„Nein. Heb die Hände! Los, hoch!"
Big John greift nach dem leeren Glas und schleudert es dem Sheriff entgegen. Das Glas trifft den Revolver und zerschellt daran.
Da drückt Heston ab, und vielleicht weiß er selbst nicht, ob er es vor Schreck tut oder mit festem Willen. Die Kugel bohrt sich neben dem Rancher ratschend in die Theke.
Bresler schreit etwas Unverständliches.
Kate, die hereingekommen ist, bleibt schreckensbleich neben der Tür stehen.
Big John geht auf den Sheriff zu, der jetzt wahrscheinlich am meisten über sich selbst erschrocken ist. Der Rancher nimmt ihm die rauchende Waffe einfach aus der Hand, ballt die Faust und schlägt zu. Heston wird an der Wand entlang geschleudert, stolpert über einen Stuhl und geht mit ihm zu Boden.
Big John Hassel wendet sich um.
„Ich habe gesagt, dass ich ihn prügeln werde, bis er krank und lahm ist. Ist das nicht genug? Kann man von einem Vater ernstlich noch mehr verlangen?"
Bresler kneift die Lippen fest zusammen.
Hassel wendet sich dem Mädchen zu.
„Was sagst du?", fragt er.
„In dieser Stadt wurde im Januar ein Viehdieb gehenkt", erwidert das Mädchen leise. „Viele Leute sagten, der Mann wäre eigentlich gar kein Viehdieb, sondern ein armer Farmer, der nicht gewusst hätte, wie er seine Familie durch den Winter bringen soll. Man hat ihn dafür gehängt, obwohl niemand ermordet wurde. Und Sie, Big John, haben den Befehl dazu gegeben."
Hassel hat sich unter der Anklage zusammengeduckt und steht nun wie ein Tiger da, der das Mädchen anspringen will.
„Ja, so ist das gewesen", bestätigte der Keeper kratzig. „Er hat ein Rind geraubt und geschlachtet."
„Und Dale hat einen Eisenbahnschaffner ermordet! Er hat es nicht aus Not getan. Er hat gemordet, weil er das Geld dringend brauchte, das der Schaffner zu schützen hatte!", schleudert Kate dem Mann entgegen.
Der Sheriff hat sich wieder aufgerappelt. Er geht langsam zur Tür.
„Ich werde nach Denver reiten!", schreit er. „Dort gibt es einen Gouverneur."
Big John wirbelt herum und sieht den Sheriff hinausrennen. Er hört ihn über die Straße hasten. Mit einem Fluch hastet er hinterher. Draußen ist seine Kommandostimme zu hören.
„Heston, du wirst bleiben! Hörst du nicht, Heston? Hierbleiben!"
Krachend entlädt sich ein Colt. Das Echo weht zwischen den Häusern hin und her und rollt über die Dächer hinweg.
„Damit kannst du mich nicht aufhalten, Big John!", meldet sich die Stimme Hestons. „Über mich hast du keine Gewalt mehr!"
Ein Fluch und noch ein Schuss. Irgendwo schlägt eine Tür krachend zu.
Eine Weile geschieht nichts. In den Häusern rundum ist es dunkel. Niemand scheint damit etwas zu tun haben wollen. Sie lassen ihren plötzlich mutig gewordenen Sheriff allein.
Plötzlich wiehert ein Pferd.
Big John, der mitten auf der Fahnbahn steht, wirbelt herum. Er sieht den Sheriff an der Seite seines Hauses in den Sattel eines Pferdes steigen.
„Heston, bleib!", bellt der Rancher.
Der Sheriff hört nicht. Wie von der Sehne abgeschnellt, rast das Pferd los und biegt in die Frontstreet ein.
Big John hebt den Colt und feuert wieder. Das Pferd bricht vorn ein, und Heston wird über den Hals katapultiert, überschlägt sich und kracht auf den Rücken.
Big John geht langsam auf ihn zu. Als er vor ihm steht, wagt sich Heston nicht zu bewegen. Starr schaut er seinen Bezwinger in die Augen.
