Blind Date in Paris. Stefanie Gerstenberger. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Stefanie Gerstenberger
Издательство: Readbox publishing GmbH
Серия:
Жанр произведения: Учебная литература
Год издания: 0
isbn: 9783401808475
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rein und versucht, es hinunterzuschlucken, es ist furchtbar.«

      »Aber verträgt sie die Sachen denn?«

      »Nein. Das meiste würgt sie wieder aus. Manchmal muss ich ihr auch Sauerkraut geben, damit … ach, ich erspare euch die Details.«

      »Danke.«

      »’endrik machte immer Steak. Die besten verdammten Steaks von die Welt machte er, diese Drecksack!«

      »’endrik ist der Grund für …?«

      »… für meine gute Deutsch und meine große Kümmer, oui!«

      Ken lachte. »Ich verstehe dich gut. Die Liebe kann einen echt runterziehen.«

      Aha. Ich horchte auf. Was wusste Ken denn schon von der Liebe? Hatte er etwa eine Freundin? Ob die auch blind war? Er soll keine Freundin haben, das wäre echt blöd, dachte ich und wunderte mich sofort über meine Gedanken. Was ging mich das überhaupt an?

      »Oui! Die Liebe ist echt merde!« Aurélie lachte auf, doch es klang, als ob sie jeden Moment losweinen wollte. »Wir brauchen was zu trinken, Kinder!«

      Ich öffnete den Kühlschrank. Leer – außer einer an die Wand gedrückten Flasche Gin, in der noch eine Handbreit der klaren Flüssigkeit übrig war, ein bisschen kariertem Einwickelpapier und zwei völlig eingeschrumpelten Zitronen. »Hier ist nichts drin.«

      »Oh non. Ah, oui. Ich weiß. Ich bin schrecklisch. Ich bin seit Tagen nicht rausgegangen, weil will ich die Welt nicht sehen. Der blaue Himmel erinnert mich an ihn, an alles, an die Gluck, ich ertrage das nicht!« Sie kam zu mir, machte den Kühlschrank nun auch auf und sofort wieder zu. »Die Bank gibt mir nichts. Eine Künstlerin wie ich! Kein Kredit!«

      »Kein Problem«, sagte Ken, »wir können doch einkaufen gehen!«

      »Er ist nämlich der Einzige, der noch Geld hat, Aurélie.« Ich zeigte auf Ken, fast war ich ein bisschen stolz auf ihn. »Man hat mich beklaut am Bahnhof, alles ist weg. Mein Portemonnaie, mein Handy, einfach nicht mehr da!«

      »Oh, verflixte Taschendiebe! Es ist schrecklisch!«

      Ich wollte Ken einen verschwörerischen Blick zuwerfen, aber meine Augen trafen nur auf zwei grüne Pupillen, die zwar schön aussahen, aber leider nicht auf meine hochgezogenen Augenbrauen und gerunzelte Stirn reagierten. Oh Mann! Es war so mühsam mit ihm. Er konnte ja nichts dafür, aber er lähmte mich, weil alles so umständlich war und langsam ging. Einkaufen? Mit Ken? Da lief ich doch lieber alleine los. Aber wohin? Ich kannte mich doch nicht aus. Oder sollte ich ihn etwa losschicken und währenddessen in der Küche Ordnung machen? Es kribbelte mir in den Fingern, die Fenster aufzureißen. Ich würde sogar den Müll runterbringen, um den Geruch loszuwerden, und den Boden fegen, aber mir mit ihm auf diese Weise die Arbeit zu teilen, ging ja nicht. Er sah nichts, war also weder hier noch draußen auf der Straße richtig zu gebrauchen. Immerhin hat er dich hierhergebracht, widersprach ich mir sofort selbst und seufzte unhörbar auf. Jaja. Aber jetzt soll er gehen und seinen Hund am besten gleich mitnehmen. Ken und Barbie hatten mir zwar geholfen, konnten aber nur »weitere Multiplikatoren meiner Probleme« sein. Ich hörte Papas Worte förmlich in meinen Ohren.

      »Wenn Ken mir Geld gibt, gehe ich was kaufen, was soll ich denn mitbringen?« Ich sah Aurélie ratsuchend an, doch ich war skeptisch. War von der Tante überhaupt etwas Vernünftiges zu erwarten? Würde sie Ken meine Schulden zurückzahlen können? Vermutlich nicht, wenn die Bank ihr nichts mehr gab. Wo hast du mich da bloß hingeschickt, Papa? Und du, Mama? Hast du nicht behauptet, Aurélie sei momentan die Lustigere in der Familie? Na danke, es sieht gerade nicht danach aus.

      »Vin blanc!«, kam es von Aurélie. »Auf die Ecke Rue Brochant und Rue Legendre ist kleine Laden, Mahmoud ’at erstaunlischerweise sehr gute Weißwein, nur 6 Euro das Stück. ’endrik ’at immer gekauft diese Wein. Toujours. Toujours.« Sie hockte schniefend auf der Vorderkante des Stuhls und stützte ihr Kinn auf der Tischplatte ab. Sie sah aus, als ob sie zehn wäre und um ihren toten Hamster weinte.

