Hatte sie mich gerade vor etwas gewarnt? Oder war das eher eine Drohung?
Die Baronin hob ihr Kinn und stolzierte die Veranda hinunter. Ohne sich noch einmal nach uns umzudrehen, sagte sie: »Einen guten Tag wünsche ich.«
Sprachlos standen wir da, bis wir den Motor starten hörten und das Auto über die Pflastersteine davonrollte. Beim letzten Mal hatte ich die Frau einfach nur lustig gefunden. Aber dieses Gefühl war wie weggeblasen.
»Was sollte das denn gerade!« Ma schüttelte erst über die komische Begegnung den Kopf und lachte dann auf. »Wer war das überhaupt? Baronin Schönchen, oder wie noch mal?«
Kurz fühlte ich mich unendlich erleichtert und hoffte, dass ich mir Mas eigenartiges Verhalten von vorhin bloß eingebildet hatte und in Wirklichkeit alles in Ordnung war.
Ich lachte auch. »Baronin von Schönblom, hat sie gesagt.«
»Ach, na, ist ja egal. An neugierige Nachbarn sind wir doch gewöhnt.« Ma machte eine wegwerfende Handbewegung und sah nach draußen. »Hauptsache, sie geht uns nicht noch mal auf die Nerven und latscht wieder einfach ins Haus rein. So was!« Dann sah sie sich suchend um und ich wusste sofort, was jetzt kommen würde.
»Ich finde meinen Ring einfach nirgends …«, meinte Ma da schon. »Hast du vielleicht … irgendwo? Ich glaube, er hatte einen lila Stein. Ein sehr schöner Ring ist das.«
Ich seufzte. Wenigstens erkannte sie uns und fragte nicht nach Bennos Namen.
»Hast du schon mal oben nachgesehen?«, fragte ich. »Vielleicht liegt er im Schlafzimmer auf deinem Nachttisch oder so?«
Solange Ma weiter nach ihrem Ring suchte, prüfte ich, ob der Herd an war oder irgendwo Wasser lief, aber alles sah in Ordnung aus.
»Pa?«, rief ich durch den Flur. »Wo bist du?«
Keine Antwort. Ich ging die Treppe ins Obergeschoss hoch und lugte in die Zimmer. Aus dem Bad hörte ich Wasser plätschern. Pa stand also unter der Dusche. Das war auch beruhigend. Wenigstens war ihm wieder die Notwendigkeit der Körperpflege eingefallen.
Ich rauschte in mein Zimmer und griff mir den Schlüssel zur Duftapotheke. Zum Glück lag er noch auf meinem Nachttisch. Hinter mir lehnte Mats am Türrahmen und sah sich in meinem Zimmer um. Normalerweise wäre ich seinen Blicken gefolgt und hätte mir Sorgen darüber gemacht, was er wohl über mich und mein Zimmer dachte. Aber jetzt war mir das alles nicht wichtig genug. Ich schob nur den Schlüssel in meine Hosentasche und winkte die beiden Jungs zum Dachboden.
Zu dritt standen wir eine Minute später um den Heißluftballon und schauten hinein. Der Fleck auf den Stoffbahnen war noch gut zu erkennen. Mats beugte sich tiefer und griff sich den Flakon, der in einer der Stofffalten lag.
Ja, ganz sicher, es war ein Flakon aus der Duftapotheke.
Vorsichtig strich Mats über das wellige Etikett, auf dem die Tinte halb verlaufen war. »Liebloser Duft«, entzifferte er den Namen auf dem Etikett und sah uns sprachlos an.
»Sieht so aus, als ob du recht hattest, was deinen Vater betrifft.« Ich spürte, wie auch mein Herz schwer wurde. »Tut mir so leid.« Kurz entschlossen legte ich eine Hand auf Mats’ Schulter.
Der ließ sich auf eine Holzkiste sinken und rieb sich die Stirn. Langsam steckte er sich den leeren Flakon ein. »Danke«, sagte er nur leise.
»Das ist doch gut!« Benno setzte sich neben Mats und überlegte scheinbar, was er tun konnte, damit Mats wieder fröhlich wurde. »Dann ist dein Papa keiner von denen, die mit ›A‹ anfangen und mit ›loch‹ wieder aufhören. Leon hat Quatsch erzählt.«
Ich konnte nicht anders. Obwohl das alles furchtbar traurig war, lächelte ich, genau wie Mats.
