„Du liebe Zeit. Was unterstellen Sie mir da?“, spielte Mirschel mit Talent und Engagement den Entrüsteten. „Ich bin ein durch und durch seriöser Geschäftsmann, auch wenn meine Produkte nicht als seriös angesehen werden.“
„Vielleicht sollten Sie sich ein anderes Betätigungsfeld suchen, dann hätten Sie auch nicht die Schwierigkeiten, in denen Sie jetzt stecken.“
„Aber das sind Schwierigkeiten, die jemand anders mir eingebrockt hat“, entgegnete Mirschel. „Schwarze Schafe gibt es leider in jeder Branche.“
„Da stimme ich Ihnen zu“, sagte Katharina. „Im vorliegenden Fall dürfte es Ihnen jedoch ein Leichtes sein, das schwarze Schaf aus der Herde auszusondern.“
„Ich sagte Ihnen doch, dass ich den Fotografen nicht kenne und erst recht keine Fotos von ihm kaufe“, beharrte ihr Gegenüber. „Warum glauben Sie mir denn nicht?“
„Aber vielleicht kennen Sie andere Leute, die solche Fotos machen“, sagte Katharina.
„Nein, tue ich nicht. Was unterstellen Sie mir da eigentlich? Wenn ich so arbeiten würde, könnte ich den Laden bald dichtmachen. Aber ich könnte meine Verbindungen spielen lassen und mich mal umhören. Vielleicht erfahre ich dann etwas.“
„Gibt es einen besonderen Grund für Ihre Kooperationsbereitschaft?“, wollte die Detektivin wissen.
„Ja, den gibt es“, bestätigte Mirschel. „Ich will keinen Ärger. Dieses Geschäft ist so schon hart genug, da kann man niemanden gebrauchen, der einem in die Suppe spuckt.“
Katharina holte ihre Visitenkarte hervor und legte sie auf den Tisch.
„Rufen Sie mich an, wenn Sie etwas erfahren haben.“
„Klar, mach ich“, versprach Mirschel.
9
Bereits aus hundert Metern Entfernung sah Katharina den weißen Zettel, der unter dem Scheibenwischer des VW-Golfs an der Windschutzscheibe klemmte. Die Politesse, die in entgegengesetzter Richtung unterwegs war, hatte das Ende der Straße schon fast erreicht. Leise fluchend zog Katharina den Strafzettel unter dem Scheibenwischer hervor und steckte ihn in die Tasche. Der Betrag kam definitiv mit auf die Spesenabrechnung. Schließlich hatte sie ihn während ihrer beruflichen Tätigkeit kassiert. Ein Punker in hautengen Jeans und Lederjacke grinste schadenfroh, als er im Vorbeigehen sah, dass sie sich einen Strafzettel eingehandelt hatte.
Katharina stieg in ihren Wagen, startete den Motor und fädelte sich in den fließenden Verkehr ein. Routinemäßig warf sie einen Blick in den Rückspiegel. Seit wenigen Minuten folgte ihr ein dunkelblauer Mercedes. Zwei Männer saßen darin. So sehr sie sich auch bemühte, es gelang ihr nicht, sie zu identifizieren. Allerdings bezweifelte sie, dass es sich um heimliche Verehrer handelte.
Während Katharina ihren Wagen durch den dichter werdenden Verkehr lenkte, behielt sie den Rückspiegel ständig im Blick. Bis jetzt blieb der Fahrer des Mercedes noch auf Distanz. Aber er machte beharrlich jede Richtungsänderung, jeden Wechsel der Fahrspur mit. Katharina überlegte, wer die beiden wohl beauftragt hatte. Eigentlich kam nur Mirschel infrage. Katharina bog in eine schmale Seitenstraße ein und blickte in den Rückspiegel.
Wie erwartet tauchte der dunkelblaue Mercedes Sekundenbruchteile später hinter ihr auf. Wegen des großen Sicherheitsabstandes hatte es den Fahrer keine Mühe gekostet, den Richtungswechsel nachzuvollziehen. In den schmalen, verwinkelten Straßen des Viertels, in das Katharina ihn jetzt lockte, würde es der Mann wesentlich schwerer haben.
10
Der Mann hinter dem Lenkrad des Mercedes und sein Beifahrer glaubten, mit der Frau leichtes Spiel zu haben. Als sie schließlich begriffen, dass sie sich gründlich getäuscht hatten, war es allerdings zu spät.
