Absolute Armut
Um einen Überblick über die Probleme der Entwicklungsländer zu ermöglichen, hat der ehemalige Präsident der Weltbank, Robert Strange McNamara, den Begriff der absoluten Armut eingeführt. Er definierte absolute Armut wie folgt:
„Armut auf absolutem Niveau ist Leben am äußersten Rand der Existenz. Die absolut Armen sind Menschen, die unter schlimmen Entbehrungen und in einem Zustand von Verwahrlosung und Entwürdigung ums Überleben kämpfen, der unsere durch intellektuelle Phantasie und privilegierte Verhältnisse geprägte Vorstellungskraft übersteigt.“
Die absolute Armutsgrenze ist bestimmt als Einkommens- oder Ausgabenniveau, unter dem sich die Menschen eine erforderliche Ernährung und lebenswichtige Bedarfsartikel des täglichen Lebens nicht mehr leisten können. Die Weltbank sieht Menschen, die weniger als 1,90 PPP-US-Dollar pro Tag zur Verfügung haben, als „arm“ an. Betteln und Hunger(-tod) gehen somit unmittelbar mit dem Begriff der absoluten Armut einher.
Kritiker merken an, dass die unterschiedlichen Lebensverhältnisse in einer Gesellschaft unberücksichtigt blieben und insbesondere nach dem Indikator der Weltbank, den Kaufkraftparitäten, dass nach dessen durchschnittlichen Warenkorb die relativ günstigen Dienstleistungen berücksichtigt würden, die allerdings von den Ärmeren einer Gesellschaft nicht in Anspruch genommen werden können. Dadurch gälten weniger Betroffene als arm.
Indikatoren der absoluten Armut nach der International Development Association (IDA)
• Pro-Kopf-Einkommen (PKE) < 150 US-$/Jahr
• Kalorienaufnahme je nach Land < 2160–2670/Tag
• Durchschnittliche Lebenserwartung < 55 Jahren
• Kindersterblichkeit > 33/1000
• Geburtenrate > 25/1000
Relative Armut
Der Begriff der relativen Armut bedeutet Armut im Vergleich zum jeweiligen sozialen (auch staatlichen, sozialgeographischen) Umfeld eines Menschen. In diesem Zusammenhang bezieht sich relative Armut auf verschiedene statistische Maßzahlen für eine Gesellschaft (zum Beispiel auf den Median des gewichteten Nettoäquivalenzeinkommens). Relative Armut macht sich auch durch eine soziokulturelle Verarmung bemerkbar, womit eine fehlende Teilhabe an bestimmten sozialen Aktivitäten als Folge des finanziellen Mangels gemeint ist (wie z. B. Theater- oder Kinobesuch, Klassenfahrten).
Transitorische und strukturelle Armut
Armut kann zeitweise oder dauerhaft vorhanden sein.
Transitorische (vorübergehende) Armut gleicht sich für den Betroffenen im Verlauf der Zeit wieder aus. Das ist der Fall, wenn zu bestimmten Zeiten die Grundbedürfnisse befriedigt werden können, zu anderen Zeiten aber nicht. Das kann zyklisch schwanken, wie Zeiten kurz vor der Ernte oder in einer jungen Ehe, oder auch azyklisch, zum Beispiel durch Katastrophen. Dem entgegen steht der Begriff der strukturellen Armut. Diese liegt vor, wenn eine Person einer gesellschaftlichen Randgruppe angehört, deren Mitglieder alle unter die Armutsgrenze fallen, mit sehr kleinen Chancen, aus dieser Randgruppe herauszukommen. Ein Beispiel ist die Bevölkerung von Elendsvierteln. In Verbindung damit wird oft von einem „Teufelskreis der Armut“ oder „Armutskreislauf“ gesprochen: Ohne Hilfe von außen werden die Nachkommen der in struktureller Armut lebenden Menschen ebenfalls ihr Leben lang arm sein (zum Beispiel mangelnde sexuelle Aufklärung, die zu frühen Schwangerschaften führen kann und fehlender Ausbildung führen kann, aber auch Benachteiligung wegen der Wohnsituation).
Bekämpfte und verdeckte Armut
Bekämpfte Armut beinhaltet verschiedene Maßnahmen, insbesondere in den westlichen Industrienationen, in denen versucht wird, die Konsequenzen der Armut abzumildern. Dazu zählen im Feld der Sozialpolitik neben der Bekämpfung durch Sozialleistungen, die kompensatorische Erziehung und die Einrichtung von Suppenküchen, Tafeln, Kleiderkammern und Notunterkünften. Zu dieser sogenannten bekämpften Armut kommt noch die verdeckte Armut von Personen, die einen Anspruch auf eine Grundsicherungsleistung hätten, diesen aber nicht geltend machen.