»Was machen wir jetzt?« Benno zog mich am Arm. »Du hast doch gesagt, wir müssen heute die Eltern sein?«
»Ja, richtig!«, erwiderte ich. »Eltern kümmern sich um Probleme, stimmt’s? Bevor wir uns also um Mats’ Vater und auch um Ma und Pa kümmern können, müssen wir zuallererst zwei Dinge in Ordnung bringen: erstens herausfinden, wo der verschwundene Duftflakon abgeblieben ist, der alle alles vergessen lässt. Und zweitens müssen wir mehr über Willem Boer und diese durchgeknallte Baronin von Schönblom herausfinden. Die hat mir nämlich gerade zugeflüstert, dass wir uns aus allem raushalten sollen. Wer weiß, was die beiden miteinander zu tun haben. Aber auf jeden Fall müssen wir erst mal alles über dieses Vergessens-Chaos herausfinden und darüber, was Willem genau in der Duftapotheke tut.«
Mats zog sein Handy aus der Hosentasche. »Ich schau mal nach dieser Baronin.« Er tippte ihren Namen in eine Suchmaschine ein. »Du hast recht, es ist wirklich seltsam, dass die genau zu der Zeit auftaucht, in der die ganze Stadt alles vergisst.«
»Warum ist das so?«, fragte mich Benno. »Warum macht ein Duft, dass Mama und Papa alles vergessen?«
»Keine Ahnung.« Ich hob meine Schultern. »Vielleicht ist es ja ein bisschen so, wie wenn dich ein bestimmter Duft an etwas erinnert. Der Duft nach Sonnencreme lässt dich zum Beispiel an deinen letzten Urlaub am Meer zurückdenken, ein bestimmter Waschmittelgeruch an jemanden, neben dem du morgens im Kindergarten sitzt und so. Warum sollte ein Duft nicht auch das Gegenteil auslösen können und dich etwas vergessen lassen?«
»Über diese Baronin finde ich nichts im Internet. Bestimmt ist das ein ausgedachter Name.« Mats steckte sein Handy ratlos wieder ein. »Okay, also mal angenommen, das ganze Chaos liegt wirklich an dem verloren gegangenen Duftflakon, dann müsste die Vergesslichkeit der Leute bald wieder nachlassen. Der ›Duft der Kälte‹ hat es schließlich auch nicht ewig hageln lassen. Düfte verfliegen und verschwinden mit der Zeit einfach wieder von selbst. Kein Geruch hält ewig.«
»Na ja«, sagte ich. »Außer der Duft gehört nicht in die Abteilung ›Flüchtige Düfte‹. Sind dir etwa die Metallschilder an den Regalen in der Duftapotheke nicht aufgefallen?«
Mats’ Augen weiteten sich, als er sich erinnerte. »Du meinst diese komischen Kategorien, wie ›Traumhafte Düfte‹ oder ›Gefährliche Düfte‹ und so?«
Ich nickte. »Genau. Es gab auch ein Regal mit ›Ewigen Düften‹. Das heißt, es gibt anscheinend auch welche, die eine bleibende Wirkung haben. Was, wenn der fehlende Flakon genau aus der Abteilung ist?«
»Dann haben wir echt ein Problem!« Mats strich sich angestrengt über die Stirn. »Ich frage mich schon die ganze Zeit, was Willem eigentlich mit der Duftapotheke genau macht. Wozu sind die Düfte überhaupt gut? Meinst du, er verkauft sie?«
»Wahrscheinlich«, nickte ich. Magische Düfte wie die aus der Duftapotheke mussten sehr wertvoll sein.
Es war kühl hier oben auf dem Dachboden. Ich rieb mir die Arme und schaute noch mal auf den getrockneten Fleck im Heißluftballon. Mir fiel wieder etwas ein. »Ma hat gesagt, dass Willem heute Vormittag bei uns in der Villa Evie war und sie gefragt hat, ob alles in Ordnung ist. Er hat sich wohl ziemlich neugierig hier im Haus umgesehen.«
»Echt?« Mats’ Augenbrauen zogen sich fast ineinander. »Oh Mann. Ich zerbreche mir schon die ganze Zeit über ihn den Kopf. Ich kenne Willem ja seit Ewigkeiten, eigentlich mein ganzes Leben lang. Bisher war der für mich nur der muffelige Stinkstiefel aus dem Gewächshaus. Ich kenne ihn auch nicht anders als in seiner dreckigen Latzhose und mit seinem schlecht gelaunten Gesicht. Ich dachte immer, er ist einfach einer dieser uralten Kerle, die jeden Tag genau das Gleiche machen. Ist echt schwer, sich vorzustellen, dass er hier direkt neben unserem Haus etwas Böses aushecken könnte.«
»Können wir den Duft nicht bei ihm suchen?«, fragte Benno. »Wo wohnt Willem denn?«
Ich lachte. »Bestimmt nicht im Gewächshaus, oder?«
Für einen kurzen Moment kicherte sogar Benno bei der Vorstellung, der alte Willem würde sich abends auf einer Isomatte zwischen seine Pflanzen kuscheln.
»Ich hab echt nicht die leiseste Ahnung«, sagte Mats und schüttelte ratlos den Kopf.
»Dann