„Wie makaber!“, bemerkte Laura betroffen.
„Gott habe sie alle selig! Das Glück stand ihnen einfach nicht zur Seite. Glück ist wie eine launische Frau, den einen lächelt sie vielversprechend an, dem anderen zeigt sie eine eiskalte Schulter, hörte man einige Nachbarn sagen, die bei der Bergung der Leichen dabei waren. Unbekümmert und ohne jegliches Anzeichen der Reue oder Missbilligung dieser Taten, als wäre es das Selbstverständlichste auf der Welt“, erinnerte sich Professor Sander.
„Not macht viel Verbotenes erlaubt. Welchen Preis sind die Menschen bereit zu zahlen, auf der Suche nach den Schätzen dieser Welt?“, fragte Laura etwas verlegen mit gezwungener Heiterkeit, um seine Verärgerung etwas zu mildern.
Er ging auf ihren heiteren Ton nicht ein. Er gab sich Mühe, leichthin zu sprechen, doch seine Stimme versagte. Sie klang kummervoll und gereizt.
Schweigend gingen sie einige Augenblicke weiter, ehe er mit gespielter Gelassenheit Laura einen kurzen entschuldigenden Seitenblick zu warf.
„Sorry, es ist nicht richtig von mir, dass ich Ihnen gleich am ersten Tag die Ohren volljammere, aber es wäre noch schlimmer, wenn ich die hässliche und harte Seite des Jobs verschwiege. Ausgrabungsstätten sind einfach kein Ponyhof“, sagte er in dem schwachen Bemühen, seine Frustration zu kaschieren.
Mit diesen Worten gingen sie zurück zu Sanders Haus, das zwischen den welligen Dünen lag. Man konnte erkennen, dass er trotz allen Ärgers, nicht ungern hier war. Laura sah, wie er sich auf der Terrasse seiner Wohnung still, mit übereinandergeschlagenen Beinen, an dem atemberaubenden Sonnenuntergang über dem Nil erfreute. In einer Atmosphäre von Wein und Zigarrenrauch glitt sein Blick über saftgrüne Palmen Richtung Horizont, wo Sonne, Nil und Himmel sanft zu verschmelzen schienen. Es war fast zu intensiv, um echt zu sein und bot ein unglaublich romantisches Gemälde dar, als würde man den makellosen Körper seiner Geliebten betrachten. Kein Wunder, dass es den gebürtigen Deutschen an den Nil verschlagen hatte.
„Ein recht angenehmes Leben haben Sie hier!“, sagte sie zu ihm amüsiert, aber doch herzlich und er schien das gern zu hören.
Professor Sander schätzte seine Zeit in Ägypten alles in allem als die glücklichste seines Lebens, so erzählte er Laura. Er hatte etliche Länder bereist und er kannte wunderschöne Orte, aber keiner berührte ihn so sehr wie das Land am Nil. Wenn der Vollmond am Sternenhimmel stand, der Wind im Laubwerk der Palmen wisperte und er einen guten Wein trank, dann war alles für ihn wie verzaubert. Ein Balsam für seine strapazierte westliche Seele. „Der Himmel auf Erden. Dem Charme des Nil muss man einfach erliegen“, sagte er, die Augen vor Wohlbehagen glänzend.
Bereits als Student, sehnte er sich nach Ländern jenseits von Europa. Ihm war damals bewusst gewesen, dass er auf viele Fragen keine Antwort hatte, aber eine wusste er ganz genau: der Sinn des Lebens ist, den Schlüssel zum Glück zu finden und für ihn war der Orient der Ort, wo dieser Schlüssel versteckt lag.
Schon damals hatten ihn der Nil und das Leben an dessen Ufer fasziniert. Seiher gab es kein Entrinnen mehr; für ihn hatten das vorgenormte Leben und die materialistische Welt des Westens jeglichen Zauber verloren. Der Nil war die Quelle der schrankenlosen Freiheiten geworden. Wie tief er in einer Welt voller Zwänge und Ruhelosigkeit steckte und wie sinnlos und hohl sich diese Welt anfühlte, bemerkte er erst, als er das erste Mal den Nil entlangschipperte. Wie im sanften Schoß einer Mutter, so geborgen fühlte er sich auf seinem Boot im Nil. Das stetige Flüstern des Windes in den Segeln beruhigte seine Sinne. Es erfüllte ihn mit Wohlgefühl, eine nie gekannte Wärme umspülte sein Herz.
Es war schlechthin die spannendste und zugleich lohnendste Reise seines Lebens, denn sie war eine Reise zu sich selbst. Hier fühlte er sich grenzenlos glücklich. Hier hatte er die innere Ruhe erlangt, die in der westlichen Welt umso unwiederbringlicher schwand, je mehr er ihr hinterherjagte.
