„Weiter zurück, ihr Narren!“, schrie der Rancher. „Vera, verdammt, wann kommst du denn nun?“
Im Haus flammte Licht auf, und Vera Bronson war hinter einem Fenster zu sehen.
„Komm heraus!“, schrie Bronson wild.
Die Frau verschwand, die Tür öffnete sich, und Vera Bronson kam heraus. Sie trug einen langen roten Morgenmantel und hatte Pantoffeln mit Goldfäden im Stoff an den Füßen.
„Vera, denke nach!“, befahl der Rancher scharf. „Könnten es die hier gewesen sein?“
Die junge Frau blickte verwirrt auf die drei gefesselten Männer.
„Was ist denn?“, schrie Bronson.
Sie zuckte zusammen. „Warum brüllst du mich so an? – Ich habe keinen der Banditen gesehen, das sagte ich doch schon. Vielleicht waren es die. Vielleicht waren es auch andere.“
„Du weißt es also nicht?“, fragte der Rancher lahm.
„Nein, ich weiß es nicht!“, rief die Frau heftig, wandte sich ab und ging ins Haus zurück.
„Wir reiten nach Bighorn Springs“, sagte John schnell.
„Jemand muss sich um die Rinder kümmern und den Korral kontrollieren“, mischte sich der Vormann ein. „Wir haben seit zwei Tagen nicht mehr danach gesehen, Boss.“
„Die Rinder sind im Korral hinter dem Hügel, und der Korral ist in Ordnung“, knurrte Bronson. „Los, Marshal, reiten wir! Ich will die Sache erledigt wissen.“
John lenkte sein Pferd zurück und winkte den Gefangenen, denen sie die Hände so gebunden hatten, dass sie die Zügel selbst führen konnten. John hatte während des ganzen Rittes befürchtet, der eine oder andere von ihnen könnte zu fliehen versuchen. Aber sie hatten offenbar selbst begriffen, dass ihnen so ein Versuch nur den Tod bringen konnte.
Sie ritten alle zusammen über den Ranchhof hinaus in die Nacht. Im dichten Pulk umgaben sie die drei Gefangenen, die Waffen in den Händen. Das Sattelleder knarrte, und manchmal gab es einen klirrenden Ton, wenn Sporen und Steigbügel zusammenschlugen.
„Na los, schneller!“, zischte der Vormann auf einmal und stieß dem Gefangenen vor sich die Mündung des Gewehres in den Rücken. „Wir wollen noch ein paar Stunden schlafen, bevor wir euch hängen!“
„Du scheinst es ja gar nicht erwarten zu können, Flint“, sagte John Slade schleppend.
„Ich habe es noch nie erwarten können, Banditen zu hängen!“ Hollag grinste John herausfordernd an. „Hast du etwas dagegen, Marshal?“
„Allerdings. Aber ich will mich nicht mit dir streiten.“
*
„Marshal, Marshal!“, rief die kehlige Stimme des Schneiders und Schuhmachers, der außerdem der Friedensrichter war.
John wälzte sich in seinem Bett herum und blickte auf die Brettertür. Helles Sonnenlicht flutete durch das kleine Fenster in die enge Kammer.
„Wo sind Sie denn?“, fragte der Mann.
„Er schläft“, sagte der Stallmann im Office.
John schlug die Decke zurück, setzte sich auf und rieb sich die Augen. Er zog sich an, nahm seinen Patronengurt, hob Strümpfe und Schuhe auf und ging ins Office. Gähnend blickte er auf den Friedensrichter Josuah Baile, der ihn fast strafend anschaute.
John ließ Strümpfe und Stiefel fallen, legte den Patronengurt auf den Brettertisch und raufte sich die Haare. „Wie spät ist es denn?“
„Mittag gewesen“, brummte der Stallmann, der neben dem Gitter auf einem Stuhl als Wache saß und das Gewehr quer über den Knien hielt.
„So. – Ist Bronson mit seinen Leuten noch in der Stadt?“
„Denken Sie, der reitet fort, bevor das Urteil gesprochen ist?“, fragte der Friedensrichter.
Hinter dem Tisch setzte John sich in den schäbigen Sessel und blickte auf Josuah Baile.
