Ein Lied in der Nacht. Ingrid Zellner. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Ingrid Zellner
Издательство: Readbox publishing GmbH
Серия: Kashmir-Saga
Жанр произведения: Контркультура
Год издания: 0
isbn: 9783347155794
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      »Schau mal«, flüsterte Rani. »Das sieht aus, als hätte sie die Sonne auf dem Kopf!«

      Große blaue Augen in einem hübschen, klaren Gesicht musterten das Empfangskomitee, dann griff Ylva Sandström entschlossen nach Sohams Hand und straffte sich. Surya öffnete das Gartentor, und sie gingen den Kiespfad entlang auf das Haus zu.

      »Raja, Sita – das ist meine Ylva«, stellte Soham mit strahlender Miene vor. »Ylva – das ist Raja, der Mann, der mein zweiter Vater geworden ist. Und das ist Sita, seine Frau.«

      Ylva faltete die Hände. »Namaste…« Sie schien nach Worten zu suchen und wechselte dann in die englische Sprache. »Soham meint, ich darf ruhig Raja sagen; stimmt das?«

      »Du kannst ja mal versuchen, mich Sharma sahab zu nennen. Dann siehst du schon, was passiert.« Raja lächelte entwaffnend und hob ebenfalls die gefalteten Hände. »Namaste und herzlich willkommen, Ylva! Schön, dich kennenzulernen.«

      Ylva erwiderte den traditionellen Gruß – und mit einem Mal verneigte sie sich bis zum Boden vor Raja. Er war so überrascht, dass er erst reagierte, als er bereits ihre Hand auf seinem Fuß spürte; verlegen murmelte er den Segensspruch, nahm die junge Frau bei den Schultern und richtete sie wieder auf.

      »Und das musst du auch nicht machen – damit wir uns darüber gleich mal im Klaren sind.« Seine Augen blitzten in Richtung Soham und Surya. »Haben die beiden dir gesagt, dass du das tun sollst?«

      »Unschuldig, Euer Ehren«, protestierte Surya sofort. »Keinen Ton haben wir darüber gesagt.«

      »Nein, das haben sie wirklich nicht«, verteidigte ihn Ylva. »Aber ich habe zuhause ein paar Hindi-Filme gesehen, und da machen die das alle so, bei älteren Menschen und bei Vätern, und da dachte ich… ich…« Sie brach ab und drehte sich irritiert zu Surya um, der bei den »älteren Menschen« leise losgeprustet hatte und sich nun hörbar bemühte, nicht laut loszulachen. »Was ist, hab ich was Falsches gesagt?«

      »Überhaupt nicht«, grinste Raja. »Mein Lümmel von einem Sohn amüsiert sich lediglich königlich über meine Einstufung als ›älterer Herr‹. Dabei stimmt es ja, immerhin bin ich bereits würdige Vierundfünfzig. Trotzdem, Ylva… ich meine, du hast natürlich recht, das Berühren der Füße ist in der Tat eine alte Tradition in diesem Land. Aber meine Frau und ich legen keinen gesteigerten Wert darauf, und wir verlangen das auch von unseren Kindern nicht.«

      Er legte ihr sanft die Hände auf die Schultern.

      »Ganz unter uns: Ich persönlich bevorzuge eher den jadoo ki jhappi, wenn es unbedingt filmi werden soll«, meinte er augenzwinkernd. »Weißt du, was das ist?«

      Ylva legte die Stirn in Falten. »Umarmung des Zaubers…«, übersetzte sie nachdenklich; dann leuchtete ihr Gesicht auf. »Ach ja, ist das nicht aus diesem Film über den liebenswerten Gangster, der plötzlich Arzt werden will – Munnabhai?«

      »Sehr gut«, lobte Raja anerkennend. »Du kennst dich ja schon richtig aus in unserer Filmkultur. Also – Lust auf einen magic hug, Ylva?«

      »Da bin ich dabei«, strahlte Ylva; die erste Befangenheit war wie weggeblasen, und sie erwiderte ungeniert Rajas Umarmung, als der sie herzlich an sich drückte. Dann begrüßte sie Sita, die sie kurzerhand auf beide Wangen küsste.

      »Schön, dass wir dich endlich kennenlernen«, sagte Sita lächelnd. »Die ganze Familie wartet schon gespannt auf dich. Bereit, dich der Meute zu stellen?«

      »Kein Problem«, versicherte Ylva. »Ich habe zuhause zwei ältere Geschwister und auch schon einige Neffen und Nichten. Ich bin Trubel gewohnt.«

      »Dann komm«, erwiderte Sita und wies einladend auf die Haustür, in der mittlerweile Tara mit einem Puja-Teller bereitstand, um ihre Schwägerin in spe mit dem traditionellen Segen willkommen zu heißen.

      ***

       »Nüü-o-krr?«

      Ylva lachte hell und amüsiert auf.

