Der Bär kam wieder auf die Beine und stützte sich am Schanktisch auf.
"Es ist nichts mehr da!", meinte er. "Sämtliche Getränkevorräte wurden bereits abgeholt!"
"Dieser Laden hat wohl nie besonders viel Gewinn abgeworfen, was?", meinte Bount. Er deutete mit einer Handbewegung durch den Raum. "Die Einrichtung ist doch schon mindestens zwanzig Jahre alt! Und wenn ich die uralten MusicBoxen dahinten sehe, dann kommen mir die Tränen... Ich glaube nicht, dass man damit genug Leute hinter dem Ofen hervorlocken kann."
"Glauben Sie, was Sie wollen!", schimpfte der Bär.
"Ein Laden, der keinen Gewinn abwirft. Sieht ganz nach einer Art Tarnung aus! Eine Tarnung für andere Geschäfte..."
"Was soll das? Wovon sprechen Sie?"
"Von Crack zum Beispiel!"
Trotz seines ausgekugelten Armes wollte der Bär nach vorne springen, aber im letzten Moment besann er sich.
"Was wollen Sie, Mister Reiniger? Für wen arbeiten Sie?" Bount steckte seine Automatic ein.
"Der Mann, der Ihren Boss umgebracht hat, hat auch noch ein paar andere auf dem Gewissen. Perry Crawford, Jack McCarthy, Ray Gregor, Tony Maldini, Roy Brady und Larry Kostler. Ein paar dieser Namen dürften Ihnen wohl auch ein Begriff sein!"
"Ich habe in der Zeitung davon gelesen!", wich der Bär aus.
"Sie werden noch einiges gehört haben! Sie waren hier Rausschmeißer, nicht wahr?"
Er hob die Augenbrauen und grinste hässlich.
"Wie kommen Sie darauf, Reiniger?"
"Man sieht es Ihnen irgendwie an!"
"So?"
"Sie sind einer von der Sorte, der es Spaß machen, wenn Sie ihre Faust in der Magengrube eines anderen spüren..."
"Jedem das seine Reiniger!"
"Es geht auch nicht um Sie! Ich bin hinter diesem Killer her. Er hat eine Narbe auf der rechten Gesichtshälfte, die nicht zu übersehen ist."
Bount sah sein Gegenüber tief durchatmen.
"Ich kenne niemanden, der so aussieht, wenn Sie darauf hinauswollen, Reiniger!"
Er sagte das sehr schnell dahin, so dass es auf Bount den Eindruck machte, als hätte er seinen Widerstand noch immer nicht völlig aufgegeben.
Bount wandte sich an die Mexikanerin, was der Bär mit einem misstrauischen Blick quittierte.
"Verstehen Sie mich?", fragte Bount.
Die Mexikanerin nickte etwas zögernd warf dann einen unsicheren Blick zu dem Bären hin, so als wollte sie in seinem Gesicht ablesen, wie sie reagieren sollte.
"Comprendo", sagte sie dann. "Ich verstehe... ein bisschen. Nicht sehr gut verstehen, Senor! Noch nicht lange hier..." Sie wich noch einen Schritt zurück.
"Policia?", fragte sie.
Bount begriff sofort.
Sie war illegal in den Staaten.
Und sie hatte verständlicherweise keine Lust, in irgendeiner Form mit den Behörden zusammenzutreffen - wegen welcher Angelegenheit auch immer. Und wenn es nur wegen einer Zeugenaussage vor Gericht war.
Bount schüttelte also den Kopf.
"Nein", sagte er. "Keine Policia."
"Du hältst deine Klappe, Teresa!", fauchte der Bär. "Kapiert?"
"Halten Sie lieber die Ihre, wenn Sie nicht wollen, dass ich Sie Ihnen poliere!", versetzte Bount, wobei er den Kopf nur zur Hälfte zu dem Bären hinwandte. Der Kerl schien die Abreibung noch nicht so recht verdaut zu haben, die er wenigen Augenblicken hatte einstecken müssen.
Dann machte Bount noch zwei Schritte auf die Mexikanerin zu.
