»Und doch müssen wir es versuchen. Jetzt weiß ich auch, warum er hier ist.«
Lautlos schlichen sie die Treppe hoch. Die Wohnungstür war nur angelehnt. Sie hörten den Luden reden.
Er hatte die Waffe aus der Lade geangelt, bevor Benedikt etwas bemerkte. Jetzt zielt er damit auf den Mörder.
»Nun, du kleiner Hurenhund, damit hast du wohl nicht gerechnet, wie?« Er lachte schallend. »Hast du im Ernst angenommen, du dämlicher Waschlappen könntest mich töten? Benedikt, du blöder Hund, hast du das wirklich auch nur eine Sekunde lang geglaubt?«
Wieder lachte er hässlich auf.
Benedikt blieb mitten im Zimmer stehen und sah auf die Waffe. Leise sagte er: »Es ist besser für dich, wenn du sie fortlegst, Hanko.«
»Den Teufel werde ich tun, und jetzt sage ich dir, was dir gar nicht gefallen wird. Ich werde dich erschießen, du dreckige Laus. Ja, das tue ich. Den Bullen werde ich weismachen, dass ich es in Notwehr tun musste. Jawohl, so einfach ist das, du dämlicher Kerl.«
Verden warf sich gegen die Wohnzimmertür. In diesem Augenblick hörten sie den Schuss. Verden ließ sich abrollen und landete in einer Ecke.
Es blieb totenstill.
Im Hintergrund wuchteten sich die Beamten hoch. Sie sahen Benedikt am Boden in einer Blutlache. Er war tot.
Der Zuhälter glotzte die Beamten entgeistert an und ließ den Telefonhörer sinken.
»Ich wollte euch gerade anrufen. Das ist der Hurenmörder; er wollte mich auch umbringen. In Notwehr musste ich ihn erschießen.«
Verden fühlte sich müde und ausgelaugt. Er gab seinen Beamten einen Wink.
»Legt ihm die Handschellen an.«
Hanko schrie und tobte.
»Wir haben leider die ganze Unterhaltung mitbekommen, Hanko.«
Der wurde grün im Gesicht.
Verden sah auf Karlas Bruder. Das tote Gesicht wirkte jetzt friedlich. Die Knie wurden ihm weich. Bis die Spurensicherung kam, wollte er hier ausharren.
Er dachte, vielleicht war das sogar die beste Lösung. Er wäre in eine Anstalt gekommen.
Die Jagd war endgültig vorbei. Die Mädchen konnten wieder in Frieden auf der Straße ihren Geschäften nachgehen, bis wieder ein Mörder auftauchte. Immer wieder kamen sie und rächten sich ausgerechnet an dieser Sorte Menschen, die doch eigentlich alles tat, um den Männern zu helfen. Viele waren abartig und konnten ohne Dirne nicht mehr leben. Doch sie hassten sich deswegen und suchten sich reinzuwaschen. Wie dieser junge Mann auch daran geglaubt hatte, etwas Gutes zu tun, wenn er die Welt von den käuflichen Mädchen befreite.
Der Kommissar wusste es besser. Solange es Männer auf der Welt gab, so lange gab es das horizontale Gewerbe.
Die Sirenen zerschnitten die Stille der Nacht. Müde erhob er sich und überließ seinen Fachkollegen das Feld.
19
Für ihn war es ein bitterer Weg.
Karla sah ihn in der Tür stehen. Sie wusste sofort, dass etwas passiert war.
Das Sprechen fiel ihr noch schwer.
Doch sie hatte noch einmal Glück gehabt. Nur der Sturz hatte ihr das Leben gerettet. Ihr Bruder hatte sie für tot gehalten und sich zum Glück nicht vergewissert.
Verden setzte sich an das Bett der Dirne.
