Vor diesem bewussten schönen Osterfest war Edubs Freude, wegen der Auszahlung der ersten selbst verdienten Moneten verhalten. Immer noch nagte der verzögerte akademische Aufstieg an ihm.
Die Freunde bauten während seiner Lehrzeit das Abitur. Manche bekamen Zusagen, nach dem Grundwehrdienst oder einem Jahr Tätigkeit in der Produktion die Hochschule besuchen zu dürfen. Das beantragte politisch brisante Jura-Studium vom Freund Ebs, einem echten Arbeiterkind, wurde allerdings unwiderruflich wegen der Existenz eines West-Bruders abgelehnt, nur ein unpolitisches Studienfach genehmigt! - Für Edub alles Träume.
Auch sein Jugendfreund Paulus, Vater Zahnarzt und aktiver Kirchgänger, hatte wegen der nichtproletarischen Herkunft keine Chance, war ja schon wenige Tage nach den Abiturprüfungen in den Westen getürmt.
Wie Paulus gehörte auch Edub, Nachkomme eines Tischlereibesitzers, im Arbeiter- und Bauernstaat zur Gattung Kapitalist, konnte zwar proletarisiert werden - dieser Aufstieg war aber mit vielen Hürden gespickt, eine besonders positive Beurteilung der politischen Einstellung Voraussetzung.
Nur diese führte zu einer betrieblichen Delegierung zum Studium, der Betriebs- und Parteileitung, FDJ und Gewerkschaft kollektiv zustimmen mussten.
Für Kinder von Arbeitern war das keine Hürde, eher ein aufgezwungenes Privileg.
Edub dagegen hatte vorerst keine Chance:
„Als Genosse sollte ich mich bewerben! Dann delegieren die mich vielleicht? - Was habe ich denn gegen diesen SED-Staat einzuwenden? - Dass alle Produktionsmittel allen gehören, somit vom Staat verwaltet werden, alle Bürger an dem Erarbeiteten gleichermaßen profitieren? - Das erscheint doch logisch und sozial. - Also sozialistisch! - Das ist doch gut!“
„Warum aber machen die, welche das als oberstes Ziel verkünden, Unterschiede zwischen den Menschen. Teilen diese in die herrschende Klasse der Arbeiter und Bauern und die Beherrschten, die Intelligenz, Handwerkern, Unternehmer ein - und nehmen deren Kinder noch in Sippenhaft! Was kann ich denn dafür, dass mein Vater Handwerksmeister war, zumal wegen dessen frühem Tod ein negativer politischer Einfluss nicht mehr möglich ist? Wo liegt denn da die Logik?“
„Warum wirkt das alles so unecht? Warum haben SED und deren Genossen bei großen Teilen der Menschen einen unglaubwürdigen Ruf, gelten eher als Wichtigtuer oder Karrieristen?“
Die wirklichen Grausamkeiten dieser Diktatur hatte Edub noch nicht erkannt. Seine Einstellung zum sozialistischen System in seinen Grundsätzen war positiv - die Praxis der genannten Fragezeichen machte aber alles zunichte.
Wahrscheinlich hätten sie ihn sogar genommen - in der SED. Das wäre von Familie und Freunden als Skandal empfunden worden! Ne, dafür war er sich doch zu fein, so grundsätzlich musste die Liebedienerei nicht ausarten.
Aber eine möglichst unpolitische Mitarbeit in der FDJ wäre doch auch eine Art der Bewährung. Also organisiert Edub schon als Lehrling und Sportverantwortlicher das Betriebssportfest. Gerissen wählt er die Preise so aus, dass bei deren zur Schaustellung im Gewerkschaftsbüro für seinen möglichen Tischtennistitel ein maßgeschneidertes Präsent markiert war. Vor der Glasscheibe zum Büro stauten sich die Kollegen, diskutierten die Gewinnchancen der lukrativen Trophäen.
Seine nächste Aktivität war die Mitbegründung einer betrieblichen FDJ-Kapelle. Ein Lehrausbilder, er war kein Lästerer des U-Stahlfeilens, spielte schon in einer Band, rekrutierte Lehrling Rainer mit seinem Akkordeon, Edub fürs Klavier, qualifizierte dessen Zeichenbrettnachbarn Udo, welcher so vertrauensvoll die Einweisung betreffs Klo-Deckel-Ausruhens vorgenommen hatte, als Schlagzeuger.
Das Klavier stand im Speisesaal. Dort wurde auch von FDJ und Partei der erste Auftritt der neuen Betriebskapelle zur Mittagspause angeordnet. Minuten vor dem Klingelzeichen drängt sich am Hallenausgang zur Treppe die Warteschlange, stürzt mit dem ersten Klingelton dort hoch an den Essentresen. Der Saal wird diesmal beschallt: „Spaniens Himmel breitet seine Sterne…“ und „Der kleine Trompeter“ ertönen während des Geschirrklapperns. Langsam wird die Musik seichter: „Rosamunde“, „Auf der grünen Wiese hab ich sie gefragt“ - die Mienen der Nahrung aufnehmenden Arbeits- und Bürokittel hellen sich entspannt auf.