      »Nyåker«, korrigierte sie Surya. »Ein kleiner, wunderschöner Flecken in der nordschwedischen Provinz Västerbotten, nicht weit weg von Umeå. Und wenn ich klein sage, dann meine ich klein – dort leben gerade mal hundertfünfzig Menschen. Unter anderem wir Sandströms.«

      »Und von dort kommen auch diese köstlichen… wie nanntest du sie, päparkakur?«, fragte Sita und betrachtete den dünnen braunen Keks in ihrer Hand, der verführerisch nach Zimt, Gewürznelken und ganz leicht auch nach Ingwer duftete.

      »Ja«, bestätigte Ylva. »In Nyåker steht eine der ältesten Pfefferkuchenbäckereien des Landes. Wir Schweden lieben pepparkakor – besonders zu Weihnachten, aber wir essen sie auch gerne das ganze Jahr über.«

      »Kann ich sehr gut verstehen«, sagte Raja und bediente sich aus der großen, runden Blechdose, die Ylva auf den Tisch gestellt hatte. Die ganze Familie saß bei Chai, Wasser und kleinen Snacks zusammen; Soham hatte Ylva zwar vorsichtshalber gefragt, ob sie sich nach der langen Reise erst mal ausruhen wollte, aber die junge Schwedin hatte energisch den Kopf geschüttelt. »Schlafen kann ich später immer noch«, hatte sie erklärt. »Jetzt bin ich viel zu gespannt auf deine Familie.« Dann hatte sie die rote, mit bunten Ornamenten geschmückte Dose aus ihrem Handgepäck hervorgekramt und war mit Soham und den anderen hinüber zu Sumair und Kajri gegangen, deren Wohnzimmer größer war als das von Surya und Tara, weshalb es traditionell bevorzugt für Familienversammlungen benutzt wurde.

      »Und wie hat es dich aus diesem nordschwedischen ›Flecken‹ nach Norwegen verschlagen, wo du dann Soham begegnet bist?«, erkundigte sich Sameera interessiert.

      »Ich bin da nur vorübergehend gewesen«, antwortete Ylva. »Eine Freundin von mir hat vor zwei Jahren Urlaub in Norwegen gemacht und ist in Tromsø hängengeblieben; sie hat sich dort in den Besitzer eines Cafés verliebt. Im vorigen Mai haben die beiden endlich geheiratet, und natürlich bin ich hingefahren, um mitzufeiern. Dabei habe ich mitbekommen, dass Einar – der Mann meiner Freundin – noch ein paar Hilfskräfte in seinem Café für die Sommermonate gesucht hat. Ich war damals gerade arbeitslos und dachte: Komm, Ylva, du hast eh nichts Besseres zu tun, mach’s – Einar freut sich, Gunilla freut sich auch, du verdienst ein paar Mäuse und kannst obendrein wochenlang die Mitternachtssonne genießen. Bei uns in Nyåker ist es im Sommer zwar auch lange hell, aber Västerbotten liegt eben doch noch südlich des Polarkreises. In Tromsø dagegen geht die Sonne von Ende Mai bis Ende Juli nicht mehr unter.«

      »Das hat mich damals fast am meisten fasziniert«, warf Soham ein. »Anfangs hab ich jegliches Zeitgefühl verloren und kaum noch geschlafen, weil es ständig taghell war.«

      »Wie ein echter Nordländer!«, lachte Ylva und stupste ihn neckend. »In den hellen Sommermonaten ist Schlaf für uns pure Zeitverschwendung. Wir verfallen lieber später in den Winterschlaf, wenn sich die Sonne im Dezember ein paar Wochen lang kaum noch oder überhaupt nicht mehr blicken lässt.«

      »Was ich mir ebenso wenig vorstellen kann wie die Mitternachtssonne«, meinte Surya nachdenklich. »Ich sehe schon, ich muss das unbedingt irgendwann einmal vor Ort erforschen.«

      »Tu das«, erwiderte Ylva lächelnd. »Ich zeige dir dann meine sämtlichen smultronställen in Västerbotten.«

      »Smultronställen?«, entgegnete Surya verwirrt.

      »So nennen wir auf Schwedisch unsere Lieblingsplätze«, erklärte Ylva. »Vor allem solche, die man nicht jedem verrät. Weißt du, smultron sind kleine Walderdbeeren, die schmecken himmlisch… und wenn man da mal gute Stellen entdeckt, wo jede Menge davon wachsen, dann behält man die am besten für sich und sagt sie nicht weiter. Oder eben höchstens ganz lieben Menschen, mit denen man diese Köstlichkeiten gerne teilt.«

      »Und so ein ›ganz lieber Mensch‹ bin ich?«, fragte Surya mit einem schelmischen Blitzen in den Augen.

      »Das seid ihr doch alle«, gab Ylva zurück. »Ganz im Ernst. Kann ich noch ein Glas von diesem Chai haben?«

      »Aber