

      „Tut dir irgendwas weh?“

      „Sag es mir! Was ist mit Caro?“ Eine böse Vorahnung beschlich mich. Sie war schwer verletzt. Ich spürte es. Es muss schlimm sein. Mir wurde kalt. Gänsehaut überzog meinen Körper. Meine Kopfhaut prickelte plötzlich. Lucas zögerte noch immer, bevor er dann doch endlich zu einer Antwort ansetzte: „Lisa.“, gequält schloss er die Augen, als würde ihm die Antwort körperliche Schmerzen bereiten. Er machte eine Pause bevor er weitersprach: „Caro… Caro ist noch auf dem Weg ins Krankenhaus verstorben. Die Ärzte konnten nichts für sie tun. Der Aufprall war zu schlimm und die Schäden irreparabel.“

      Ich brauchte ein paar Sekunden um zu verstehen was Lucas im Moment gesagt hatte. Aber es wollte einfach nicht in meinem Kopf hinein. Es ist bestimmt alles nur ein Traum, versuchte ich mir einzureden, gleich wachst du in deinem Bett, zu Hause auf. Aber ich wachte nicht auf. Es war kein Traum, alles was in den letzten Stunden passiert ist, war Wirklichkeit. Ich verstand seine Worte nicht. Ich hörte seine Worte zwar, aber ich konnte sie nicht verstehen. Nein, das konnte nicht sein. Caro ist nicht tot. Das geht nicht.

      „Nein, das kann nicht sein! Das ist nicht möglich. Bitte nicht.“ Schluchzte ich auf.

      „Bitte sag mir dass das nicht stimmt.“ Lucas nahm mich tröstend in die Arme. Der Unfall zog vor meinem inneren Auge wie ein Film ab, immer, immer wieder.

      Nein das durfte nicht wahr sein, Caro durfte nicht tot sein. Das kann nur ein Scherz sein. Aber ein Blick in Lucas´ Gesicht und ich wusste, dass es kein Witz war. Er meinte es ernst.

      Ich kann dieses Gefühl gar nicht beschreiben, es war so unwirklich. In mir zog sich alles zusammen. Es fühlte sich an, als würde irgendjemand mir das Herz aus der Brust ziehen und dann darauf herumtreten bis es nicht mehr schlug. Ich konnte nicht mehr, und ich wollte auch nicht mehr. Wo war der Ausschalte Knopf, für dieses beschissene Gefühl? Manchmal gibt es Momente, in denen eine ganze Welt zusammenzubrechen droht. Momente in denen man der bitteren Wahrheit ins Gesicht sehen muss, sodass es einem ganz schlecht wird und man weiß, dass es kein Entrinnen gibt. Und genauso fühlte ich mich jetzt.

      Der Unfall zog immer wieder vor meinem inneren Auge vorbei. Wie in Dauerschleife. Selbst wenn ich blinzelte, hörte diese Dauerschleife nicht auf, sie wurde sogar noch schlimmer. Ich hatte schon so viele Bücher über so etwas gelesen, aber keine Beschreibung kam diesem Gefühl nahe.

      Lucas strich mir immer wieder beruhigend über den Rücken. Er flüsterte beruhigende Worte, die mich aber nicht beruhigen konnten. Nichts konnte mich je wieder beruhigen. Niemals.

      Ich war drei Tage später aus dem Krankenhaus entlassen worden, mit Lucas und mir war alles wieder in Ordnung. Das Mädchen, das ich in Lucas Armen in Dänemark gesehen hatte, war seine Schwester Anna. In dieser traurigen Zeit, die irgendwie an mir vorbeizog, hatte sich einiges geklärt. Doch war das überhaupt noch wichtig? War es überhaupt noch relevant, wer dieses Mädchen gewesen war oder wer sie ist? Das ganze Gefühlschaos rückte mit einem Mal in den Hintergrund. Ich hatte meine beste Freundin verloren, fassen konnte ich das noch nicht. Wie sollte es auch anders sein. Ich hatte meine Caro verloren. Ich konnte immer noch nicht verstehen wie das passieren konnte. Ich verkroch mich in meinem Zimmer oder im Stall bei Finesse. Doch das alles geschieht ohne meine wirkliche Anwesenheit. Ich lebte, aber der Alltag zog an mir vorbei. Meine Abläufe waren mechanisch und automatisch. Ich war tot. Ich fühlte mich leer und kaputt. Wie konnte es soweit kommen? Warum war das passiert? Diese Fragen kreisten unaufhörlich in meinem Kopf. Jeden Tag und jede Nacht. In den Nächten hatte ich Albträume. Ich erlebte den Unfall jede Nacht aufs Neue. Und jedes Mal wachte ich schweißgebadet auf. Ich lebte wie in Watte. Ich atmete, aber in mir war kein Leben mehr. Caro hatte meine Sonne mitgenommen. Sie hatte mir mein Licht genommen. Es war weg. Für immer. Ich wollte mit niemandem reden und verschanzte mich im Stall oder in meinem Bett. Seit dem Unfall bin ich nicht mehr geritten. In Finesse´ Box saß ich im Stroh und starrte in die Luft.

