In der Mitte aber, in der Mitte vorn auf dem Tisch steht meine Schreibmaschine, und diese Schreibmaschine liebe ich, ich habe sie von meinem Vater, der sie von seinem Schwiegervater hat, sie ist mindestens fünfzig Jahre alt, und ich lasse sie immer wieder pflegen und reparieren, wenn ihr etwas fehlt, und wenn ich vor ihr sitze, bin ich fast wie der Säufer, der vor seiner Flasche sitzt, aber ein bisschen bin ich auch wie ein Adler, der jetzt dann gleich seine Schwingen ausbreitet und sich in die Luft erhebt.
F.H.
Tischgenossen
Zu meinen Tischen gehören ein paar blanke oder mit bunten Kunstfasertüchern bedeckte Wirtshaustische im Zürcher Milchbuck-Quartier. Ich teile sie mit Leuten, die ihre Ellbogen schwer aufstützen, als müssten sie die Möbel am Wachsen hindern.
Gestern, am späten Nachmittag, saß eine Frau Mitte fünfzig mir gegenüber, die einen Teebeutel mit den Fingern ausquetschte und die Finger am Tischtuch abrieb. Dann kam ein etwa zehn Jahre jüngerer Mann dazu mit flehenden Augen und mit Lippen wie Himbeeren; er gab der Frau die Hand, tat das aber so zögernd, dass die Begrüßung, wohl gegen seinen Willen, eher bedeutungsvoll als flüchtig ausfiel. Er setzte sich neben sie, bestellte ein Bier, eine «Stange». Nach dem ersten Schluck begann er zu schimpfen: sie habe versprochen, da nicht mehr hinzugehen, nun sei sie da doch wieder hingegangen. Die Frau zwinkerte mit den Lidern; sie hatte Mühe standzuhalten, blickte gewissermaßen gegen den Strom. «Du trinkst alles durcheinander», sagte sie, «Wein und Bier durcheinander.» Er, sehr bitter, stellte richtig, er habe nur dieses eine Glas Bier, es sei das erste, und von Wein könne schon gar nicht die Rede sein. «Ist ja auch noch nicht Abend», presste sie heraus. Die beiden verstummten. Nach einer langen Pause stand die Frau mit einem Ruck auf, die Augen kalt und leer, um sich an einen Nebentisch zu setzen, wo sie ihren Tee, wie sie im Gehen sagte, in Ruhe trinken könne.
Als ich nach meiner Jacke griff und mich mit einem Wort vom Mann und mit einem Nicken von der Frau verabschiedete, spürte ich Respekt vor der Verzweiflung des Paares.
J. Sch.
Im Sex-Shop
In meinem Quartier befindet sich auch ein Sex-Shop.
Dort sitzt, umgeben von Lederpeitschen, Massagestäben, Liebeskugeln, künstlichen Gliedern und Titelbildern, auf denen sich Mädchen mit weit aufgerissenen Schenkeln lustvoll begatten lassen, eine freundliche alte Frau an der Kasse, und während aus der Pornofilmkabine geseufzt und gestöhnt wird, strickt sie an einem Pullover, den sie sogleich sinken lässt, wenn man die Präservative vor sie hinlegt. Sie steckt sie in einen Briefumschlag, klebt diesen mit Scotchband zu, kassiert das Geld, und während man sich verabschiedet und diskret durch den Ladeneingang in den sonnigen Nachmittag hinaustritt, nimmt sie den Pullover wieder auf und strickt weiter, im Licht von farbigen Lämpchen, allein mit dem Seufzen und Stöhnen der Videokabine.
F.H.
Das Ereignis
Ein Bräutigam trat, die Braut auf den Armen, über die Schlafzimmerschwelle. Er setzte die Braut auf einen Stuhl und sich selber auf einen anderen.
Die Hochzeitsnacht, das wussten beide, war eine besondere Nacht; nun waren sie gespannt auf das Ereignis, das mit glänzenden Gesichtern stets bloß angedeutet, nie ausgeplaudert worden war. So saßen sie und warteten. Der Bräutigam lockerte seine Krawatte, die Braut legte den Brautkranz, der ihr zum rechten Ohr hin verrutscht war, auf die Glasplatte des Rauchertischchens. Sie schwiegen und horchten, als könne ihre Aufmerksamkeit dem Ereignis die Ankunft erleichtern. Das Geräusch des Aufzugs ließ sie den Atem anhalten, obwohl sie ahnten, dass eher das Blähen des Vorhangs vor dem offenen Fenster dazu geschaffen war, etwas anzukündigen.
