Minute reihte sich an Minute. Eine Viertelstunde verging. Dann hob Sean wieder den Kopf.
„Wenn du Angst hast, dann gib mir deinen Revolver“, sagte er drängend. „Ich werde sie erledigen. Hörst du? Ich werde es erledigen!“
Jay Durango sah den Rancher vor das Kaminfeuer treten und auf seinen Sohn zugehen.
„Hat noch etwas in deinem Schädel Platz?“, schrie Tobe Tetley. „Antworte mir! Hat in deinem Schädel noch etwas anderes Platz?“
Seans Kopf sank zurück.
Tobe Tetley riss seinen Sohn am Hemd in die Höhe und stellte ihn vor dem Sofa auf die Beine.
„Ich habe dich etwas gefragt!“, stieß er gepresst hervor. „Was hat sonst noch in deinem Schädel Platz?“
Sean gab keine Antwort. Riesige Angst vor dem gewalttätigen Mann schien ihn wieder gepackt zu haben. Sein Vater schüttelte ihn.
„Antworte!“, schrie er wie von Sinnen.
Jay Durango sah aus den Augenwinkeln, wie Dave wieder versuchte, die Fesseln an seinen Handgelenken zu lockern. Vielleicht hatte der Schweiß die Rohlederriemen inzwischen völlig durchnässt, und es gelang Dave, sie wirklich zu strecken.
„Du sollst antworten!“, schrie der Rancher.
„Einer muss es tun“, würgte Sean über die Lippen. „Ich bin dazu bereit.“ Seine Stimme wurde fester. „Du brauchst mir nur den Revolver zu geben.“
Tobe Tetley schmetterte seinem Sohn die Faust ins Gesicht und ließ sein Hemd los.
Mit einem Schrei stürzte Sean auf das Sofa zurück.
Die Tür wurde aufgerissen. Ein Cowboy, der eine Lampe in der Hand hielt, stand auf der Schwelle.
„Ist etwas, Boss?“, fragte der Mann leise und offenbar sehr zögernd.
„Nichts. Du kannst wieder gehen. Halt! Stelle die Lampe auf den Tisch!“
Der Cowboy kam ganz herein und warf einen Blick auf Sean, der offenbar wieder das Bewusstsein verloren hatte. Dann stellte er die Lampe auf den Tisch.
Tobe Tetley zerrte so wild an seinem Hemdkragen, dass der Knopf abplatzte.
„Es ist heiß“, sagte er plötzlich. „Öffne das Fenster wieder - und dann verschwinde.“
Der Cowboy öffnete das Fenster, ging hinaus und schloss die Tür leise. Sein Schritt entfernte sich.
Tetley ging zu seinem Sohn und schüttelte ihn. Sean gab kein Lebenszeichen von sich. Da wandte sich Tobe Tetley ab und kam auf Jay Durango zu. Er blieb vor ihm stehen und beugte sich so weit nieder, dass sein heißer Atem Jay Durangos Gesicht streifte.
„Ich könnte ihn dafür totschlagen, Durango! Mit meinen eigenen Händen! Verstehen Sie das?“
Jay gab keine Antwort.
„Sie wollen mich nicht verstehen. Sie haben behauptet, dass Sie Vormann auf Rancho Bravo sind. Dann wissen Sie auch, was es bedeutet, so etwas aufzubauen.“
„Die Ranch wurde von Tom Calhoun aufgebaut“, erwiderte Jay Durango. „Und er hat zwei Söhne.“
„Stellen Sie sich vor, er hätte plötzlich feststellen müssen, es wäre alles umsonst gewesen, weil seine Söhne Halunken sind. Was hätte er dann getan?“
Jay blickte dem Rancher ins Gesicht. „Ich glaube nicht, dass er die Männer, die gekommen wären, um Gerechtigkeit zu verlangen, in die Wüste gebracht hätte, um sie der gnadenlosen Natur zu überantworten.“
Tobe Tetley richtete sich heftig auf.
