»Ich habe eine bessere Idee«, sagte Mortimer und führte Shenmi nach vorne. »Ich möchte, dass Sie den Startschuss für unser Projekt geben. Sehen Sie den Knopf dort drüben?« Er deutete auf die stahlgraue Konsole, die den überwiegenden Teil der hier verbauten Hardware enthielt. Das Ding sah ziemlich militärisch aus. Auf der Oberseite befand sich ein Sockel, aus dem ein einzelner roter Knopf herausragte.
»Wenn Sie nichts dagegen haben, würde ich Sie bitten, ihn zu gegebener Zeit zu drücken. Wir starten jetzt noch eine letzte Simulation, dann kann es losgehen.«
»Wie aufregend.« Shenmi presste Posh an ihre Brust. Der Köter stieß ein wütendes Kläffen aus. Mortimer rang sich ein Lächeln ab.
Das CDC bildete das Rückgrat seiner Firma und war in diesem Moment mit sämtlichen Erdteilen verbunden. Die Zentrale von GlobalGames war wie ein gigantisches Lebewesen, dessen Augen und Ohren auf die ganze Welt gerichtet waren. Die Hardware stammte von der Harry S. Truman, einem Flugzeugträger der Nimitz-Klasse. Diese galten als die größten Kriegsschiffe der Welt. Anfang 2010 hatte man die Truman auf ein neues System umgerüstet und die alten Rechner ausgebaut. Eigentlich war geplant gewesen, die Hardware zu verschrotten, doch Mortimer, der über entsprechende Kontakte verfügte, erkannte seine Chance und erwarb den Kram für einen Spottpreis. Eine Investition, die er nie bereut hatte.
»In Ordnung«, rief er. »Dann wollen wir mal. Wie sieht es mit Australien und Neuseeland aus?«
»Ist online«, rief einer der Mitarbeiter zurück. Auf der Karte blitzte der Kontinent grün auf.
»Ozeanien?«
»Ebenfalls.«
»Asien?«
»Alles auf Go.«
»Afrika?«
»Grünes Licht.«
»Europa.«
»Aber so was von.«
»Südamerika?«
»Go.«
»Nordamerika?«
»Was für eine Frage. Natürlich grün.«
»Antarktis?«
Schlagartig wurde es still. Alle Anwesenden sahen ihn entgeistert an. So lange, bis Lisa laut loslachte. »Der war gut.«
Mortimer grinste. »Nicht wahr? Fast hätte ich euch erwischt.«
Shenmi Stevenson blickte verwundert. »Wieso, was ist mit der Antarktis?«
»Dort leben im Sommer viertausend Menschen, den Rest des Jahres deutlich weniger. Für den Vorentscheid lohnt das nicht. Allerdings könnte es später für den eigentlichen Contest interessant sein. Wir arbeiten noch daran.«
»Verstehe …«
Mortimer ließ seinen Blick über die Karte schweifen. Sämtliche Länder leuchteten grün, alle Module waren auf Stand-by. Der Anblick ließ sein Herz höherschlagen. Dass sie es so weit gebracht hatten, war das Ergebnis von zwölf Monaten intensiver Recherche und Arbeit. Während der Anfangsphase hatten Hunderte von Mitarbeitern rund um den Erdball Module angebracht. Manche von ihnen an abgelegenen oder schwer zu erreichenden Orten. Die GlobalGames-Mitarbeiter mussten im Verborgenen arbeiten, nichts durfte nach außen dringen. Es galt, das gesamte Spiel unter den Augen der Öffentlichkeit vorzubereiten, ohne dabei erwischt zu werden. Das musste auch so bleiben. Hätte es jemand bemerkt und ausposaunt, die ganze Arbeit wäre umsonst gewesen. Die öffentlichen Medien würden erst in der zweiten Phase des Spiels, dem sogenannten Contest, zum Zuge kommen. Dann aber mit voller Durchschlagskraft. Das Timing war von entscheidender Bedeutung. Alles stand und fiel mit dem richtigen Moment. Doch das war noch Zukunftsmusik. Erst mal musste der Vorentscheid glatt über die Bühne gehen.
