Vor dem Schornstein der Lokomotive hing eine riesige Öllampe, die ihren Lichtkegel auf die Schienen warf. Der Heizer fütterte verbissen den großen, unersättlichen Kessel. Sein schweißglänzendes Gesicht strahlte, wenn der Zug mit Volldampf in halsbrecherischer Fahrt über eine der klapprigen Holzbrücken donnerte.
Es war ein Glück, dass die Reisenden von diesem waghalsigen Tempo kaum etwas bemerkten. Der Doc in der nächsten Station hätte sich vermutlich über die vielen Patienten gewundert.
Chaco spürte an dem unruhigen Boden unter sich und an den kaum unter Kontrolle zu bringenden Plattformen zwischen den Waggons das höllische Tempo der Fahrt. Er nahm es nur im Unterbewusstsein zur Kenntnis, denn seine ganzen Sinne waren auf seinen unsichtbaren Gegner ausgerichtet. Während der eiserne Wurm nach Südwesten raste, suchte er noch immer nach Slinger, den Waffenhändlern oder deren Ladung.
Er hatte den letzten Passagierwaggon hinter sich gelassen. Über die hintere Plattform gelangte er in den ersten Packwaggon. Hier, in dem riesigen Wagen, war kaum etwas zu erkennen. Es brannten lediglich ein paar trübe Petroleumfunzeln, die gerade so viel Licht spendeten, dass man die Lampen selbst sehen konnte. Chaco brauchte eine Weile, bis er sich an diese spärliche Beleuchtung gewöhnt hatte. Dann begann er sich zu orientieren.
Der Waggon war mit allen möglichen Fässern, Kisten, Ballen und ähnlichen Behältern beladen. Von einer Menschenseele war nichts zu entdecken. Vermutlich waren die nächsten Lebewesen, denen er begegnen würde, der Lokomotivführer und der Heizer.
Chaco tastete sich vorwärts. Hier herrschte ein heilloses Durcheinander. Ihm war unerklärlich, wie jedes Frachtstück am Bestimmungsbahnhof wieder zu seinem Besitzer zurückfinden sollte.
Seine Hand strich über Stoffballen und griff misstrauisch zwischen die Lagen. Auch die Fässer hielt er einer näheren Untersuchung für wert. Der Waggon schlingerte wild hin und her. Er musste sich immer wieder an irgendeinem Stück der Ladung festhalten, um nicht die Balance zu verlieren.
Er wusste, dass dieser Zug fünf oder sechs solcher Packwaggons mit sich führte. Er hatte also noch ein schönes Stück Arbeit vor sich, und er musste sich beeilen.
Er hatte sich bis zur Mitte des Wagens vorgearbeitet, als er mit dem Fuß gegen etwas Hartes stieß. Er bückte sich und atmete heftig ein. Es handelte sich um eine längliche Kiste, von deren Art er nun noch weitere entdeckte. Seine Augen hatten sich inzwischen so weit an die Dunkelheit gewöhnt, dass es ihm gelang, die Aufschriften zu entziffern. Danach handelte es sich um landwirtschaftliche Geräte.
Chaco lachte leise auf. Landwirtschaftliche Geräte! Warum nicht gleich Schulbücher oder Frauenkleider? Seine Neugier war geweckt. Er versuchte, eine der Kisten anzuheben. Es gelang ihm zwar, aber sie war enorm schwer.
Jetzt wollte er es genau wissen. Zuerst nahm er sein Messer, aber das war zu schwach, um damit die starken Nägel anzuheben. Er hätte es höchstens ruiniert. Aber dafür entdeckte er einen kräftigen Eisenhaken, wie er zum Tragen schwerer Kisten verwendet wurde. Damit würde es gehen.
Er setzte das Werkzeug wie einen Hebel zwischen zwei Bretter, und gleich darauf lockerte sich eins von ihnen, während das andere splitterte. Er hob die Latte so weit an, dass er mit der Hand in das Innere greifen konnte. Er fühlte Holzwolle, zwischen der etwas Hartes lag. Die Holzwolle war schnell beiseite geschoben. Es roch nach Öl. Chaco zog die Hand zurück und ließ den Lichtschimmer der Petroleumfunzeln in die Kiste fallen. Er sah, was er erwartet hatte. Bei den landwirtschaftlichen Geräten handelte es sich um nagelneue, glänzende Gewehre. Es gab keinen Zweifel: Er hatte die Schmuggelware entdeckt.
Seine Freude über den Erfolg wurde jedoch im selben Moment empfindlich getrübt. Etwas Großes, Schweres fiel auf ihn und riss ihn mit sich. Grobe Fäuste griffen nach ihm, und ihm wurde bewusst, dass er nicht nur die Waffen, sondern offenbar auch diejenigen gefunden hatte, denen besonders an den Gewehren lag.
