„Sherif ist mein Name und ich wohne eine Etage tiefer“, warf er ihr hinterher.
Zögernd brachte er die Frage heraus, ob sie gerne mit ihm und Freunden essen möchte.
„Heute Abend geben wir eine kleine Party. Wir essen zusammen oben, auf der Terrasse. Ich würde mich freuen, wenn du kommst!“
Es folgte ein Moment des Schweigens, das sich eine Weile hinzog. „Wie schaut es aus?“
Sie drehte sich langsam um, öffnete den Mund, aber sie brachte kein Wort heraus. Ihr Herz raste irgendwie und schnürte ihr die Kehle zu. Ein klein wenig Farbe stieg in ihre Wangen.
„Komm einfach vorbei, wenn dir danach ist, eine Schüssel wird schon für dich übrigbleiben“, rief er ihr scherzend hinterher und schaute ihr zu, wie sie weiter leichtfüßig die Treppe hinaufflog, als wäre sie schwerelos.
Er wünschte sich sehnlichst, dass sie kommen würde.
Oben angekommen, drehte sie sich halb um und sah, dass er ihr kopfschüttelnd immer noch hinterher blickte und auf eine Antwort wartete. Er schob in gespielter Enttäuschung seine Unterlippe vor und zog leicht eine bittende Grimasse. Sie sah die gespannte Erwartung in seinen Zügen.
Sie wischte sich die hellblonden Haarsträhnen aus dem Gesicht, nickte knapp und hielt dann den Daumen mit einem Zwinkern hoch. Sie bemühte sich, ihre Begeisterung zu zügeln, aber ihre blauen Augen sprachen Bände. Ein Lächeln umspielte ganz langsam ihre Lippen und ihre Augen leuchteten. Sie schloss die Tür hinter sich und lehnte sich keuchend mit dem Rücken dagegen.
Eine nie zuvor gefühlte Verliebtheit flammte in ihr auf. Sie hatte nie geglaubt, solcher Empfindungen überhaupt fähig zu sein. Sie, die immer dachte, dass es nichts in der Welt gebe, was ihre unumstößliche Vernunft aus dem Gleichgewicht bringen könnte, streckte nun beide Armen in den Himmel, quiekte vor Freude und jubilierte innerlich.
Sie wusste, dass der Verstand nicht mehr das Kommando hatte. Aber das war ihr in diesem Moment egal. Sie wusste nur, dass sie sich im warmen Strahl der Liebe sonnte und dass sie es genießen wollte, solange es währte. Sie schloss ihre Augen ganz fest, so als wollte sie das neue Gefühl aufs Tiefste auskosten.
„Ich fürchte, ich habe nicht gründlich durchdacht, was ich tue. Ich werde mich aber nicht umstimmen lassen“, murmelte sie zu ihrer inneren Stimme, als wollte sie sich überzeugen. Wie sagte ihre Oma Hildegart immer: „Der Blitz schlägt nicht zwei Mal in denselben Baum ein.“
Sie senkte ihre Lider, als gäbe sich der vernünftige Teil in ihr geschlagen und lauschte auf das wilde Klopfen ihres Herzens in der Hoffnung recht zu behalten.
„Das Herz hat seine Gründe, die der Verstand nicht kennt“, dachte sie.
Sie schwieg einen Moment, weil sie denjenigen bewunderte, der diese unsterblichen Worte erdacht hatte. Blaise Pascal.
-7-
Unter der kleinen Pergola
Gegen Abend schlich Laura aus ihrem Zimmer. Stimmengewirr und lautes Gelächter schlugen ihr von der Terrasse entgegen. Die Party war bereits in vollem Gange. Es herrschte große Betriebsamkeit, immer mehr junge Leute drängten auf die Terrasse. Kleine Lampions beleuchteten den Abendhimmel und ließen die Terrasse freundlicher aussehen, als sie in Wirklichkeit war. Auch die Stadt wirkte von hier oben bei Nacht schön. Der Nil in dieser Ecke mit den hübschen Booten, auf denen bunte Lichterketten blinkten und ihre laute volkstümliche Habibi-Musik sorgten für etwas Heiterkeit und eine fröhliche Atmosphäre.