Er machte die beglückende Erfahrung, dass er plötzlich nicht mehr mit sich und der Welt unzufrieden war. Der Nil hatte ihn durch seine Sanftheit mit beidem ausgesöhnt.
Das erklärte auch seine besondere Vorliebe für seine Arbeit. „Die Grabungen sind mein Leben. Je tiefer ich in der Erde grabe, desto näher komme ich meinem Sehnsuchtsbild von Liebe, Nestwärme und glückseligem Dasein in einer von der Moderne ungeschändeten Welt. Ich kam nicht wegen der Arbeit in die Ausgrabungsstätten, sondern aus Liebe zur Liebe“, stellte er klar.
Laura hörte zu und ließ den feinen Sand durch ihre Finger gleiten. „Wann wird meine Liebe grünen?“, dachte sie sich in diesem Moment.
-6-
Begegnung
Es gibt Tage, die vergisst man sein Leben lang nicht. Und heute war so ein Tag. Es war der Tag, an dem Laura ihm im alten Fahrstuhl des Hauses begegnete.
„Da ist er“, sagte ihr unversehens eine innere Stimme, während der Fahrstuhl langsam nach oben ruckelte. Sie hätte schwören können, dass sie ihm noch nie vorher begegnet war, doch entdeckte sie Vertrautes in seinen Zügen, als sie für eine Sekunde einen verstohlenen Blick auf sein Gesicht erhaschte. Sie glaubte, ihn schon lange zu kennen.
Seine dichten, glänzend schwarzen Haare waren straff nach hinten gebürstet und lenkten ihre Aufmerksamkeit auf seine dunklen Augen, die von ebenfalls dunklen Augenbrauen und Wimpern umrahmt waren. Ja, es waren seine schwarzen lachenden Augen, die ihre Aufmerksamkeit fesselten. Als er ihr kurz in die Augen sah, machte ihr Herz einen heftigen Satz. Es war als würde ihr der Boden unter den Füßen weggezogen. Ihre Ohren fingen an zu rauschen und ihre Knie zitterten. Sie dachte, sie würde bewusstlos zusammenbrechen und samt Fahrstuhl nach unten rauschen. Sein Blick war wie ein Elektroschock stärkster Ladung, der ihr Herz stark zusammenzog und wieder rasen ließ, in heftiger Erregung, die ihre Brust kaum verhüllen konnte. Sie spürte, wie ihre Wangen vor Verlegenheit glühten, aus Angst er würde das Pochen ihres Herzens mitbekommen und in ihr flatteriges Innere schauen.
Er lächelte, besser gesagt seine Augen lächelten auf eine Art, die ihr das Gefühl gab, als könnte er in die tiefsten Winkel ihrer Seele blicken und als bemerkte er ihren inneren Aufruhr.
Unbehaglich blickte sie sich im Fahrstuhl um und überlegte, wie sie ihn am besten ansprechen könne, ohne gegen die vorherrschenden guten Sitten zu verstoßen. Es fiel ihr aber keine gute Gesprächseröffnung ein. Mit einem Ruck hielt der Fahrstuhl plötzlich und sie fiel ihm in die Arme.
„A wild Egyptian elevator, it hasn´t even asked us, whether we are made for each other! Whether we want something from each other“, sagte er in makellosem, geschliffenem Englisch mit einem lässigen Grinsen und einem verschmitzten Leuchten in den Augen. Seine Stimme entsprach seiner äußeren Anmut. Seine Worte schienen sie völlig zu überrumpeln. Er sah förmlich, wie sich ihre Gedanken überschlugen. Sie sah ihn an und war wie verloren. Alles andere versank.
„Kismet, Maktub - Schicksal!!?“, entfuhr es ihr, um selbst auch die Situation mit Humor zu meistern. Sie räusperte sich verlegen. Rote Flecken erschienen auf ihrem Gesicht. Ihre eigene Stimme klang ganz seltsam in ihren Ohren, weil sie nie so gesprochen hatte, weil ihr etwas ausrutschte, was sie nicht kontrollieren konnte und weil sie das ungute Gefühl beschlich, sie würde nicht rational handeln.
Bei Laura, dem kühlen und sachlichen Typ, hatte der Verstand immer das Kommando gehabt. Alles, was dem Verstand nicht unterlag, war fatal.
Er lächelte wieder, um ihr die Verlegenheit zu nehmen. Sein Lächeln war einnehmend und verlieh ihm eine sympathische Ausstrahlung, die seine Gegenwart wohltuend erscheinen ließ.
Sie merkte, wie sie etwas zögerlich sein Lächeln erwiderte und ihre Hand ausstreckte,