Mortimer lächelte angespannt. »Gut gemacht, Leute. Ms Stevenson, das ist Ihr Zeichen. Wären Sie so freundlich, den Knopf an dem Pult neben der Weltkarte zu drücken? Er setzte alle Module online. Der Vorentscheid ist damit offiziell eröffnet.«
»Oh, wie aufregend.« Shenmi trat auf ihn zu. »Ich denke, es wäre besser, wenn ich dafür die Hände frei hätte, nicht wahr? Wären Sie so gut, Posh für einen Moment zu halten?«
Mortimer zuckte zurück. Es gab jedoch keinen Grund zur Sorge. Posh wirkte entspannt, geradezu friedlich. »Ja, sehr gerne, Ms Stevenson.« Er streckte die Hände aus.
Doch er hatte sich zu früh gefreut. Kaum lag Posh in seinen Armen, änderte sich ihr Verhalten. Mortimer spürte, wie sie sich verkrampfte. Sie wurde zappelig, versuchte auszubrechen. Mortimer ließ das nicht zu. Mit stählernem Griff zwang er das Tier, ihm zu gehorchen. Nicht heute, du Biest, dachte er. Nicht an meinem großen Tag.
Shenmi stand vor dem Pult mit dem Knopf, die Hand darüber ausgestreckt. Ihr Lächeln war von strahlender Schönheit. »Dann wollen wir mal«, rief sie. »Lasst uns Geschichte schreiben. Alle bereit? Drei … zwei … eins.«
Sie ließ die Hand auf den Knopf sausen.
Mortimer zuckte zusammen. Vielleicht griff er dabei etwas zu fest zu, denn Posh stieß ein schrilles Jaulen aus. Sofort lockerte Mortimer seinen Griff. »Sorry«, flüsterte er.
Die Hundedame starrte ihn an. Ein dumpfes Knurren stieg aus ihrer Kehle, während sie langsam ihre messerscharfen Eckzähne entblößte. Dann biss sie in Mortis Hand.
11
Freitag, 15. Juli. Letzter Schultag …
Tim verließ die Schule und gesellte sich zu den anderen. Der Vorplatz war gerammelt voll. Der Großteil seiner Mitschüler hatte sich draußen vor dem Schulgebäude versammelt und die Luft war erfüllt von Freudenrufen und Gelächter. Aus der Parallelklasse spielten einige laut scheppernd Fußball mit einer Red-Bull-Dose.
»Na, Alter, endlich Ferien, was?« Max Reininger, der Klassensprecher, klopfte Tim auf die Schulter. »Sechs Wochen mal nicht an den Scheiß hier denken, das hat doch was. Wohin geht’s denn bei dir?«
Tim hatte keinen Bock zu beichten, dass er nicht verreisen würde. »Holland«, log er deshalb.
»Geil. Wohin denn da?«
»Brügge.«
Max runzelte dir Stirn. »Brügge liegt aber in Belgien.«
»Meinte ich ja auch.«
»Mhm, na ja, du wirst das schon noch rausbekommen. Und ihr?«, wandte sich Max nun zum Glück an die anderen. »Wohin geht’s bei euch?«
Tim verabschiedete sich von seinen Freunden, ging zum Fahrradkeller und holte sein Bike. Farid war schon nicht mehr da, er war gestern mit seinen Eltern in Richtung Türkei aufgebrochen. Offenbar wegen irgendeiner Hochzeitsfeier.
Tim verließ das Schulgelände mit gemischten Gefühlen. Erleichtert, weil er es wieder mal geschafft hatte, die Hürde zu überspringen und in die nächste Klasse zu kommen, traurig, weil jetzt die Ferien anfingen und er seine Kumpels für lange Zeit nicht sehen würde.
Dennoch konnte er es nicht erwarten, nach zu Hause zu fahren. Heute Morgen hatte er persönlich ein Paket in Empfang nehmen müssen. Der Bote war etwas genervt gewesen, weil es der vierte Zustellungsversuch gewesen war. Kein Wunder, Dad war gerade im Stress wegen eines großen Bauprojektes und Emily musste grundsätzlich früher in die Schule. Aber jetzt hatte es endlich geklappt: Sein Dad hatte ihn aus dem Bett gezerrt und nun wartete das Ding auf Tims Schreibtisch.
Während der Fahrt nach Hause grübelte er, was ihm alles an der Paketübergabe komisch vorgekommen war: der Bote in seiner roten Uniform. Das Elektroauto mit den großen türkisfarbenen Buchstaben SE. Und dann diese Gesichtskontrolle!
Ob Annika das gemeint hatte, als sie von großen Dingen sprach? Er nahm sich vor, sie bei nächster Gelegenheit zu fragen.
Auf dem Stick, den er in der »Nimm