Sie wandte sich dem Wohnzimmer zu, holte ihre Taschenlampe hervor und schaltete sie ein. Die Tür stand offen. Die Einrichtung war teuer, das konnte man auf den ersten Blick erkennen: Eine dunkelrote Couch, zwei Sessel, ein niedriger Tisch, eine Anrichte und eine üppig bestückte Hausbar. An den Wänden standen zwei gut gefüllte Bücherregale. Katharina verließ das Wohnzimmer und wollte sich gerade dem nächsten Raum zuwenden, als hinter ihr ein Geräusch ertönte. Sie wirbelte herum und presste sich an die Wand. Abermals ertönte dieses seltsame Kratzen.
Sie sah, wie sich die ihr gegenüberliegende Tür langsam bewegte. Ruckartig ging sie immer weiter auf. Wie von Geisterhand geschoben oder gezogen. Katharina hielt den Atem an. Die Tür bewegte sich immer noch und quietschte leise in den Angeln.
Plötzlich stand sie still.
Am Boden schnurrte etwas.
Katharina richtete den Strahl der Taschenlampe nach unten und lächelte erleichtert. Auf der Türschwelle stand eine schwarze Katze, die mit grün schillernden Augen zu ihr aufsah. Ohne weiteren Aufenthalt drang die Detektivin in den dahinterliegenden Raum ein. Es war das Schlafzimmer. Ein Doppelbett stand in der Mitte. Es war ordentlich gemacht. Auf der gegenüberliegenden Seite befand sich ein Kleiderschrank, der fast bis zur Decke reichte.
Katharina öffnete die Türen. In den Regalen lagen verschiedene Kleidungsstücke, hauptsächlich Unterwäsche, T-Shirts und Pullover. Es handelte sich ausnahmslos um Männerkleidung. Diese Tatsache bestätigte Katharinas Vermutung, dass Steinert hier allein lebte. Dafür sprach auch die nüchterne Einrichtung der Wohnung. Es fehlte einfach die weibliche Note. Die Detektivin verließ das Schlafzimmer und wandte sich dem angrenzenden Raum zu. Es war das Badezimmer. Auch hier wirkte alles ordentlich und sauber.
Schräg gegenüber befand sich die Küche. In der Spüle standen eine schmutzige Tasse und ein Teller. Rechts neben dem Fenster gab es eine schmale Tür, die vermutlich zur Aufbewahrung von Besen und Schrubbern diente. Sie verließ die Küche und wandte sich dem Raum zu, der sich direkt neben der Haustür befand. Es handelte sich um ein kleines Büro mit einem Schreibtisch, einem großen drehbaren Ledersessel und mehreren Schränken. Sie öffnete einige Türen. In den Regalen standen mehrere Dutzend Aktenordner mit unterschiedlichen Beschriftungen.
Als Nächstes wandte sie sich dem Schreibtisch zu. Sie zog die Schubladen auf, entdeckte verschiedene Schreibutensilien und ein kleines Notizbuch. Es enthielt mehrere Namen. Auf der hintersten Seite stand eine Adresse: Clayallee 23.
Plötzlich wirbelte Katharina herum. In der Diele bewegte sich die Haustür. Es hörte sich an, als versuche jemand, die Tür langsam und geräuschlos aufzuschieben, um herauszuschlüpfen. Eilige Schritte entfernten sich. Katharina legte das Buch wieder in die Schublade, drehte sich um und lief in die Diele. In dem offenstehenden Spalt der Tür sah sie nur noch einen Schatten verschwinden. Dabei verursachte er kein Geräusch. Offenbar trug er Schuhe mit dicken Gummisohlen. Sofort setzte Katharina nach und riss die Tür auf. Im Vorgarten entdeckte sie einen Mann, der schnell davonlief.