Fortan läutet die neue Betriebskapelle jede Versammlung mit der Deklamation einer so genannten Firmenhymne ein. Der russischen Studentenmelodie wurde ein revolutionärer Aufbruch verkörpernder Deutschtext übergestülpt:
„Brüder zur Sonne zur Freiheit…“ tuschelt und brummt es im Sprechgesang. Notgedrungen muss die Belegschaft stehend so schlecht und recht den einfachen Text der drei Strophen mitsingen, - zumindest so tun. Das sorgt vor Beginn der plakativen Reden für Ruhe und Ordnung, sichert der Freizeitcombo den parteipolitischen Anstrich und Rückhalt!
Nach wenigen Auftritten zum Ringelpietz der Lehrlinge wird der FDJ-Sekretär, wie der gewählte Anführer der Betriebsjugend hieß, größenwahnsinnig, will Geld einspielen, schickt die vier Musikanten auf Tanzsäle - auch in den ROSENGARTEN ROLIKA. Nur ausgewählte Spitzen-Kapellen präsentierten sich dort. Die FDJ-Leitung beratschlagt: „Wir müssen ein großes Plakat anfertigen, überall aushängen und euch einen klangvollen Namen verpassen!“ Nach mehreren Vorschlägen versprach der fantasievolle Titel RUMBATOS große Massenwirksamkeit.
Nachdem Edub das Plakat gemalt, endlich eine Tätigkeit seiner Neigungen, viele Male vervielfältigt, fuhren die Musiker mit Motorrad über Dörfer, Nachbarstädte, kleben möglichst unbeobachtet Plakate.
Tag des Finales: Durch den Hintereingang auf die Bühne, Instrumente aufbauen, Akkordeon-Rainer schielt durch den Spalt der Vorhänge: der Saal rammelvoll! - will der doch flüchten! - die anderen hängen lassen! Sie können ihn festhalten … bis einer gnadenlos den schützenden Vorhang aufzieht!
Klavier, Akkordeon, Gitarre, Schlagzeug klimpern, besser, flüstern eingeschüchtert die Begrüßungsmelodie. Etwas mitleidig und erstaunt beäugen die Herumstehenden den gedämpften Klangkörper. Man muss zum Tanzen notgedrungen die dürftige Akustik der vier Hanseln auf der großen Bühne ertragen. Was Besseres war nicht im Angebot. Musikkapellen waren rar. Diskjockeys mit elektronischer Musik gab es noch nicht!
Höhepunkt war immer der 1 .Mai:
Am Vorabend des „Feiertags aller Werktätigen“ spielen die RUMBATOS zum Maitanz im Gasthof des Nachbardorfes bis weit nach Mitternacht, Elvis Presleys sogenannten “Ur-Rock and Roll the Clock”, allein sechsmal. Das Repertoire ist klein. Die vorgeschriebenen 60% Ostschlager werden nie eingehalten. Die Mini-Tanzkapelle vergibt eifrig Ehrenrunden, deren Belohnung durch die Dorfjugend am Bühnenrand aufgereiht wird. Immer um die zwanzig volle Biergläser stehen dort für die Tonkünstler reserviert. Volltrunken sinken diese gegen vier Uhr nach grölendem Heimmarsch ins Bett.
Zwei Stunden Schlaf. Am nächsten Morgen frühzeitig aufstehen. Das massige Klavier aus dem Speiseraum der Fabrik, die Treppen runter gehievt, wird auf einen beplanten Kleinlaster gewuchtet, die restlichen Instrumente vom Gasthof geholt, das Schlagzeug aufgebaut.
Laut lärmend, fährt die Kapelle langsam durch die Dörfer, weckte zum Mai-Umzug!
Spätestens elf Uhr mittags müssen sie zurück sein, die Gerätschaften auf die Bühne im „Waldschlösschen“ zur Festtagsfeier der Firma karren, Aufspielen für die mit Freibier nach der Demonstration geköderte Belegschaft.
Nachmittags kurzes Sofaruhen - abends letzter Auftritt im Dorf Altkirchen.
Viele junge Mädchen, auch Edubs Liebchen, stehen dort den älteren als Blickfang, den Jungbauern als Tänzerinnen zur Verfügung. Die Landlehrer-Ausbildung der Mädchen sieht wochenlanges Studieren auf dem Dorfe vor, Unterricht in primitiven Lehrräumen, Schlafen in notdürftig eingerichteten Gemeinschaftszimmern, Arbeiten in der LPG, sprich Landwirtschaftlicher Produktionsgenossenschaft.
Mit dem Hahnenkrähen geht es in den Kuhstall zum Melken, in den Schweinestall zum Füttern, alles was sonst noch an Drecksarbeiten anfällt. Manche mit stechendem Duft belastete Lehramtsanwärterin wird von ihren auf dem Feld arbeitenden