DER ÜBERHEBLICHE. Dr. Friedrich Bude. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Dr. Friedrich Bude
Издательство: Readbox publishing GmbH
Серия:
Жанр произведения: Сделай Сам
Год издания: 0
isbn: 9783347066786
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vor unserem Haus die Parade mit abgenommen.

      An der Spitze marschierten die „bewaffneten Kräfte“, wie sich im gehobenen Funktionärsjargon die Kampfgruppen nannten. Diese Uniformierten rekrutierten sich vorwiegend aus dem großen Reservoir der Parteigenossen mit den staatlichen und betrieblichen Funktionären. Wer in den volkseigenen Betrieben eine leitende Position hatte, konnte sich nur schwer von diesem ehrenvollen Auftrag der zusätzlichen Landesverteidigung drücken. So waren die salutierenden Reihen mit den diagonal vor der Brust paradierenden Kalaschnikows mit einer betont sowjetnahen lockeren Montur ausstaffiert. Vielleicht sollte dadurch das teilweise hohe Alter, die meist fehlende soldatische Haltung und Figur überspielt werden? Vielen dieser Vorbeimarschierenden war ihr pflichtgemäßes Posieren vor den neugierig, teilweise hämisch grinsenden Zuschauern unangenehm.

      Dann folgten die Marschblöcke der FDJ, Freie Deutsche Jugend, im Blauhemd. Die Mehrheit der Jugendlichen war dort Mitglied. Denen schloss sich die Pionierorganisation, die Jungen Pioniere, mit blauem Halstuch bekleideter Nachwuchs im Kindesalter und die GST, Gesellschaft für Sport und Technik, mit dem Motor- und Schützensport, gedacht für die vormilitärische Ausbildung des Nachwuchses, und die Sportvereine, an.

      Dazwischen Marschblöcke der Betriebe. Dort trottete der von den vorherigen Sondermarschblöcken ausgeschlossene Teil der Belegschaft alle Betriebe dahin. Die erste Reihe bestand meist aus Fahnen- und Plakatträgern, wenigen Freiwilligen, meist wurden die breit gespannten Spruchbänder auch verlässlichen Leuten einfach aufgedrängt. Das Ärgerliche für die Bedauernswerten war, dass sie diese dekorativen Symbole des Sozialismus nach der Demo wieder abzuliefern hatten, sich somit nicht unterwegs vorzeitig verdrücken konnten. Der Rest des Häufleins hinter dieser Repräsentationsreihe bummelte so spaßig unterhaltsam, wie möglich, ohne besonders negativ aufzufallen, hinterher. Die Marschkolonnen wurden somit immer länger. Aufgelockert durch im Schritt rumpelnde Traktoren, wegen der vielen Zwischenhalte stotternden Motoren von Lastkraftwagen mit Anhängern, besetzt mit Jubelnden, welche diese Erwartung auch nur kurz in Höhe der Ehrentribüne erfüllten. Über deren Köpfen hingen ebenfalls Schilder mit Lobpreisungen und Erfolgsnachrichten der Planerfüllung, wie sich Produktionsziele der Betriebe nannten.

      Wie heute bei den Karnevalszügen marschierten die Uniformen und tingelten die „Kollegen der Betrieb“ mit allem Zubehör an der Tribüne vorbei, während der Ansager über Mikrofon lauthals die einzelnen Marschblöcke ankündigend, deren Vorzüge pries.

      Es war schon imposant und unterhaltsam aus Edubs Turmfenstern zuzusehen - den Gleichschritt der Kampfgruppen, die Vorführungen der Sport- und Volkstanzgruppen, das Grüßen der Anführer der Marschblöcke mit ihren Transparenten Richtung Tribüne und deren dankbarer Beifall, durch Mikrofone verstärkt.

      Vater Horn war dabei.

      An diesem 17.Juni sollte die Demonstration einen noch nie dagewesenen Verlaufnehmen. Sohn Horn blieb bei seiner Instruktionsreise mit dem Auto schon an Geras Boulevard SORGE stecken, Demonstranten versperrten den Weg, musste ohne Weisungen zurück nach Schmölln.

      Auch dort rumorte es zwischenzeitlich. Menschenmengen marschierten von der Knopfmaschinenfabrik KNOHOMA, der Schuhfabrik und Rohde & Dörrenberg Richtung Amtsplatz und Marktplatz. Rhode & Dörrenberg, jetzt PWS genannt, war eine Werkzeugfabrik und SAG, sowjetische Aktiengesellschaft, von den Russen okkupiert, wurde von russischen Ingenieuren und Funktionären geleitet. Die gesamte Produktion ging nach Osten.

      Vater Horn versuchte dort als Vorsitzender der Gewerkschaft die Interessen der autoritären Macht mit denen der Einheimischen zu koordinieren. An dem Tag war er machtlos.

      Sohn Horn kam noch rechtzeitig vor den rebellierenden Arbeitern wieder ins Ratsgebäude am Amtsplatz, wo beim Vorsitzenden, dem Genossen Wiese, das Telefon klingelte. Aus der Villa BELLEVUE auf dem Pfefferberg, mit Blick auf die Stadt, dem Sitz der sowjetischen Kommandantur, meldete sich deren Kommandant, diskutierte die Lage. Ob man nicht jemanden unter den Demonstranten kenne, mit diesen friedlich Verbindung aufnehmen könne? „An der Spitze marschiert Zeuner von der PWS, den kenn' ich gut“, kommentierte der junge Horn die russische Anfrage.