Der Friedensrichter war über fünfundsechzig Jahre alt, ein großer dürrer Mann mit einem Gesicht voller Falten. Er hatte scharfblickende Augen und langes weißes Haar, auf dem er einen flachen schwarzen Hut trug, so einen, wie John Slade sie schon bei den Heiligen der Letzten Tage gesehen hatte. Trotz der Hitze hatte der Friedensrichter einen langen schwarzen Tuchmantel an, aber John konnte sich nicht erinnern, Josuah Baile schon einmal anders gesehen zu haben.
Der Friedensrichter legte ein dickes Gesetzbuch mit schwarzem Deckel auf den Schreibtisch und räusperte sich.
John schnallte den Waffengurt um und blickte in die Zelle.
Die drei Gefangenen waren nicht mehr gefesselt. Sie standen an der Wand neben dem vergitterten Lichtschacht, durch den Sonnenlicht fiel.
„Setzen Sie sich doch, Mr. Baile“, sagte John.
„Euer Ehren!“, verbesserte der Friedensrichter schroff. „In diesem Amt bin ich immer Euer Ehren, Marshal.“
„O, entschuldigen Sie, Euer Ehren!“, John verkniff sich das Grinsen, ging zu der Zelle und blickte zu den drei Männern.
Sie sahen bleich und übernächtigt aus und Angst hatten sie außerdem.
John ging zurück und setzte sich hinter den rohen Tisch.
Der Richter räusperte sich wieder und nahm würdevoll Platz. Er war als Handwerker ein umgänglicher Mann, der in eine andere Haut zu schlüpfen schien, wenn er sein Gesetzbuch in die Hand nahm. „Wenn ich alles richtig gehört habe, ist bei den Gefangenen weder Geld gefunden worden, noch hatten Sie auch nur die Spur eines Beweises an der Schuld dieser Männer, denen Sie von Mr. Bronsons Ranch aus folgten. – War es so, Marshal?“
„Ja, so war es, Euer Ehren.“ John lehnte sich zurück, bemerkte, dass er Strümpfe und Stiefel immer noch nicht angezogen hatte und holte es rasch nach.
Der Friedensrichter räusperte sich wieder. „Können Sie mir vielleicht dann sagen, wessen ich die drei Männer anklagen soll?“
„Nein, ausgeschlossen, das kann ich nicht.“ John lehnte sich wieder zurück und lächelte Josuah Baile an.
„Können Sie nicht?“
„Nein.“
„Und warum haben Sie diese Männer dann hierher gebracht, Marshal?“
„Ach, das ist furchtbar einfach“, erklärte John Slade. „Ich hatte die Möglichkeit, sie hier heraufbringen und einzusperren, oder ich konnte zusehen, wie Bronson und seine Männer sie aufhängten.“
„Es waren anfangs vier“, fuhr John fort. „Einen hat Bronson einfach abgeknallt. Hinterrücks. Allerdings konnte er zu diesem Zeitpunkt noch nicht wissen, dass wir bei den Männern sein Geld nicht finden würden.“
Der Richter hustete dünn und hielt sich die Hand vor den Mund. Er hatte eine Hand, so schmal wie die von Vera Bronson, aber sie sah wie Leder aus. Er ließ die Hand langsam sinken, blickte auf sein schwarzes Buch, in die Zelle und dann zu John. „Und nun?“
John grinste ihn an. „Jetzt ist die Reihe an Ihnen, Euer Ehren. Was das Gesetz und was Bronson erwartet, das wissen Sie ja. Ob Sie es unter einen Hut bringen können, das ist Ihre Sache.“
Baile stand auf und schlug seinen schwarzen Tuchmantel zurück. Er hatte darunter einen Revolver großen Kalibers hinter dem Hosenbund stecken. „So, das wollen Sie mir also überlassen?“
„Das Richten ist nicht meine Aufgabe“, sagte John. „Sie haben doch nicht etwa Angst, Euer Ehren?“
„Schenken Sie sich Ihren Spott!“, stieß Baile scharf hervor. „Der Saloon wird auf Mr. Bronsons Betreiben bereits in einen Gerichtssaal um funktioniert. Und ich weiß, dass viele meiner Geschworenen tun werden,