Kritik
Die Definitionsansätze von Armut unterliegen verschiedenen Kritikpunkten.
Methodische und politische Kritik
Es wird diskutiert, dass den Armutsberichten ein Herrschaftsverhältnis eingeschrieben ist, da von den verfassten Armutsstatistiken oftmals abhängt, wer Zugang zu Wohlfahrtshilfen erhält und wer nicht. Objektive Maßzahlen lassen sich dabei nicht konstruieren. Wo die Armutsgrenze verläuft und wie viele Menschen unterhalb dieser Grenzziehung verortet werden, war und ist damit auch eine politische Frage. Weiter wird die Validität der Daten, mit denen Armut berechnet wird, kritisch hinterfragt. Je differenzierter und komplexer die Indizes gestaltet werden, desto anspruchsvoller sind sie gegenüber den Methoden, mit denen die Daten erhoben werden, die ihnen zur Grundlage dienen. Zudem, so ein weiterer Kritikpunkt, können die Pro-Kopf-Zahlen nicht die Verhältnisse abbilden, in denen die Einzelnen tatsächlich leben. In diesen Zahlen kämen keine Herrschaftsverhältnisse zum Ausdruck, etwa die unterschiedliche Zuteilung von Nahrungsmitteln im Familienverband nach Geschlecht und Alter oder auch der ungleiche Zugang zu Bildungschancen für Mädchen und Jungen, soweit solche Chancen vorhanden sind.
Globalisierter Eurozentrismus
Die meisten Naturvölker dürfen vor ihrem Kontakt mit der Marktwirtschaft nicht pauschal als arm bezeichnet werden. Ihre traditionellen Wirtschaftsformen versorgten sie mit allen Gütern, die zum Leben notwendig sind. Zahlreiche Berichte von Reisenden der Kolonialzeit berichten von Menschen, die nach ihren Bedürfnissen keinen Mangel litten, sondern die im Gegenteil im Überfluss lebten. Da den meisten dieser Menschen materielle Güter wenig bedeuteten, waren sie von ihrem Standpunkt aus auch nicht arm zu nennen.0 Die heute übliche eurozentrische Definition von Armut in Verbindung mit dem enormen materiellen Wohlstand der Westlichen Welt führe jedoch zu einer verzerrten Vorstellung: „Ureinwohner“ gälten als ärmlich, elend und chronisch unterernährt, weil sie keine materiellen Güter und keine technologischen Einrichtungen hätten.0 Die indische Wissenschaftlerin und soziale Aktivistin Vandana Shiva zu diesem Phänomen:
„Menschen, die Hirse verzehren – anstatt kommerziell produziertes und in Umlauf gebrachtes industrielles Junkfood zu essen –, werden als arm bezeichnet. Vermarktet wird dieser Junkfood durch das globale Agrobusiness. … Menschen werden als arm erachtet, nur weil sie in Häusern wohnen, die sie selbst gebaut haben. Das Material, das sie hierzu verwenden, ist natürlich und ahmt die Natur nach – Bambus, Lehm anstatt Zement. Menschen werden als arm erachtet, weil sie handgefertigte Kleider aus natürlichen Materialien und keine Synthetiktextilien tragen. Subsistenz – als kulturell definierte Armut – ist nicht gleichbedeutend mit geringer Lebensqualität, ganz im Gegenteil, die Subsistenzlandwirtschaft hilft dem Haushalt der Natur und leistet einen Beitrag zum sozialen Wirtschaften. Auf diese Weise gewährleistet sie hohe Lebensqualität (…) sie gewährleistet eine nachhaltige Existenz, sie gewährleistet eine robuste soziale und kulturelle Identität und Lebenssinn.““
Freiwillig gewählte Armut
Relative und vereinzelt sogar absolute Armut muss nicht immer unfreiwillig erlitten werden. Sie kann sogar als Tugend aufgefasst werden, etwa im Kontext der Askese. Die Gründe können religiöser oder philosophischer Art sein. Manche vertreten und praktizieren auch aus Gründen der Gesundheit oder der ökologischen bzw. sozialen Nachhaltigkeit Konzepte eines einfachen Lebens bzw. eines Lebens in Bescheidenheit.
Zahlreiche bedeutende Religionen wie der Hinduismus, das Christentum, der Buddhismus und der Islam kennen den freiwilligen Verzicht auf irdische Güter. Jesus Christus lebte in freiwillig gewählter Armut. Armut wird im Gleichnis vom Nadelöhr