Als Rhea nun im Begriff war, Zeus zu gebären, den künftigen Herrscher im Olymp, wandte sie sich an Gaia, die nun wiederum eine List ersann. Den neugeborenen Zeus brachten sie unbemerkt nach Lyktos auf Kreta, wo er in einer Höhle des bewaldeten Berges Aigaion ganz im Verborgenen aufwuchs. Dem Kronos wurde aber statt des Kindes Zeus ein in Windeln gewickelter Stein gegeben, den dieser auch verschlang. Als Zeus dann herangewachsen war, gelang es ihm, Kronos zu besiegen, ja überdies zwang er ihn auch, die von ihm verschlungenen Kinder wieder auszuspeien. Zudem musste er auch die Kyklopen wieder freigeben, die von Kronos in den untersten Tartaros verbannt wurden; dankbar für ihre Befreiung stellten die Kyklopen dem Zeus ihre Waffen, Blitz und Donner, zu Verfügung.
Kronos, ein Gott, der seine eigenen Kinder verschlingt – ist er nicht fürwahr ein Monster? Nach neuester Forschung ist die Vorstellung, dass mehrere Götter-Generationen aufeinander folgen, eine orientalische. Davon abgesehen weist Kronos auch durchaus angenehme Züge auf. In Italien, wo er Saturnus hieß (ursprünglich Saeturnus, der Schutzherr des Säens), feierte man nach Beendigung der Herbstsaat ihm zu Ehren vom 17. bis zum 21. oder 23. Dezember das Fest der Saturnalien mit Festessen, gegenseitigem Beschenken und Befreiung der Sklaven von ihrer gewöhnlichen Arbeit. Die Wachskerzen, die sich regelmäßig unter den Gaben befanden, deuteten auf die nun zu erwartende Zunahme des Sonnenlichtes hin. So war Saturnus auch ein Gott der Wintersonnenwende, der auf das kommende Licht hinwies.
Nach seinem Sturz wurde Kronos auf die Insel der Seligen gebracht, die auch Ogygia genannt wird; sie liegt im „Kronos-Meer“, worunter die antiken Schriftsteller die Nordsee verstanden. Auf dieser Insel Ogygia schläft Kronos in einer unterirdischen Grotte; jedoch klingt die Beschreibung der Insel nach Plutarch ziemlich phantastisch: „Denn wunderbar sei die Natur der Insel und die Milde der sie umwehenden Luft (…). Kronos selbst sei schlafend von einer tiefen Höhle aus goldfarbenem Gestein umschlossen; der Schlaf sei als Fesselung von Zeus über ihn verhängt; Vögel, die vom Gipfel des Felsen her hereinflögen, brächten ihm Ambrosia, und die ganze Insel sei von einem Wohlgeruch erfüllt, der sich vom Felsen her wie von einer Quelle verbreite. Jene Dämonen versorgten und bedienten den Kronos und seien seine Gefährten gewesen damals, als er über Götter und Menschen König war.“35
Die Götter des Olymp
Nach dem Sturz des Kronos und der Verbannung der Titanen in den Tartaros schien die Herrschaft der Olympier endgültig gefestigt. Die Olympier – darunter versteht man das von Zeus und seinen Geschwistern begründete Göttergeschlecht, das seinen Namen deswegen trägt, weil es auf dem Olymp residiert. Der Olymp ist ein hohes Gebirge an der Ostküste Griechenlands, in Makedonien unweit der Ortschaft Litichoro, und der höchste Gipfel dieses ganz aus mesozoischen Kalksteinen bestehenden Massivs ragt bis zu einer Höhe von 2918 Metern auf. Sicherlich haben die alten Griechen nicht wörtlich geglaubt, dass auf diesen ewig wolkenverhangenen Gipfelhöhen des Olymp die Götter leben würden; vielmehr war der „Olymp“ ein Metapher für den „Himmel“, den ewigen Wohnort der Götter.
Dass die Götter auf den Gipfeln hoher Gebirge leben, war in der Mythologie der indogermanischen Völker eine durchaus gängige Vorstellung. Die Titanen, die Vorgänger der Olympier, hausten auf dem Berg Othrys, und in der indischen Mythologie haben wir den Götterberg Meru, der nach altindischer Kosmologie im Zentrum des Universums steht und Wohnort der Götter ist. Der Meru versinnbildlicht den stufenförmigen Aufbau der Welten, von den niedrigen, grobstofflichen bis zu den geistigen Ebenen – er ist der Weltenberg und somit ein Abbild des hierarchisch gestuften Universums. Auch der griechische Olymp ist als ein solcher „Weltenberg“ anzusehen.