„Ich verstehe nicht, warum Sie solange reden“, mischte sich Dave ein. „Es wird sich Ihnen keine dritte Lösung anbieten. Sie können tun, was Sie vorgestern schon einmal tun wollten und wobei Ihre Leute die Nerven verloren haben. Diesmal müssten Sie es selbst tun. Oder Sie könnten Sean schicken. Er würde den Befehl bestimmt ausführen. Oder aber Sie übergeben ihn dem Richter.“
„Ich halte das nicht mehr aus“, stöhnte das Barmädchen und griff sich nach den Schläfen. „Hört ihr! Ich halte das nicht länger aus!“
Tetley wandte sich um und ging auf sie zu. Er zog sie aus dem Sessel, in dem sie gesessen hatte und sagte: „Du bist an allem schuld. Vielleicht hast du den Spieler sogar auf Sean gehetzt, damit er auf deinen Plan eingehen muss. Damit du ihn in die Hand bekommst. Damit er dich heiratet und du dich hierher setzen und kommandieren kannst!“
„Das ist nicht wahr! Als ich ihn in San Angel sah, hatte er bereits alles verspielt.“
Tetley stieß sie in den Sessel zurück. Das Mädchen schrie erschrocken auf. In ihrem Gesicht stand nackte Angst, die ihre Augen groß und dunkel gemacht hatte.
„Du bist schuld“, wandte Jay Durango ein, als der Rancher den Kopf drehte. „Der Richter wird sie auch alle verurteilen, wenn sie vor ihm stehen. Nicht nur Sean, Tetley. Er wird sie alle verurteilen, und jeder von ihnen würde bekommen, was er verdient hat.“
Tobe Tetley kam zu Jay zurück.
„Sean wird er nie verurteilen!“, stieß er hervor. „Eher würde ich dem Jungen eine Kugel in den Kopf schießen. In San Angelo wird niemals ein Tetley vor Gericht stehen. Haben Sie das jetzt begriffen, Durango?“
„Sie brauchen nicht so laut zu schreien, Tetley“, sagte Dave scharf. „Aber denken Sie an das, was ich schon einmal sagte. Wir haben einen entschlossenen Rancher und eine starke Mannschaft. Vielleicht sind die Rinder, die Ihr Sohn und seine Kumpane in Stampede versetzten, inzwischen gesammelt und Tom Calhoun ist mit den Männern schon auf dem Weg hierher.“
„Wollen Sie mir Angst machen? Vielleicht würde ich froh sein, wenn eine Mannschaft kommt und meine Ranch unter Feuer nimmt. Vielleicht würde später, wenn sich der Pulverrauch verzogen hat, alles vergessen sein.“
Dave lehnte sich zurück.
„Ich hoffe, unsere Mannschaft wird nicht kommen“, sagte Jay leise. „Denn auch auf Ihrer Seite würden Männer sterben, die anders denken als Sie, Tetley.“
„Anders als ich?“
„Natürlich. Denken Sie, die Männer billigen Ihre schmutzigen Pläne?“
Der Rancher stieß einen Fluch aus und schlug Jay Durango ins Gesicht. Jays Kopf wurde zurückgeworfen. Einen Moment sah es so aus, als wollte Tobe Tetley sich auf ihn stürzen, dann trat er zurück.
„Ich habe die besten Pferde gezüchtet, die es in Texas gibt“, sagte er leise und wie ernüchtert. „Ich habe die meisten Rinder hier an der Grenze. Ich habe es möglich gemacht, dass hier am Nueces River Menschen leben und ganze Städte entstehen konnten. Ich, Durango, habe das alles gemacht, und alles ist mir gelungen. Aber bei Sean ...“Er brach ab und schüttelte den Kopf, als könnte er es nicht begreifen.
„Aber eines Tages wird er so sein, wie er sein soll“, fuhr er nach einer Weile leiser fort. „Dann wird niemand mehr von dem reden, was einmal gewesen ist. Dann wird er durch harte Arbeit und gute Taten für die Menschen hier an der Grenze gut gemacht haben, was er als junger Mensch falsch machte.“
Tobe Tetley wartete ein paar Sekunden und blickte von dem schweigenden Jay auf Dave Harmon. Als der auch nichts sagte, ging der Rancher rückwärts zum Kamin.
Draußen am Ende des Hofes erschallte ein Ruf. Dann näherte sich Hufschlag, der im Hof vor dem offenen Fenster verklang.
Tetley bewegte sich nicht.
Im Flur erklangen Schritte. Jemand schlug mit dem Handknöchel gegen die Tür.
„Ja“, sagte der Rancher müde.
Die Tür öffnete sich. Ein verstaubter