„Du bleibst!", sagt Big John schnarrend. „Ich werde dafür sorgen, dass dir niemand ein Pferd gibt. Denke über das, was ich sagte, nach. Ich kann meinen einzigen Sohn nicht dem Henker überantworten. Niemand kann das verlangen. In ein paar Tagen, wenn du darüber nachgedacht hast, verstehst du mich vielleicht. Bis dahin wirst du dieStadt nicht verlassen."
Big John wendet sich schroff ab und geht in den Saloon zurück.
Bresler steht immer noch hinter der Theke.
„Satteln Sie Ihr Pferd und reiten Sie zu meiner Ranch!", sagt Big John sehr förmlich. „Etwas schneller, Bresler! Holen Sie fünf meiner Männer. Aber sagen Sie nicht, was Sie wissen."
Bresler schleicht wie ein geprügelter Hund aus dem Saloon.
Kate geht zu einem Tisch und setzt sich. Big John blickt sie an. Es sieht aus, als wüsste er nicht, was er sagen soll. Er geht auf sie zu, bleibt vor dem Tisch stehen und stemmt die Hände auf die Platte. Noch immer schaut er sie an, und es ist ihr, als wollten seine durchbohrenden, schimmernden Blicke sie verbrennen.
„Niemand verlässt diese Stadt ohne Einwilligung", schnarrt er. „Ich hätte den Sheriff erschießen können. Aber ich tat es nicht. Ich habe etwas gegen das Töten."
„Auf einmal", gibt sie bitter zurück. „Bei dem Siedler hatten Sie nichts dagegen."
„Ich kann das nicht dulden. Es nimmt überhand. Alle Siedler fangen an, mich zu bestehlen, wenn ich es einmal durchgehen lasse!"
„Alle Leute überfallen vielleicht auch Eisenbahnen, wenn Sie wissen, dass keine Strafe darauf steht."
Big John gebt zur Theke zurück und schenkt sich einen Whisky ein. Er trinkt und wirft das Glas ins Spülbecken.
„Niemand verlässt die Stadt!", wiederholt er noch einmal.
Kate antwortet nicht.
Big John geht hinaus. Er sieht Heston, der krumm und schief zu seinem Haus humpelt. Mitten auf der Straße liegt das tote Pferd.
Hassel setzt sich auf die Stufe vor dem Saloon und starrt ins Nichts der Nacht hinaus. Er wartet und passt auf.
*
Heiß brennt die Sonne, als Bresler den Rancher schief und zusammengesunken im Sattel sitzend die Stadt verlassen sieht.
Er wendet sich vom Fenster ab und mustert die Männer an der Theke. Es sind zwei. Aber drei weitere laufen in der Stadt herum und halten die Augen offen. Fünf Männer sollen Big John Hassel dafür garantieren, dass nichts aus dieser Stadt hinausdringt.
Bresler wendet sich ab. Er geht in die Küche und schiebt die Tür hinter sich zu. Am Tisch lehnt Kate. Sie hat dunkle Ringe unter den Augen. Sie winkt ihm, näher zu kommen.
Als er dicht vor ihr steht, sagt sie: „Ed hat nur geblufft. Jackson ist nicht tot. Ed ist ein guter Mann. Jackson ist jetzt oben in seinem Zimmer. Er wird Hunger haben."
Breslers Augen werden groß und rund. Er öffnet den Mund, aber Kate legt den Finger an die Lippen und nickt zur Tür hin.
„Big John hat seinen Leuten alles erzählt", raunt er. „So, wie es ist. Wenn sie Jackson sehen, wird er es eine Stunde später wissen."
„Ich glaube nicht, dass das etwas schadet. Aber Jackson wird schon selbst entscheiden, was er tun will."
*
Es ist Mittag, als einer der Cowboys in den Saloon gestürzt kommt und schreit: „Tobe, Pete! Ed muss den Boss geblufft haben. Jackson ist im Mietstall. Und der ist so gesund und munter wie ich!"
Die beiden Cowboys an der Theke wirbeln herum.
Bresler lehnt sich gegen das Regal in seinem Rücken und hält den Atem an.
Da stürmen die drei Cowboys hinaus.
Als sie auf die Straße kommen, reitet Bill Jackson mit seinem Handpferd aus dem Mietstall. Er hat seine siebenschüssige Spencer in der Hand. Als er die Männer sieht, hält er an. Vom Stadtende vor ihm nähern sich zwei weitere