Bei den Griechen haben wir eine genealogische Abfolge von Göttern vorzuliegen; und Hesiod hat sie meisterhaft dargestellt. Unter den Olympiern im engeren Sinne versteht man die zwölf Hauptgötter: Zeus, Poseidon, Hera, Demeter, Apollon, Artemis, Athene, Ares, Aphrodite, Hermes, Hephaistos und Hestia – dies sind neben Zeus selbst seine vier Geschwister und sieben seiner Kinder. Eine Sonderstellung unter den Göttern nimmt Hades ein, der an sich zu den Geschwistern des Zeus gehört, jedoch in der Unterwelt regiert; auch Dionysos ist kein „echter“ Olympier – er wurde von Zeus mit einer sterblichen Frau gezeugt.
Die Zwölfzahl der Götter war in der antiken Welt durchaus geläufig. In Rom gab es die Dii consentes, eine Gruppe von 12 Göttern, die ganz ihren griechischen Vorbildern glichen (der Dichter Ennius erwähnt sie im 3. Jahrhundert v. Chr.). Die den Römern benachbarten Etrusker kannten einen Götterrat von 12 Mitgliedern, an deren Spitze Tinia stand, ein Donner- und Gewittergott ähnlich dem Zeus. Und die germanischen Götter? Nach der Snorra Edda wohnen in Asgard 12 Asen, unter ihnen Thor, Odin, Balder, Freyr und Freya.
So entsteht hier unwillkürlich der Eindruck, dass die griechischen Götter eine Art archetypisches Muster darstellen, das sich auf andere heidnische Theologien übertragen lässt. Auch ägyptische Götter und die sonstiger Völker des Altertums lassen sich mit griechischen Namen benennen, und sie entsprechen weitgehend den hinter den Namen stehenden Wahrbildern. Dies führt uns zu der Konsequenz, dass die Götter etwas durchaus Universales sind, zeit- und kulturübergreifend, daher unmittelbar zur Gegenwart unserer heutigen Zeit sprechend. In diesem Sinne wollen wir jetzt die Götter des Olymp behandeln, nicht als etwas Vergangenes, Überlebtes, sondern als geistlebendige Gestalten, die zu uns sprechen und in denen wir uns selbst ober zumindest doch Teile von uns selbst zu erkennen vermögen. Hier die olympischen Götter:
Zeus – der klassische Donner- und Gewittergott, der Blitzeschleuderer, ein patriarchalischer Göttervater, ein unumschränkter Monarch; nur die Moiren stehen noch über ihm.
Hera – des Zeus Gattin und Schwester zugleich, auch sie ein Kind von Kronos und Rhea. Schutzgöttin der Ehe und Niederkunft.
Pallas Athene – Göttin der Weisheit, des Krieges und des Kunsthandwerks, Beschützerin der Städte.
Poseidon – ein Bruder des Zeus, Gott des Meeres; sein Symbol ist der Dreizack. Er ist aber auch der „Erd-Erschütterer“(ihm unterstehen die Erdbeben), im Losverfahren wurde ihm die Insel Atlantis zugeteilt.
Hades – Totengott und Beherrscher der Unterwelt, ein weiterer Bruder des Zeus.
Demeter – die Göttin der Erde, der Fruchtbarkeit und des Ackerbaus, nicht die Erde selbst (Gaia), sondern die durch Landwirtschaft kultivierte Erde; eine Schwester des Zeus.
Hestia – eine weitere Schwester des Zeus. Sie steht für das Opferfeuer, den häuslichen Herd und die Familieneintracht. Jungfräuliche Reinheit ist ihr eigen.
Apollo – der Licht- und Sonnengott, ihm wird auch die Heilkunst, die Poesie und das Lyraspiel zugeordnet; ein Sohn des Zeus und der Leto. Bruder der Artemis.
Artemis – die Göttin der Jagd, des Waldes und des Mondes; sie wird oft mit Pfeil und Bogen dargestellt; ihr heiliges Tier ist die Hirschkuh. Schwester des Apollon.
Aphrodite – Göttin der Liebe, der Schönheit und der sexuellen Anziehungskraft; aus den Blutstrophen des Uranos entstanden (nach anderer Version: aus einer Verbindung des Zeus mit der Titanin Dione), mit Hephaistos verheiratet.
Ares – der jugendliche Gott des Krieges, stets mit Schwert, Schild und Speer dargestellt; der heimliche Geliebte der Aphrodite, ein Sohn des Zeus und der Hera.
Hephaistos – der Gott des unterirdischen Feuers, der Vulkane sowie der Schmiedekunst; er ist auch in der Baukunst bewandert. Auch ein Sohn des Zeus und der Hera.
Hermes – Gott des Handels, Schutzpatron der Reisenden, aber auch ein Gott der Diebe und Betrüger. Ein Sohn des Zeus und der Nymphe Maia, wurde als Götterbote eingesetzt.
Dies also sind die