Chaco reagierte schnell, wenn er auch für einen Augenblick nicht aufmerksam gewesen war. Er zog sich ganz eng zusammen und sprang im nächsten Moment auf die Füße. Dabei schüttelte er den Angreifer ab, und es gelang ihm sogar noch, seine Faust wirkungsvoll hinterherzuschicken. Schon wollte er triumphieren, als er von einer anderen Seite angegriffen wurde. Der Kerl war also nicht allein hier. Anscheinend hatten sich die Burschen hinter den Stapeln in dem geräumigen Waggon versteckt, um ihre ungesetzliche Fracht nicht aus den Augen zu lassen. Dass sich Männer im Zug befanden, die sich dafür interessierten, konnten sie nicht geahnt haben.
Er durfte sich nicht überwältigen lassen, denn er wusste, dass die Verbrecher nicht gerade zimperlich in ihren Methoden waren. Er steckte eine Menge Schläge ein, von denen er nur einen Teil zurückgeben konnte, denn die Schufte boten ihm kein greifbares Ziel, und die kaum erwähnenswerte Beleuchtung trug nicht zu seinem Vorteil bei. Natürlich hatten sie ihn von dem Moment an, als er den Waggon betrat, genau beobachtet und längst verabredet, auf welche Weise sie ihn zur Strecke bringen wollten. Chaco versuchte, hinter einigen Fässern Deckung zu finden, um unter Umständen seinen Revolver ein setzen zu können. Aber das ließen seine Gegner nicht zu. Er war nicht in der Lage, ihre Zahl abzuschätzen. Jedenfalls waren es mehr als zwei, und jeder von ihnen schien mindestens vier Fäuste zu haben. Chaco verkaufte sich so teuer wie möglich.
Auch für einen Rückzug, der in dieser Situation das Vernünftigste gewesen wäre, war es nun zu spät. Die Banditen fielen wie ein Hornissenschwarm über ihn her und ließen ihm keine Chance.
Schließlich glitt er betäubt zu Boden. Jetzt lag er neben den entdeckten Gewehren, aber er hatte dieses Wissen teuer erkauft.
„Kennt einer von euch den Burschen?“, fragte Ben Hillary, ein breitschultriger Mann mit schwarzen Haaren, der sich an der Schlägerei nicht beteiligt hatte.
Sam Merle wischte sich den Schweiß von der Glatze. Er hatte ein zerknautschtes Gesicht wie ein Bernhardiner, doch er war beileibe nicht annähernd so gutmütig. Er fixierte das Halbblut und schüttelte den Kopf. Auch die beiden anderen bestätigten entschieden: „Nie gesehen, Boss!“ „Verdammt! Möchte wissen, wieso der Kerl hier aufgetaucht ist.“
Lou Hart stierte hasserfüllt vor sich hin. Sein hohlwangiges Gesicht und die langen, knochigen Hände erweckten den Eindruck, als sei er schon lange tot. Aber in ihm war noch eine Menge teuflisches Leben. Er hatte seinen Holster am Oberschenkel festgebunden. Ein deutlicher Beweis, dass er seinen Revolver nicht nur zur Zierde trug.
„Jedenfalls hat er mit Sicherheit die Gewehre gesucht“, sagte er giftig. „Ich bin dafür, dass wir ihn umlegen.“ Die gleiche Ansicht vertrat auch Don Berry.
„Na klar“, sagte er, und sein Mopsgesicht zuckte freudig. „Schicken wir ihn zum Teufel!“
Ben Hillary wehrte ab.
„Und was haben wir davon?“, fragte er ungehalten.
„Keinen Ärger mehr mit ihm“, erwiderte Lou Hart.
„Mit ihm nicht. Aber dafür mit den anderen.“
„Mit welchen anderen?“
„Glaubt ihr vielleicht, dass dieser Bastard allein ist? Bestimmt nicht. Der hat noch seine Kumpels bei sich.“
„Umso wichtiger ist es, dass wir einen von ihnen umlegen, wenn er schon in unserer Gewalt ist. Ein Toter verringert unser Risiko.“
„Wer sagt dir denn, dass wir ihn laufenlassen, Lou? Natürlich wird er über die Klinge springen. Aber zuvor muss er uns noch ein paar Fragen beantworten.“
„Fragen?“ Sam Merle ließ seine Muskeln spielen. Wenn er Fragen stellte, benutzte er dazu üblicherweise nicht seinen Mund, sondern die Fäuste. Den Mund hatte er, wie seine Kumpane behaupteten, nur zum Essen und Whisky schlucken.
„Mich interessiert, wer der Dreckskerl eigentlich ist, wie viele Männer noch außer ihm hinter uns her sind, in welchem Waggon sie stecken und natürlich, wer sein Auftraggeber ist.“
„Das wird er uns kaum verraten“, sagte Don Berry.
„Er wird.“ Ben Hillary