Auf der ganzen Terrasse duftete es nach leckerem Essen. Der Tisch, auf dem ein buntes Buffet mit vorzüglich zubereiteten Speisen angerichtet wurde, war bereits umlagert. Mit Heißhunger machten sich alle darüber her. Es gab Saubohnen in scharfer Tomatensoße und viele andere ägyptischen Spezialitäten. Dazu trank man Granatapfel-, Limonen- oder Hibiskus-Saft, alles serviert unter der kleinen Pergola, wo Onkel Hany und seine Frau Saadiya mit wendigen und energischen Bewegungen bewirteten. Sie waren die Seele der Terrasse. Während sie Getränke servierten, scherzten sie heiter mit den Gästen und versprühten gute Laune. Es gab nichts, was sie nicht mit sarkastischen Sprüchen, albernen Maskeraden oder Witzeleien kommentierten. Zwei Menschen, die lachend durchs Leben gingen, ohne die Dinge kompliziert zu machen. Ihre Geschichten waren zum Brüllen. Laura mochte ihren Dialekt. Er hatte etwas Natürliches, Unschuldiges, ja Freundliches.
Als Saadiya Laura zum ersten Mal sah, umarmte sie sie stürmisch und küsste sie auf die Wangen, während Onkel Hany sie mit überschwellender Freude begrüßte und ihre beiden Hände schüttelte.
Laura sah wie Sherif ihr zuwinkte und ihr bedeutete, sich zu ihnen zu gesellen.
„Ich hatte schon gefürchtet, du hättest es vergessen“, sagte er ihr entgegengehend. Seine Freunde bemerkten eine gewisse Nervosität, die gar untypisch für ihn war und die er zu überspielen versuchte. Sie sahen, wie ihm die Röte ins Gesicht stieg und hänselten ihn.
„Ja!!? Wie könnte ich, wo es doch so köstlich bis in mein Zimmer duftet!“, sagte sie so gelassen wie möglich, doch war ihre Aufregung nicht zu übersehen.
Sie war rot bis über beide Ohren und es kostete ihr Mühe, natürlich zu bleiben.
Sherif war Mitte zwanzig, mit seinen dunklen Augen wirkte er intelligent, er sah freundlich aus und hatte gute Manieren. Er trug eine abgewetzte Jeans und ein weißes T-Shirt, wodurch seine Bräune noch unterstrichen wurde.
Mit einer freundschaftlichen Geste fasste er sie an der Hand und manövrierte sie über die Terrasse.
Sie tauchten ein in die Menge. Es war eine bunt zusammengewürfelte Gruppe lässig gekleideter junger Menschen ihres Alters, mit rutschenden Hosen und neumodischen Undercut-Frisuren, die in ausgelassener Stimmung und guter Laune bei Tanz, Musik und Essen zusammengedrängt standen, einander umarmten, Selfies machten und mit zusammensteckten Köpfen Youtube-Videos anschauten, kommentierten, lachten und lebhaft und ungezwungen diskutierten.
Laura wunderte sich, wie offen und unbeschwert locker sie alle waren, voller enthusiastischer Zukunftspläne und vor neuen Ideen und Selbstvertrauen strotzend, als könnte ihnen nichts und niemand etwas anhaben.
Nur einer saß verdächtig still und vollkommen abseits, wie von seiner Umwelt abgeschnitten, allein in einer unauffälligen Ecke vor dem eingeschalteten kleinen Fernseher. Mit seinem strengen Gesicht saß er da in schlecht sitzender Kleidung. Unter seinem abgetragenen beigen Mantel lugte ein verwaschenes Gewand hervor, dazu trug er abgelatschte Sandalen.
Er wirkte fehl am Platz.
Er schien etwas in sich zu tragen, das ihn auffraß und innerlich zerriss. Sein Gesicht trug Spuren eines inneren Traumas.
„Das ist Ramzi!“, sagte Sherif im Flüsterton. Eine Sekunde lang dachte Laura, Sherif würde noch etwas sagen, doch er bremste sich, als hätte er sich die Zunge verbrannt.
Ein merkwürdiges Gefühl stieg in ihr hoch. Sie glaubte den Jungen mit dem zerschlissenen Mantel schon irgendwo gesehen zu haben.
Zu ihrer Überraschung erinnerte sie sich plötzlich, war das nicht der Junge, der am Freitagsgebet Spenden gesammelt hatte?
Es ist erstaunlich, wie ein Erlebnis von wenigen Augenblicken im Gedächtnis hängenbleibt.
Gedankenversunken wechselte Ramzi von einem Sender zum nächsten.
Die Bilder kamen zeitversetzt. Das, was man sah, war nicht identisch mit dem, was man hörte.
„Der Irak hat es schon wieder in die Nachrichten geschafft“, bemerkte Sherif kurz.
Die Nachrichten lauteten so düster. Laura sah beiläufig in die Luft gesprengte Häuser, Feuerflammen und Aschenflocken, Menschen in Furcht, tote Kinder, schreiende Väter, brüllende Brüder, weinende Mütter. Ungezügelte Jugendliche zerrissen die amerikanische Flagge. Andere steckten sie an. Ein amerikanischer Regierungssprecher