„Dann gibt es also keinen Zweifel, dass die Regensteiner hinter dem Anschlag stecken …“, bemerkte er sinnend, nachdem die beiden verstummten. „Das ist eine üble Geschichte … eine sehr üble …“ Er schaute in die Runde. „Nun denn, was meint ihr, was sollen wir tun?“
„Zuerst müssen wir die Heimburger benachrichtigen“, warf Otto hitzig ein. „Gemeinsam müssen wir vor den Regenstein ziehen und die Burg erstürmen!“
„Erstürmen? Was glaubst du, wie viele Männer der Regensteiner auf seiner Burg hält?“ Egino schüttelte den Kopf.
Otto zuckte mit den Schultern. „Was weiß ich“, stieß er unmutig hervor, „und selbst wenn es hundert wären, müssten wir trotzdem …“
„Es werden etwa dreißig oder vierzig sein“, unterbrach ihn sein älterer Bruder, „und um eine solche Burg, die von vierzig Männern verteidigt wird, zu erstürmen, bräuchten wir wenigstens dreihundert Kriegsleute, für eine Belagerung immerhin noch …“
„Für eine Belagerung fehlt uns die Zeit“, fuhr Mechthilds künftiger Gemahl dazwischen. „Wir müssen Mechthild dem räudigen Köter entreißen, bevor … er mit ihr etwas … anstellt, was …“ Vor Wut knirschte er so heftig mit den Zähnen, dass er nicht mehr weitersprechen konnte.
„Ob nun Belagerung oder Sturm, auf jeden Fall brauchen wir Hilfe!“ Egino schlug entschlossen mit der Faust auf den Tisch. „Mit dem ersten Tageslicht geht ein Bote zur Heimburg, Herr Anno und sein Sohn Abbo müssen über den räuberischen Streich des Regensteiners benachrichtigt werden!“
„Das mach ich selbst!“, rief Otto eifrig, „Anno wird Rat wissen. Und er hat etliche Freunde, die uns beistehen werden!“
„Gut“, stimmte der etwa anderthalb Jahre ältere Bruder zu, „aber auch das reicht noch lange nicht aus. Wir brauchen noch deutlich mehr Zuzug, wenn wir deine Mechthild befreien wollen.“
Er wandte sich an seine ihm gegenübersitzende Mutter. „Was meinst du, wird uns dein Bruder, unser Oheim, der Graf von Mansfeld Beistand leisten?“
Da brauchte Frau Sigena nicht lange zu überlegen. „Das wird er“, erklärte sie entschieden, „mit all seinen Reisigen, wenn wir ihn darum bitten.“
„Dann reite ich gleich morgen zu ihm“, entschied Egino.
„Und ich begleite dich“, erklärte die Mutter, „und ich werde Hoyer die Hölle heißmachen, wenn er nicht auch noch den letzten Küchenjungen bewaffnet und ins Feld schickt!“
„Verzeiht mir, ihr Herren“, warf Gerold, der dem Gespräch bisher aufmerksam zuhörend gefolgt war, ein, „ich bin zwar nur allein und im Kampf noch recht unerfahren, aber auch ich stelle mich euch zur Verfügung, wenn ihr meine Hilfe annehmen wollt.“
„Ich danke dir“, dröhnte Otto und fügte hinzu: „Wer drei von diesen regensteinischen Schweinen abgekehlt hat, der ist beileibe nicht unerfahren. Es wird mir eine Ehre sein, Seite an Seite mit dir zu kämpfen!“
„Herr Gerold, Ihr seid unser Gast“, bestimmte Egino, der Burgherr, „Mutter, Mathilde, bitte sorgt für eine Schlafstatt und für das leibliche Wohl unseres wackeren Freundes.“
„Ich werde mich gleich um ein Abendmahl für Ge… Herrn Gerold und mich kümmern“, rief Mathilde, „ich habe nämlich auch Hunger, schließlich habe ich seit heute Morgen nichts mehr gegessen.“
„Also dann ist alles gesagt“, fasste Egino zusammen und erhob sich. „Mit dem ersten Tageslicht brechen wir auf. Und jetzt geht alle zu Bett. Es folgen anstrengende Tage.“
*
Während die von Mathilde und Gerold alarmierten Konradsburger bereits Pläne für ihre Befreiung schmiedeten, stand Mechthild von Heimburg vor dem lässig auf einem schön geschnitzten Lehnstuhl sitzenden Poppo von Regenstein.
Nachdem die Jungfrau von den rohen Knechten, die sie überfallen und ihre beiden Begleiter vor ihren Augen niedergemetzelt hatten, auf den Regenstein gebracht worden war, hatte man sie zunächst in einer kleinen, dunklen Kammer eingesperrt, ohne ihr auf ihre Fragen, Bitten und Beschwörungen auch nur die geringste Antwort zu geben. Erst nach einer längeren Spanne angstvollen Wartens hatte man sie wortlos aus ihrem Gefängnis geholt und durch enge Flure und über dunkle Stiegen in das Gemach des Burgherren gebracht.