Der Kopf des Bräutigams war schon dreimal vornübergesunken und zweimal mit einem Seufzer wieder hochgekommen, als die Braut ihm vorschlug: «Leg dich hin. Ich wache einstweilen.»
Der Mann gehorchte mit einem sympathischen linkischen Widerstreben. «Du weckst mich, gell –» sagte er, tiefer atmend, und schon schlief er.
Nun war die Braut allein mit dem Auf-und-Ab dieser Männerbrust, die dann und wann bereits von einem Schnarchen erschüttert wurde. Sie sah zwei behaarte Handrücken; sie wusste, dass die in den Ärmeln versteckte Haut ähnlich aussah, und ohne Umschweife stellte sie sich auch die Brust ganz behaart vor. Dieses letzte Bild rückte immer näher, bis sie es nicht mehr sah, nun aber zu riechen glaubte. Als ein lautes Schnarchen des Mannes sie aufschreckte, merkte sie, dass sie für einen Augenblick eingenickt war.
Sie weckte den Bräutigam. Der blickte sie so verwundert an, als sei sie das Ereignis. Er erhob sich, und sie legte sich hin. Sie spürte die Wärme, die er hinterlassen hatte.
Jetzt war er es, der wachte. Mit schweren Lidern schaute er sie an, wie sie dalag, auf dem Bauch, eine Faust um einen Zipfel des Kissens gepresst. Er betrachtete ihre Fußsohlen. Diese kleinen Landschaften hatte er noch nie oder noch nie so ungestört und so deutlich gesehen, und eine unbändige Lust, weitere Teile des weit verzweigten Frauenkörpers kennenzulernen, überkam ihn.
Als es vor dem Fenster hell wurde, löschte der Bräutigam das Licht und legte sich neben die Braut. Das Ereignis war ausgeblieben. Es konnte den Brautleuten aber, wie sich noch am selben Morgen erwies, durchaus gestohlen werden.
J. Sch.
Es ist nie zu spät
Ein junger Mann und eine junge Frau saßen auf einer Parkbank und liebkosten sich heftig. Neben ihnen saß ein älterer Mann mit einer Glatze und seufzte. «Das ist ja für mich alles vorbei», sagte er sich, dachte an seine über dreißigjährige Ehe und schaute voll Ekel zu, wie sich die Hand des jungen Mannes in die Hüfte der Frau krallte. Plötzlich dachte er: «Warum eigentlich? Wieso sollte auf mich keine Frauenhüfte warten, in die ich meine Hand krallen kann?» Und er stand auf und ging in die Hemdenabteilung eines Warenhauses, wo eine ältere Verkäuferin mit kurz geschnittenen grauen Haaren und blauen Augen wirkte, die ihm schon aufgefallen war.
Ohne Umschweife fragte er sie, ob sie mit ihm nachtessen wolle, eine Einladung, die sie gleich annahm, denn auch sie hatte gerade an ihre dreißigjährige Ehe gedacht und sich gefragt, was eigentlich die Hemden sollten, die sie all den Männern verkaufte.
Sie gingen zusammen in einen Landgasthof, wo sie auch die Nacht über blieben, und der Mann krallte seine Hände in die Hüften der Frau, dass es eine Freude war.
Von nun an ertrug er den Anblick eines Liebespaares wieder, ja er musste sogar lächeln, wenn er über die Parkbänke schaute, und die Frau verkaufte ihre Hemden mit ungewöhnlichem, fast saloppem Schwung.
Die Ehepartner der beiden jedoch, was war mit denen?
Es tut mir leid, aber die interessieren mich nicht.
F.H.
Die Ehepartner
Die Frau des Mannes mit der Glatze steht in einer bis aufs äußerste möblierten Wohnung. Die Möbel, die wertvoller aussehen als etwas, das Wert hat, schlagen, eine wütende Welle der Einrichtung, an allen Wänden empor bis hinauf zur Decke. Von ihrer Tochter hat die Frau kürzlich einen mit bäuerlichen Blumenmotiven bemalten Klosettpapier-Vorratsständer geschenkt bekommen: einen aus einem Sockel ragenden Stab, auf den man sechs Klosettpapierrollen stecken kann. Der abnehmbare Knauf, der oben den Abschluss bildet, sieht aus, als hindere er die Rollen am Weggleiten, was bei der vertikalen Anordnung des Ganzen natürlich Unsinn ist.
Die Frau steht mitten im Wohnzimmer. Sie gleicht einem Menschen, der horcht. Sie weiß, dass sie eben aus der Küche