»Du willst mir doch etwas sagen?«
»Ja, ich muss es leider tun.«
»Schieß los!«
»Dein Bruder ist tot.«
Obschon sie wusste, dass er der gesuchte Mörder war, der sie auch hatte töten wollen, schossen ihr die Tränen in die Augen. Er war ihr kleiner Bruder gewesen. Sie wusste nun, dass er seelisch ein Krüppel war.
»Warum?« Tränen liefen über ihr Gesicht. »Das hättest du nicht tun dürfen.«
»Karla, so hör mich doch erst mal an!«
Sie bäumte sich auf. »Er besaß doch keine Waffe, Verden. Es ist Mord gewesen.«
»Es war Mord. Wir konnten ihn nicht verhindern, Karla.«
Sie wischte die Tränen ab.
»Hanko hat ihn getötet. Ich bin eine Sekunde zu spät gekommen. Wir haben ihn verhaftet.«
Ungläubig blickte sie Verden an.
»Du hast gedacht, wir hätten es getan? «
»Davon war ich überzeugt.«
»Nein, wir töten keine Wehrlosen, das weißt du doch. Er ist zu Hanko gegangen, um dich zu rächen. Der hat ihn über den Haufen geschossen.«
»Armer Benedikt, es ist alles vorbei. Nicht wahr, jetzt hat er seinen Frieden.«
»Er wusste nicht, was er tat, Karla. Nun wird er keinen Prozess erhalten und nicht in eine geschlossene Anstalt gebracht. Er hat seine Ruhe.«
»Ich habe den Mörder gejagt, so wie ich es mir vorgenommen habe. Vera ist gerächt, dafür musste ich meinen eigenen Bruder opfern. Das Leben ist verdammt hart.«
Lange lag sie nur da und blickte vor sich hin, doch dann kam wieder Leben in die Dirne. »Claudia!«
Verden zuckte zusammen.
»Du hast mir versprochen, du würdest mir helfen. Das hast du gesagt, Humbert.«
»Ich habe es nicht vergessen.«
»Darf ich sie jetzt zu mir nehmen?«
»Ich habe mit den Behörden gesprochen, die dafür zuständig sind, Karla.«
»Und was meinen die?«
»Es geht nicht. Sie haben ihre Gesetze.«
Sie ballte die Hände.
»Diese Schweine«, stammelte sie. »Gesetze sind ihnen also wichtiger als das Leben eines Kindes. Begreifen sie nicht, dass ich alles für Claudia tun würde? Sie müssten in dem Fall nicht mehr für die Kleine aufkommen.«
»Ich weiß es, Karla, aber sie dürfen es nun mal nicht. Sie haben sich viel Mühe gegeben.«
Karla war untröstlich.
»Ich habe es ihr versprochen«, sagte sie leise. »Ich habe ihr gesagt: Ich hole dich dort raus. Jetzt stehe ich wie eine Lügnerin vor ihr. Warum sind die Gesetze so unmenschlich?«
»Karla, es tut mir leid.«
»Geh«, sagte sie kalt. »Du kannst mir auch nicht helfen. Niemand ist dazu imstande. Weil ich eine Dirne bin, glaubt man mir nicht. Hau endlich ab.«
Verden wusste, sie befand sich jetzt in einem erregten Zustand. Da war es besser, wenn er ging.
Karla heulte, aber davon wurde es auch nicht besser.
Am Nachmittag sagte der Arzt: »Sie werden morgen entlassen.«
Wenn sie das Krankenhaus verließ, war alles wieder da. Sie musste das bisherige Leben fortführen, als sei nichts geschehen.
Verflucht, warum hast du mich nicht auch getötet, Benedikt, warum nicht, dann hätten wir beide jetzt unseren Frieden, dachte sie verzweifelt.
Sie wurde ungerecht in diesen Minuten.
20
Am nächsten Morgen verließ sie die Klinik. Sie war wieder in ihrer Wohnung, fühlte sich ausgelaugt und verlassen. Was war ihr geblieben? Nur das Geld und die Arbeit in der Bar.
Sie