Ein CassiopeiaPress E-Book
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© der Digitalausgabe 2013 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen
Ich war gerade auf dem Weg zum Pferdestall, als Simon Calispel, der Sekretär des Richters, aus dem Gerichtsgebäude trat und rief: „Logan, he, Logan, Sie möchten bitte sofort beim Richter erscheinen.“
„Schon gut, Simon“, erwiderte ich und änderte die Richtung. „Was gibt es denn?“, fragte ich, als ich an Calispel vorbei marschierte und das Gebäude betrat. In dem großen Flur roch es nach Bohnerwachs und kaltem Tabakrauch.
„Ich habe keine Ahnung“, versetzte Calispel achselzuckend, „denke aber, dass es mit den fünf Siedlerfamilien zusammenhängt, die vorgestern hier eingetroffen sind. Einer der Siedler hat vor einer Viertelstunde um ein Gespräch mit dem Richter nachgesucht. Ich denke mal, Sie sind gefordert, Logan.“
Wenig später klopfte ich gegen die Tür zum Büro des Richters. „Kommen Sie herein!“, erklang es und ich folgte der Aufforderung. Richter Jerome F. Humphrey saß hinter seinem Schreibtisch. Sein schmales Gesicht mit den aristokratischen Zügen war ernst. Er war mit einem schwarzen Anzug und einem weißen Hemd bekleidet. Die weinrote Fliege am Hemdkragen stand in einem krassen Gegensatz zu den übrigen Farben.
Vor dem Schreibtisch saß ein bärtiger Bursche. Er trug derbe, zerschlissene Kleidung, seine Haare waren nackenlang und blond, sein Alter schätzte ich auf vierzig Jahre. Die Strapazen und Entbehrungen eines langen, harten Trails hatten Spuren in seinem Gesicht hinterlassen. Die blauen Augen schauten mich müde an. Ich schätzte den Mann ein und versuchte mir ein Bild von ihm zu machen.
Es war ein Mann, dazu geboren, den Pflug zu führen, zu sähen und zu ernten. Sicher besaß er Frau und Kinder, und sein Bestreben war es, sich und seiner Familie eine solide Existenzgrundlage zu schaffen.
Ich grüßte und richtete den Blick auf den Richter. Er war Bundesrichter und oberster Gerichtsherr des ‚District Court for the Northern District of Texas’. Seine Urteile erlangten sofort Rechtskraft. Die Berufung gegen seinen Richterspruch war ausgeschlossen.
„Guten Morgen, Logan“, erwiderte Humphrey meinen Gruß. Er sprach mit klarer, präziser Stimme. „Das ist Mr John Cassidy.“ Der Richter wies mit einer knappen Geste seiner Linken auf den Mann in der derben Kleidung. „Mr Cassidy und vier weitere Siedlerfamilien stehen mit ihren Planwagen vor der Stadt. Sie haben Siedlungsgebiet am Walnut Creek erworben.“
Nach diesen Worten stellte der Richter mich dem Mann vor.
Ich nickte John Cassidy zu.
„Ich kann mir schon denken, was Sache ist“, murmelte ich. „Die Triangle-S Ranch hat sicher eine Menge gegen die weitere Besiedlung an den Flüssen südlich des Canadian einzuwenden.“
Der Richter nickte. „Gestern tauchten ein halbes Dutzend Reiter bei den Siedlern auf – Reiter der Triangle-S. Sie haben Cassidy und den anderen Siedlern empfohlen, umzukehren oder weiterzuziehen. Sollten sie sich dennoch am Walnut Creek blicken lassen, um ihre Parzellen in Besitz zu nehmen, will man ihnen die heilige Mannesfurcht einjagen.“
„Das ist eine Drohung, die an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig lässt!“, entfuhr es mir.
„Das ist leider so“, murmelte der Richter. „Wir kennen das Problem zur Genüge. Die Ranches der Panhandle Cattle Company setzen alle Hebel in Bewegung, um die Besiedlung des Landes und damit die Ausbreitung der Landwirtschaft zu verhindern. Sie schrecken auch vor Gewalt nicht zurück.“
Ich wandte mich an John Cassidy und fragte: „Da Sie sich an das District Court gewandt haben, vermute ich, dass Sie und Ihre Begleiter eine Entscheidung getroffen haben. Sie wollen bleiben, und Sie sind gekommen, weil Sie Hilfe gegen die Triangle-S suchen, nicht wahr?“
„Wir haben die Parzellen am Walnut Creek ordnungsgemäß erworben“, antwortete Cassidy. „Und wir haben nicht den weiten Weg von Palestine herauf auf uns genommen, um hier kläglich zu scheitern. Wir lassen uns nicht einschüchtern. Das Recht ist auf unserer Seite. Und da Verstöße gegen das Heimstättengesetz unter Bundesrecht fallen, haben wir uns an das District Court gewandt.“
Der Richter mischte sich wieder ein. „Ja, die Neusiedler sind im Recht, Logan. Und da Übergriffe von Seiten der Triangle-S zu befürchten sind, wünsche ich, dass Sie die fünf Familien zum Walnut Creek begleiten.“
„Ich werde sie nicht ewig beschützen können“, gab ich zu bedenken.