      Auch der Schlosser der Schuhfabrik, Gerd Bauer, demonstriert mit. Am Vormittag gab es in der Fabrik heftige Diskussionen. Seine Kollegin deren Maschine er gerade eingestellt hatte, konnte die neu vorgegebene erhöhte Norm auch nicht mehr schaffen. Vor dem Abmarsch flitzte Gerd noch in die Chrimmitschauer Strasse um seine neu angetraute Frau Didi zu informieren.

      Als Kleinkind radebrechte Christina ihren Namen „Didi“, das blieb hängen. Die Vermählung der Tochter des Brunnenbaumeisters Kutschenreuter gegenüber dem Bahnhof, dessen Ehefrau Martha auch Cousine von Frieders Vater war, somit Frieders Cousine 2.Grades, galt als reichster Verwandter. Didis Hochzeit war das erste große Fest, an welchem Edub Tage vorher teilnehmen durfte.

      Schlosser Bauer erreicht noch rechtzeitig am Eingang zum Markt wieder den Protestzug.

      Zwischenzeitlich macht sich auch Sohn Horn, wie vom russischen Kommandant empfohlen, auf den Weg zu den Demonstranten, wollte Verbindung knüpfen, schlichten. Durch den Hintereingang gelangt er unbemerkt ins Rathaus, mengt sich unter die Revolutionäre auf dem Portal, späht Zeuner aus, stellt sich unbemerkt hinter diesen und flüstert dem, als der Redner endet über die Schulter: „Zeuner! Und nun stimmen wir noch die INTERNATIONALE an“, schwups, war er wieder im Rathaus.

      „Brüder zur Sonne, zur Freiheit…“ versucht Zeuner zu intonieren, nur wenige singen mit, die Melodie stirbt ab.

      Der von Edub am Fenster beobachtete Pistolenschuss des russischen Uniformierten führte dann zum Rückzug der Rebellierenden. Ein Teil von ihnen zog weiter durch die Stadt.

      Der Markt blieb aber weiterhin Mittelpunkt des Aufruhrs. Die aufgelöste Demonstration und die Radiomeldungen des RIAS (Radio im amerikanischen Sektor) hatten sich zwischenzeitlich wie ein Lauffeuer verbreitet. Immer wieder kamen Neugierige zum Markt, bildeten Grüppchen. Auch Sohn Horns junge Frau Ruth schlenderte mit Tochter und Kinderwagen über die untere Marktseite.

      Später - Borchert, stellvertretender Ratsvorsitzender, parteitreuer Redner, versucht vom Rathausportal zu agitieren, wird ausgepfiffen. Der von Edub beobachtete, in weißer Zunftjacke eines Obermeisters gekleidete Konditor legt sich mit Borchert an:

      „Die privaten Handwerker werden besonders schlecht mit Material versorgt! Wir stehen doch bei Euch auf der Abschussliste!“ Die Polizei versuchte Gruppendiskussionen zu ersticken, was nicht gelang, Verstärkung wird angefordert.

      Gegen 18 Uhr kam dann der Russenpanzer. Alles flüchtet in die Seitenstraßen, auch der Schlosser Gerd Bauer mit seiner Didi. Ausgangssperre wird verhängt.

      Der aufregende Tag geht zu Ende. Im RIAS werden noch die Meldungen zum Arbeiteraufstand abgehört. Zeitig gehen Bauers zu Bett. Die neu vermählte Didi wohnt mit ihrem Gerd wegen des Wohnungsnotstandes bei dessen Mutter. Die Rollos haben sie runter gelassen, muss ja nicht jeder in die Parterrefenster gucken können, bemerken deshalb auch nicht den PKW, welcher einsam schräg gegenüber am Abend abgestellt ist, dessen Insassen auf ihren Einsatz warten.

      Beide schlafen fest. Jeder auf seiner Seite liegend, gekrümmt, nur mit Nachthemd zugedeckt. Die Sommerhitze steht noch im Zimmer.

      Plötzlich Getrappel im Korridor - Schritte kommen näher - die Tür wird aufgerissen:

      „Aufstehen, Hände hoch!“

      Mit hartem Griff, verschlafen, wird Gerd Bauer von den Eindringlingen hoch gezerrt: „Hände an die Wand, die Beine auseinander!“ schreit einer, drückt ihm den Pistolenlauf ins Genick.

      Im Nachthemd auf den Korridor gedrängt, müssen beide, Gesicht zur Wand, stehen, währenddessen die Wohnung von drei Geheimpolizisten auf den Kopf gestellt, Fächer und Schränke ausgeräumt, gesucht und immer wieder gesucht wird.

      Proteste werden vom Bewacher, mit entsicherter Pistole hinter den beiden Benachthemdeten höhnisch zurückgewiesen.

      Die Uhr schlägt dreimal:

      „Anziehen, los, los, nur Hose und Jacke, mehr brauchen Sie nicht!“ Die Hose klemmt über dem Nachthemd, die Eindringlinge zerren Gerds Hände nach hinten, stopfen