"Kennen Sie einen Mann mit einer solchen Narbe?" Und dabei fuhr Bount sich mit dem Zeigefinger in entsprechender Weise über das Gesicht. Selbst wenn sie kein Wort Englisch verstanden hätte, wäre so wohl klargeworden, was gemeint war. Sie schluckte und schwieg.
Und dabei griff ihre Hand um Hals und spielte mit einem kleinen vergoldeten Kreuz herum.
In ihren dunklen Augen lag Furcht.
Sie schien noch nicht entschieden zu haben, ob sie Bount helfen sollte oder nicht.
"Ich habe zugehört, was Sie eben gesagt haben", sagte sie dann akzentbeladen und bedächtig nach jedem Wort suchend. "Ist dieser Mann wirklich ein Mörder?"
"Sehr wahrscheinlich, ja. Er hat sechs Menschen getötet und wird vielleicht noch weitere umbringen!"
Sie schluckte erneut.
Bount sah, wie es in ihrem Inneren arbeitete und er war sich jetzt ziemlich sicher, dass sie irgendetwas wusste, was mit dieser Sache in Zusammenhang stand.
Bount trat zu ihr hin und fasste sie bei den Schultern. Sie hatte eine Gänsehaut.
"Sie brauchen keine Angst zu haben!", erklärte Bount, obwohl er sich da gar nicht so sicher.
Als die Mexikanerin dann zu ihm aufblickte, sagte sie mit fester Stimme: "Ich habe ihn gesehen!" Bount horchte auf.
"Den Kerl mit der Narbe?", vergewisserte er sich. Sie nickte.
"Ja."
"Wann?"
"Er kam hier her", begann sie. "Es ist vielleicht eine Woche her und es war so wie heute. Noch nichts los. Ich war am Putzen."
"Was wollte er?"
"Ich weiß es nicht. Er hat sich umgesehen."
"Das ist alles?"
"Dann hat er sich nach Mr. Gardener erkundigt."
"Und?"
"Er war nicht da. Er ist dann wieder gegangen."
"Gut", meinte Bount und drehte sich um. Mehr war hier wohl nicht herauszuholen.
Bount sah das Messer auf dem Boden liegen und er sah auch, dass der Rausschmeißer wie gebannt dorthin starrte. Er hatte es bis jetzt nicht gewagt, danach zu greifen, weil er wusste, dass er nicht schnell genug sein würde...
Aber wenn Bount am Ausgang angekommen war, würde das eine andere Situation sein...
Und genau das schien auch in seinem Kopf herumzuspuken. Bount blieb bei dem Messer stehen und kickte es dann über den glattgebohnerten Boden in die andere Ecke des Raumes. Es verschwand irgendwo zwischen Tischbeinen.
Dann ging Bount weiter in Richtung Ausgang.
35
Etwas musste es doch geben!, dachte Bount mit einem Anflug von Verzweiflung. Etwas, das alle Ermordeten miteinander verband - und das diesem geheimnisvollen Killer ein Motiv gab, einen nach dem anderen von ihnen umzubringen.
Bounts nächstes Ziel war das Penthouse von Mrs. Gregor, der Witwe des ermordeten Söldnervermittlers und Waffenhändlers. Zunächst war sie misstrauisch und ließ ihn draußen vor der Tür an der Sprechanlage warten.
Aber Bount konnte sie davon überzeugen, dass es vielleicht auch in ihrem Sinne war, den Mann zu fassen, der Ray Gregor umgebracht hatte.
"Gut", meinte Mrs Gregor. "Ich werde Sie hereinlassen." Wenig später stand ihm eine etwa vierzigjährige, kräftig gebaute Frau gegenüber, die ihn freundlich hereinbat. Der Wohnungseinrichtung nach konnten Ray Gregors dunkle Geschäfte nicht allzu schlecht gegangen sein.
"Ich habe von Ihnen gehört, Mister Reiniger!", meinte Mrs. Gregor und bot Bount einen Sessel im Wohnzimmer an, den der Privatdetektiv gerne annahm.
"Ich hoffe, Sie haben nur Gutes gehört, Mrs. Gregor!", gab Bount