      Star Light ging es zwar körperlich besser, aber seelisch dafür umso schlechter. Er hatte Glück gehabt, außer ein paar Kratzer war er körperlich fit. Aber ob man da von Glück sprechen konnte, wusste ich nicht. Seine seelische Verfassung war schrecklich. Er war traumatisiert, ließ niemanden an sich ran, biss und schlug nach allem und jedem der versuchte sich ihm zu nähern. Nicht mal Michelle, zu der er eigentlich ein gutes Verhältnis gehabt hatte, kam an ihn heran.

      Wenn man sich seiner Box auch nur näherte, riss er die Augen auf, bleckte die Zähne und stieg so hoch, dass seine Hufe eine ganze Weile über dem Boden schwebten.

      Ich war gerade in der Box von Finesse, als sich Katharina und Sebastian Schneider, die Eltern von Caro, im Stall mit Michelle unterhielten:

      „Ich würde ihn einschläfern, so können wir Star Light unter keinen Umständen verkaufen. Er ist bösartig und gemeingefährlich. Ein solches Tier ist unberechenbar“, das war Sebastian, er hatte weder für Pferde noch für sonstige Tiere etwas übrig. Ihm war ein Auto oder irgendein Gefährt, bei dem Gas und Bremse immer funktionierten tausendmal lieber.

      „Das kannst du nicht machen, Caro hat ihn so geliebt, wir können einen Pferdeflüsterer beauftragen. Vielleicht kriegt so einer Star Light wieder hin. Bitte Schatz!“, bettelte Katharina Schneider. Sie hatte es längst aufgegeben, ihre Tränen zu unterdrücken. Ich verstand Sebastian nicht. Wie konnte er in so einer Situation über so etwas überhaupt nachdenken? Natürlich ging jeder anders mit Trauer um, aber ein paar Wochen nach dem Tod von seiner Tochter konnte er doch nicht so reden. Ich kämpfte täglich mit mir um aufzustehen und weiterzumachen und er überlegte sich, wie er das Pferd seiner Tochter schnellst möglichst loswerden konnte. Wie konnte er nur so kalt und emotionslos sein? Ich saß mit dem Rücken zur Boxenwand und vergrub mein Gesicht in meinen Händen.

      „Ähm“, räusperte sich Michelle.

      „Ich kenne da jemanden, der sich mit alternativen Heilmitteln auskennt. Sowas hat schon oft funktioniert und ich sehe das als einzige Chance für Star Light. Er ist nicht dumm und auch nicht unberechenbar, er ist traumatisiert. Dafür kann er nichts.“

      „Und du glaubst, dass das funktioniert?“, fragte Sebastian Schneider zweifelnd.

      „Ja, nicht immer, aber oft. Wie schon gesagt, sehe ich das als einzige Chance für Star Light. Ich frag sie einfach mal.“

      „Sie?“ fragte Sebastian Schneider skeptisch.

      „Ja eine sie, oder traust du solche Jobs Frauen nicht zu?“, fragte Michelle leicht spöttisch. Sie hatte sich noch nie von Sebastian einschüchtern lassen.

      „Doch natürlich.“ Sebastian Schneider stotterte verlegen.

      „Die meisten Pferdeflüsterer sind weiblich.“, belehrte Michelle ihn worauf Sebastian nichts sagte. Nach ein paar Minuten lief er mit seiner Frau hinaus auf den Parkplatz, der direkt neben dem Stall war.

      Star Light tat mir leid, ich wollte ihm helfen war mir aber nicht sicher, ob ich es schaffen würde. Wenn ich mit ihm arbeiten würde, würde der Tod von Caro realer werden. Konnte ich das? Ich war es Caro schuldig, dafür zu sorgen, dass Star Light getötet werden würde. Ich musste ihm helfen. Zumindest musste ich es versuchen. Weder Katharina und Sebastian Schneider, geschweige denn meine Eltern würden mir erlauben, mich in die Nähe von Star Light zu begeben. Also musste das ganze geheim ablaufen. Es tat so unglaublich weh, dass Caro nicht mehr da war. Sie hinterließ ein so großes Loch, dass ich nicht wusste, wie ich alles schaffen sollte. Ich lag am Boden aber vielleicht konnte mich genau dieses Pferd, das sie in den Tod getrieben hatte, helfen wieder aufzustehen. Star Light war nicht schuld an