„Fahr doch ein bisschen schneller“, sagte der Beifahrer. „Sonst entwischt sie uns noch.“
„Wenn dir meine Fahrweise nicht passt, kannst du gerne aussteigen.“
Er trat auf das Gaspedal. Der Wagen machte plötzlich einen Ruck, blieb stehen und hoppelte weiter, ehe der Motor mit einem würgenden Geräusch abstarb. Der Fahrer stieß einen lauten Fluch aus, griff zum Zündschlüssel und drehte ihn herum. Der Anlasser gab ein knirschendes Geräusch von sich. Der Motor drehte mühsam. Für einen Moment sah es so aus, als würde die Maschine endgültig absaufen.
„Scheiße, was machst du denn?“, fragte der Beifahrer gereizt. „Willst du den Motor ruinieren? Dann reißt uns der Chef den Kopf ab.“
„Geh‘ mir nicht auf die Eier“, erwiderte der Fahrer. „Ist das vielleicht meine Schuld, wenn die so bescheuert fährt?“
„Na los, nun mach schon, sonst hängt sie uns noch ab.“
Der Fahrer nickte heftig, startete noch einmal und presste den Fuß auf das Gaspedal. Diesmal sprang der Motor an.
Katharina bog nach links ab und nahm den Fuß vom Gas, um den Verfolgern das Aufschließen zu erleichtern. Gleich darauf war der Mercedes, der um die Ecke fuhr, wieder im Rückspiegel zu sehen. Augenblick trat Katharina das Gaspedal bis zum Anschlag durch und raste los. Sie wusste natürlich, dass sie mit ihrem VW-Golf gegen den Mercedes keine Chance hatte, aber darauf kam es ihr auch nicht an. Ihre Verfolger verhielten sich genauso, wie sie es erwartete. Sie gaben Vollgas.
Kurz vor dem nächsten Abbiegen verringerte die Detektivin das Tempo. Der Mercedes holte sofort wieder auf. Umso enttäuschter waren die Verfolger, als sie die Straße sahen, in die Katharina eingebogen war.
„Sie ist weg“, sagte der Mann hinter dem Lenkrad verblüfft.
„Das kann doch nicht sein“, erwiderte sein Beifahrer. „Los, weiter. Sie ist bestimmt da hinten wieder abgebogen.“
Mit aufheulendem Motor schoss der Mercedes vorwärts und erreichte eine Kreuzung.
„Rechts oder links?“, fragte der Fahrer.
„Links“, antwortete sein Komplize.
Der Mann hinter dem Lenkrad gab Gas. Sekunden später steuerte er den Wagen um die Ecke und begann zu fluchen. Mitten auf der ohnehin schmalen Fahrbahn stand der VW-Golf und machte eine Weiterfahrt unmöglich. Geistesgegenwärtig trat der Fahrer auf die Bremse, zog seinen schweren Wagen nach rechts hinüber und verfehlte um Haaresbreite den massiven Pfahl einer Straßenlaterne. Danach raste er durch einen gepflegten Vorgarten und kam unmittelbar vor der Eingangstür des Hauses zum Stehen.
Die beiden Männer ließen sich durch diesen Zwischenfall jedoch nicht von ihrem Vorhaben abbringen. In ihnen war das Jagdfieber erwacht und stieß alle vernünftigen Überlegungen beiseite. Sie waren nämlich genau dort, wo Katharina sie haben wollte. Mit teilnahmslos wirkender Miene ließ die Detektivin ihren VW-Golf langsam anrollen, wartete, bis die Verfolger ihren leicht lädierten Mercedes aus dem Vorgarten rangiert hatten und wieder Gas gaben.
Unverzüglich spielte sie das gehetzte Wild. Damit erreichte sie, dass die beiden Männer endgültig jeden Rest von vornehmer Zurückhaltung aufgaben und alles auf eine Karte setzten. Falls ihr Auftrag diskrete Observation gelautet hatte, wovon Katharina ausging, waren ihnen die Anweisungen ihres Auftraggebers jetzt egal. Das Duo im Mercedes wurde jetzt nur noch von einem Gedanken beseelt. Sie wollten ihre ohnmächtige Wut abreagieren und sich für die erlittene Niederlage rächen.
Mit waghalsigen Manövern versuchte der Fahrer, den VW-Golf zu überholen, um die Detektivin zu stoppen, obwohl die Straße dafür zu schmal war. Katharina ließ sich durch den hektischen Slalomkurs, den sie im Rückspiegel verfolgte, nicht irritieren. In gemächlichem Tempo setzte sie die Fahrt fort, bog nach rechts in die nächste Seitenstraße ein und gab dann allmählich wieder Gas. Sofort brachten auch die Verfolger ihren Wagen wieder auf Touren, um den Anschluss nicht zu verlieren.
Mit einigen kleineren Ausreißversuchen stachelte