      »Und Brot!«, rief Ken von unter dem Tisch. »Käse. Feigen, wenn es gibt. Oder Weintrauben? Dafür ist es wahrscheinlich noch etwas früh im Jahr.« Er hatte Barbie inzwischen die Steakschuhsohle entrissen und schimpfte nun leise, aber streng mit ihr. »Geld ist in meinem Portemonnaie, vorne im Rucksack.«

      »Soll ich wirklich …?« Es war ein komisches Gefühl, in seinen Sachen herumzuwühlen.

      »Na klar, solange noch was da ist!«

      »Und kannst du Papa anrufen, dass wir gut angekommen sind, Aurélie?«, bat ich. »Ich habe ihm nur auf den Anrufbeantworter gesprochen, aber nicht verraten, dass du mich nicht abgeholt hast.«

      »Matthieu? Mais bien sûr!« Die Tante schaute sich suchend nach dem Telefon um, aber ich ahnte schon, dass sie es im nächsten Moment vergessen würde.

      »Ich nehme mir einen Zwanziger, okay?« Ich zupfte einen der zahlreichen blauen Scheine aus dem Portemonnaie, dabei entdeckte ich seinen Ausweis und schaute schnell auf das Geburtsdatum. August. Er war Löwe und schon neunzehn, bald zwanzig! Eben hatte ich noch gedacht, er solle lieber gehen, aber was wäre, wenn er nicht blind wäre? Dann würde ich hoffen, dass er noch bleiben würde oder dass wir uns ganz bald wiedersähen. Ich würde nach den Ferien in der Klasse und beim Training mit ihm angeben. So süß war der! Und cool. Er war alleine unterwegs und ist schon überall rumgereist und wir haben uns supergut unterhalten und sind durch Paris gelaufen, und sein Hund erst! Voll sweet. Ich schämte mich für meine Gedanken, das wurde mir hier gerade alles zu viel. Vielleicht würde ja ein Wunder geschehen und Ken wäre samt sweetem Hund wie durch Zauberhand einfach nicht mehr da, wenn ich wiederkäme. Und die Küche sollte sauber sein, mein Bett gemacht und das Abendessen (Fischstäbchen, Bratkartoffeln und Mayonnaise, bitte) auf dem Tisch stehen!

      Doch meine Wünsche gingen nicht in Erfüllung. Als ich, bepackt mit drei Plastiktüten, wieder die Treppe hinaufgestapft kam und meine Beute auf dem Küchenboden abstellte, war die Küche noch ebenso dreckig wie zuvor, aber leer. Verdammt, ich biss die Zähne zusammen. Wo waren denn alle? Am Ende des langen Flures hörte ich Reden und Lachen. Vorsichtig ging ich darauf zu. Auf dem Boden und entlang der Wände standen unbeschreiblich viele Dinge herum. Kartons stapelten sich in allen erdenklichen Größen, mehrere Farbeimer, ein altes Fahrrad und viele blaue Müllsäcke, teilweise aufgerissen, grüne Holzwolle quoll daraus hervor, als ob jemand gigantische Osternester damit füllen wollte.

      »Bin wieder da!«

      Erneutes Gelächter. Irgendetwas zog sich in meiner Brust zusammen und ich fühlte mich plötzlich wie in meiner Klasse, wenn alle über eine witzige Anspielung lachten, die ich nicht verstehen konnte, weil ich statt im Unterricht mal wieder auf einem Turnier gewesen war. Ich ging an mehreren Zimmeröffnungen vorbei und schaute in jede hinein. In einem stand ein Klavier und sonst nichts, in einem anderen tanzte der Staub in einem verspäteten Sonnenstrahl über der altbekannten samtgrünen Polstergarnitur mit dem Rotweinfleck. Ein weiteres großes Zimmer, zwei überhäufte Tische, Papiere, Bücher, Aktenstapel, an der Wand unzählige Glaskästen mit aufgespießten Schmetterlingen. Die Wohnung war riesig! Wo hatten wir damals geschlafen, ich konnte mich nicht mehr erinnern. Ich hörte Barbie kurz aufbellen und blieb in der nächsten offenen Tür stehen. »Ich bin wieder da. Mit …«

      … dem Essen, hatte ich sagen wollen. Das Zimmer kannte ich. Dort stand das Bett mit den vier Pfosten und dem wunderschönen, altmodischen Stoffbaldachin, der kleine Schreibtisch, der abgewetzte Teppich auf dem Boden. Unser Zimmer von damals, der Teppich war da noch farbiger gewesen, in das Bett hatten wir alle drei nebeneinander gepasst. Mama, Papa und die kleine Wanda! Und wer lag nun darin und streckte ihre vier Pfoten in die Luft? Barbie!

      Ken hatte die schweren Fenstervorhänge ein wenig auseinandergeschoben und tat, als ob er hinausschaute.

      »Ah, le vin! Perfekt, mon amour!« Aurélie kam auf mich zu und lachte das erste Mal fröhlich auf, seitdem wir die Wohnung betreten hatten. »Er und du, ihr werdet mich ablenken. Von der schrecklich ’endrik!«

      »Wie? Ablenken?«

      »Ja.