„Die Triangle-S Leute werden nicht lange auf sich warten lassen“, versetzte Humphrey. „Verweisen Sie sie in ihre Schranken und machen Sie Ihnen klar, dass wir mit aller Härte gegen jeden vorgehen, der auch nur ansatzweise versucht, den Heimstättern das Leben schwer zu machen. Der Stern an Ihrer Brust wird Ihnen den nötigen Respekt verschaffen.“
„Wann wollen Sie zum Walnut Creek aufbrechen?“, fragte ich Cassidy.
„So bald wie möglich.“
„Es sind sechzig Meilen“, erklärte ich. „Bis Pampa können wir die Straße benutzen. Ab Pampa gibt es keinen Weg zum Walnut Creek. Ich schätze, wir benötigen vier Tage.“
„Dann sollten wir keine Zeit verlieren und uns unverzüglich auf den Weg machen. Was halten Sie davon, wenn wir um die Mittagszeit aufbrechen?“
„Ich bin einverstanden“, antwortete ich. „Ich werde mich also mittags bei Ihnen im Camp einfinden. Sie sind dann abmarschbereit.“
„Klar.“ Cassidy erhob sich und reichte mir die Hand. Sein Händedruck war fest. Ich schaute ihm in die Augen und mir wurde schlagartig klar, dass ich einen absolut ehrlichen, ehrbaren, fleißigen und auch entschlossenen Mann vor mir hatte. Er war mir auf Anhieb sympathisch.
*
Vor die Conestoga-Schoner hatten die Siedler Ochsen gespannt, jeweils vier Stück. Eine kleine Schaf- und Ziegenherde stand abmarschbereit etwas seitlich auf einer Wiese. Ich sah einige Hunde und hörte Hühner gackern, die in Kisten transportiert wurden, die aus Latten zusammengenagelt waren. Zu dem Treck gehörten auch ein Dutzend Milchkühe und ein Rudel Reitpferde sowie ein halbes Dutzend Kaltblüter.
Es war ein grauer Tag im September. Die Wolken hingen tief und ließen keinen Sonnenstrahl durch. In den vergangenen Stunden hatte immer wieder Nieselregen eingesetzt. Der Boden war feucht. Aber das war mir ganz lieb. Wenn fünf Prärieschoner und einige Dutzend Tiere über trockenen Boden zogen, wurde Staub aufgewirbelt, der die Poren verklebte, irgendwann zwischen den Zähnen knirschte und unter der Kleidung scheuerte.
Ich nahm alle Eindrücke in mir auf, die sich mir boten. Die Frauen der Neusiedler trugen fast allesamt breitrandige Hüte, die sie mit Tüchern auf dem Kopf festgebunden hatten. Ihre Kleider waren knöchellang und sahen ziemlich mitgenommen aus. Kinder lärmten um die Fuhrwerke herum.
John Cassidy und vier weitere Männer kamen auf mich zu. Irgendwie waren sie sich alle ähnlich. Ihre Gesichter waren bärtig, die Kleidung derb und verschlissen. Man sah es ihnen an: Sie konnten zupacken.
Ich parierte mein Pferd. Es war ein Grulla-Hengst. Er prustete, scharrte mit dem linken Vorderhuf über den Boden, dann wieherte er. Die Blicke aller hatten sich an mir regelrecht festgesaugt. Die fünf Männer hielten an, Cassidy sagte: „Sie sind ja pünktlich, Logan. Wir sind abmarschbereit.“ Und dann stellte er mich den Siedlern vor, indem er ihnen meinen Namen nannte und sie darauf hinwies, dass ich U.S. Deputy Marshal sei.
Einer der Heimstätter fragte skeptisch: „Fühlen Sie sich tatsächlich in der Lage, Marshal, uns vor Übergriffen der Triangle-S Ranch zu schützen?“
„Wir werden es sehen“, versetzte ich knapp. „Wie