Er war klein und wendig. Auf dem Kopf trug er eine Schirmmütze, wie Katharina blitzschnell erkannte, während sie die Verfolgung aufnahm. Der Mann rannte über die Straße und steuerte auf einen weißen Wagen zu, der am Bordstein parkte. Katharina verringerte die Entfernung zu dem Flüchtenden. Der andere erreichte den Wagen und zog die Tür auf. Mit der Behändigkeit eines Eichhörnchens verschwand er auf dem Fahrersitz. Sofort betätigte er den Zündschlüssel, jedoch ohne Erfolg. Der Motor sprang nicht an. Der Mann fluchte. Unablässig betätigte er den Zündschlüssel, dann machte ihm der zunehmende Benzingeruch deutlich, dass der Motor abgesoffen war. Er wollte aussteigen, doch in diesem Moment erschien Katharina neben dem Wagen und riss die Tür auf.
„Nicht so schnell“, keuchte sie. Bevor der Mann etwas dagegen unternehmen konnte, hatte sie den Zündschlüssel aus dem Schloss gezogen.
„Wer sind Sie? Was haben Sie in dem Haus gesucht?“
Der Mann versuchte, die Tür zu schließen, doch Katharina packte ihn am Kragen.
„Was soll der Scheiß?“, rief er wütend. „Lassen Sie mich gefälligst los.“
„Erst will ich eine Antwort.“
„Verpiss dich!“
Katharina packte den Mann am Kragen und sah ihn sich etwas genauer an. Ihr war, als habe sie ihn schon einmal gesehen.
„Warum sind Sie denn davongelaufen?“
Der Mann schwieg.
„Ich habe Sie etwas gefragt.“
„Ich bin ganz zufällig hier“, stotterte er. „Was wollen Sie von mir? Lassen Sie mich los?“
„Sie waren vor mir in der Wohnung. Was haben Sie dort gesucht? Wenn Sie nichts zu verbergen haben, hätten Sie auch nicht davonrennen müssen.“
„Lassen Sie mich los, sonst rufe ich die Polizei.“
„Warum? Nur weil wir uns zwanglos unterhalten?“ Katharina ließ ihn los. „Ich kenne Sie von irgendwoher. Ich habe Ihr Gesicht schon einmal gesehen.“
„Das glaube ich nicht.“
„Oh, doch, ich bin mir absolut sicher. Ich habe Sie schon mal irgendwo gesehen.“
Der Mann rührte sich nicht von der Stelle. „In Ihren Träumen vielleicht.“
Angestrengt dachte Katharina nach, wo und wann ihr dieser Bursche schon einmal über den Weg gelaufen war. Plötzlich stieß sie einen leichten Pfiff aus. Jetzt wusste sie, woher sie den anderen kannte. Sie stupste ihn mit dem Zeigefinger an.
„Ich weiß, wer Sie sind.“
„Dann behalten Sie es für sich“, konterte der Mann und atmete ruhiger.
Katharinas Gedächtnis hatte noch immer funktioniert. So auch jetzt. Sie erkannte den Mann wieder, mit dem sie einmal zusammengearbeitet hatte, als sie noch bei der Polizei war.
„Sie sind Max Rostek, nicht wahr?“, fragte sie.
„Wenn du‘s schon weißt, Ledermacher, dann brauche ich mich wenigstens nicht mehr vorzustellen“, erwiderte der Mann patzig.
Katharina stieß ihn vor die schmale Brust. „Nun mal schön ruhig. Was suchst du hier?“
„Wenn du an meiner Stelle wärst, würdest du es sagen?“
„Vielleicht nicht.“
„Dann sind wir uns einig.“
„Hat dich Mirschel auf meine Spur gesetzt?“
Der Mann zuckte mit den Schultern und grinste. „Das habe ich tatsächlich vergessen.“
„Du hast im Haus von Steinert herumgeschnüffelt.“
„Da war ich nicht der Einzige.“
„Stimmt“, gab Katharina zu.
„Was willst du überhaupt von mir?“
„Ich bin Privatdetektivin.“
„Schön für dich“, erwiderte Rostek.
„Warum hören wir nicht mit dem Theater auf?“, schlug Katharina vor.
„Wozu?“
„Du kannst mir nichts vormachen. Du bist ebenfalls hinter Steinert her.“
„Und wenn?“
„Warum tauschen wir nicht ein paar Informationen aus? Das wäre doch weitaus produktiver, als wenn wir uns gegenseitig behindern würden.“
„Warum