Der Regensteiner war kein schöner Mann, seine rötlich gefärbten Haare begannen bereits schütter zu werden, seine krumme Nase, die seinem Antlitz einen lauernden, raubvogelartigen Ausdruck verlieh, war zu groß geraten und die Farbe seiner Augen war von einem glanzlosen, wässrigen Grau. Auch nannte er mit seinen eher schmalen Schultern und seinem eingefallenen Brustkorb nicht gerade die Statur eines Recken sein Eigen, worüber weder seine ausgesucht teure Kleidung, noch die schwergliedrige, goldene Kette, mit der er sich behangen hatte, hinweghelfen konnten.
Obwohl Mechthild eine nagende Angst in sich spürte, die ihr die Knie zittern ließ, bemühte sie sich tapfer Haltung zu wahren und dem Frechling entschlossen entgegenzutreten.
„Was wagt Ihr, Poppo!“, herrschte sie den vor ihr Sitzenden mit bemüht hoheitsvoller Miene an. „Wie ein Straßenräuber habt Ihr uns überfallen, meine Knechte ermorden und mich hierher entführen lassen! Schämt Ihr euch nicht? Euer Tun ist eines Adligen nicht würdig! Ihr seid ein … ein nichtswürdiger Bube!“
Unbeeindruckt von den Worten Mechthilds ließ der Regensteiner seine Blicke über die gut gebaute Gestalt seiner Gefangenen, von deren Formen ihr eng anliegendes Kleid einiges preisgab, gleiten und leckte sich wie ein Hund über die trockenen Lippen.
Wie oft hatte er die hübsche, brünette Mechthild mit Blicken verschlungen, wenn er ihr bei seinen gelegentlichen Besuchen auf der Heimburg oder bei seinen Ausritten begegnet war. Wie sehr hatte er sich nach ihr verzehrt und wie maßlos enttäuscht und voll abgrundtiefem Zorn war er gewesen, als ihm ihr Vater in knappen, kalten Worten mitteilte, dass sich das hochnäsige Fräulein für Otto, den erbärmlichen Hungerleider von der Konradsburg entschieden hatte. Und dies nur, weil dieser aus einem Geschlecht edelfreier Herren stammte, während seine eigenen Vorfahren Dienstmannen des Bischofs von Halberstadt gewesen waren. Als ob die Heimburger nicht selber vom König eingesetzte Ministerialen wären.
„Hört mich an Poppo“, begann Mechthild erneut, „was auch immer Ihr mit dieser Untat bezweckt habt, noch ist es nicht zu spät für eine Umkehr. Wenn Ihr mich ziehen lasst, dann werde ich mich bei meinem Vater dafür einsetzen, dass er Euch verzeiht und Euch nicht zur Rechenschaft ziehen wird.“
Der Herr des Regensteins lachte schallend.
„Ja, glaubst du denn allen Ernstes, dass ich dich hierher bringen ließ, um dich sogleich wieder laufen zu lassen? Ich habe dich auf den Regenstein geholt, damit du meine Gemahlin wirst!“
Die schöne Jungfrau glaubte, ihren Ohren nicht zu trauen. Bisher hatte sie noch daran geglaubt, dass der verruchte Poppo von ihrem Vater ein Lösegeld erpressen wollte. „Seid Ihr von Sinnen! Ich bin Otto von Konradsburg versprochen, dem Mann, dem mein Herz gehört. Für Euch empfinde ich nichts als Abscheu und Widerwillen!“
„Und doch wirst du mein Weib“, erwiderte Poppo in drohendem Ton, „denn du bist in meiner Gewalt und deine Beleidigungen nützen dir gar nichts! Wenn du nur willst, dann kann all das hier“, seine beringte Hand beschrieb einen das ganze Zimmer umfassenden Kreis, „dir gehören, wenn du dich aber starrköpfig zeigst, dann wirst du zu spüren bekommen, dass ein Regensteiner eine widerspenstige Stute zu zähmen weiß!“
Erst jetzt bemerkte Mechthild, wie prachtvoll das Gemach ausgestattet war. Doch der protzig zur Schau gestellte Reichtum vermochte sie ebenso wenig zu beeindrucken, wie die prunkvolle Kleidung des Burgherrn. Der Regensteiner hatte wohl gemeint, die Entführte durch die wahllose Zusammenraffung einiger Luxusgegenstände blenden und sich seinen Wünschen geneigter machen zu können, doch die damit offenbarte Maßlosigkeit zeugte in den Augen Mechthilds nur von schlechtem Geschmack.
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