Gleich wie im Barnabas-Evangelium tadelt zwar der heilige Mann seine Landsmänner, die er als „Brüder“ bezeichnet, doch er steht voll und ganz hinter ihnen, verehrt die Priester Israels und bezeichnet sie als die potentiellen Gerechten, weil sie seine Lehre angenommen haben.
Im Aquarian Gospel begegnen wir einer weiteren Eigentümlichkeit, die der Übersetzer nicht übersetzt hat, denn zusammen mit seinen Jüngern wurde Jesus vom Volk als die „Christine“ bezeichnet, also als solche, die das Wesen des Christus verkündet.
Mit dem Aquarian Gospel verfuhr Carlucci sowie mit allen anderen Evangelien, die er gefunden hatte: Als authentisch übernahm er zum größten Teil die Texte, die nach entsprechender Fälschung im Neuen Testament nach den Motiven des Verschwörers manipuliert wurden, was nicht heißen soll, dass in dem Aquarian Gospel nicht weitere authentische Texte enthalten sind. Vorsicht ist dennoch geboten, denn sowohl L. Downling als auch der „Überarbeiter“ und die Übersetzer haben sich – wie Carlucci bereits festgestellt hatte – hin und wieder zugunsten des Neuen Testaments die Texte zurechtgeschustert.
65 Evangelium des Vollkommenen Lebens, Kap. 90,1–6.
66 Aquarian Gospel: Eigene Übersetzung, Kap. 22,1–31.
67 Aquarian Gospel: Eigene Übersetzung, Kap. 30,1–20.
68 Das mystische Leben Jesu, S. 142.
10. Kapitel
Bei einem erneutem Treffen mit Gilberto sagte Carlucci: „Im Barnabas-Evangelium ist die Rede von der Fälschung des Evangeliums“, und las den Text laut vor.
„Was mich betrifft, kam ich in die Welt, um den Weg des Gesandten, der das Heil der Welt bringen wird, zu bereiten.
Gibt Acht getäuscht zu werden, denn viele falschen Propheten werden kommen und meine Worte zerstören und mein Evangelium verseucht“ Andreas sagt:
„Meister verrät uns, woran können wir ihn erkennen? „
Jesus antwortete: „Er wird nicht zu eurer Zeit kommen, sondern viele Jahre danach. In einer Zeit, wo mein Evangelium derart entstellt sein wird, dass knapp
30 Gerechte übrig sein werden. In dieser Zeit wird Gott mit der Welt erbarmen haben. […] Er wird mit großer Kraft gegenüber den Gottlosen auftreten und die Götzendienerei auf Erden vernichten.“69
„Bei folgendem Text aus der Apokryphe: Epistula Apostolarum, was übersetzt „Apostelbrief“ heißt“, erklärte Carlucci seinem Freund weiter, „scheint dem Verfasser der obere Text als Vorlage gedient zu haben, denn erneut erkennen wir, wie der Text ganz im Stil und entsprechend der Motive des Verschwörers umgestaltet worden ist.“
Diejenigen aber, die gegen mein Gebot gesündigt haben, anders lehren, abziehen und hinzufügen und für ihre eigene Ehre wirken, indem sie abwendig machen diejenigen, welche recht an mich glauben, werde ich dem Verderben übergeben.
Und wir sprachen zu ihm: „O Herr, wird denn eine andere Lehre existieren? „ Und er sprach zu uns: „ Wie die Guten
und Schönes Vollbringenden werden auch die Bösen offenbart.“70
Wie in einer Flucht nach vorne gibt der Verschwörer in diesem Dokument zu, dass es eine andere (falsche) Lehre geben wird, ein Zugeständnis, das er in den ganzen Beschwörungsszenarien nur ein einziges Mal machen sollte, denn in diesem Zusammenhang wird er in anderen Schriften die Begriffe „Irrlehre“, „Fälschung des Evangeliums“, „falsche Lehre“, „andere Lehre“ aufs peinlichste vermeiden und zu Umschreibungen greifen wie:
Denn es gibt viele zügellose Schwätzer und Betrüger, besonders die aus der Beschneidung, denen man den Mund stopfen muß, welche ganze Häuser umkehren, indem sie um schändlichen Gewinnes willen lehren, was sich nicht geziemt. {Eig. was man nicht soll}. (Tit 1,10–11)
O Timotheus, bewahre das anvertraute Gut, indem du dich von den ungöttlichen, eitlen Reden und Widersprüchen {O. Streitsätzen; eig. Gegenaufstellungen} der fälschlich sogenannten Kenntnis {O. des fälschlich sogenannten Wissens} wegwendest, zu welcher sich bekennend etliche von dem Glauben abgeirrt sind. {O. hinsichtlich des Glaubens das Ziel verfehlt haben} Die Gnade sei mit dir! (1Tim 6,20–21)
Die ungöttlichen eitlen Geschwätze aber vermeide; denn sie {d.h. die Menschen, welche solche Geschwätze führen} werden zu weiterer Gottlosigkeit fortschreiten, und ihr Wort wird um sich fressen wie ein Krebs; unter welchen Hymenäus ist und Philetus, die von der Wahrheit abgeirrt sind, indem sie sagen, daß die Auferstehung schon geschehen sei, und den Glauben etlicher zerstören. {O. umstürzen}. (2Tim 2,16–18)
Die jugendlichen Lüste aber fliehe; strebe aber nach Gerechtigkeit, Glauben, Liebe, Frieden mit denen, die den Herrn anrufen aus reinem Herzen.
Aber die törichten und ungereimten Streitfragen weise ab, da du weißt, daß sie Streitigkeiten erzeugen.“ (2Tim 2,22–23)
Sehet zu, daß nicht jemand sei, der euch als Beute wegführe durch die Philosophie und durch eitlen Betrug, nach der Überlieferung der Menschen, nach den Elementen der Welt, und nicht nach Christo. (Kol 2,8)
Es waren aber auch falsche Propheten unter dem Volke, wie auch unter euch falsche Lehrer sein werden, welche verderbliche Sekten {O. Parteiungen} nebeneinführen werden und den Gebieter verleugnen, der sie erkauft hat, und sich selbst schnelles Verderben zuziehen. (2Petr 2,1)
Diese aber, wie unvernünftige, natürliche Tiere, geschaffen zum Fang und Verderben, lästernd über das, was sie nicht wissen, werden auch in ihrem eigenen Verderben umkommen. (2Petr 2,12)
Denn gewisse Menschen haben sich nebeneingeschlichen, die schon vorlängst zu diesem Gericht {O. Urteil} zuvor aufgezeichnet waren, Gottlose, welche die Gnade unseres Gottes in Ausschweifung verkehren und unseren alleinigen Gebieter und Herrn Jesus Christus {O. den alleinigen Gebieter und unseren Herrn Jesus Christus} verleugnen. (Jud 1,4)
Der Verschwörer konnte sich dieses einzigartige Zugeständnis nur dieses eine Mal leisten, indem er sogar seine eigene Verschwörungsstrategie preisgibt…
Diejenigen aber, die gegen mein Gebot gesündigt haben, anders lehren, abziehen und hinzufügen und für ihre eigene Ehre wirken.“71
… ein Unterfangen, das für ihn sehr gefährlich hätte sein können, wenn nicht der Verschwörer wenige Zeilen später aus dem Mund Jesus das Kommen eines neuen Lehrers namens Paulus angekündigt hätte. Ein Zusammentreffen von Angaben, das dem Leser aus der Vermutung, dass die Person Paulus ein Teil der Fälschung sein könnte, den Wind aus den Segeln nimmt. Zwar geschieht diese Ankündigung auf sehr plumpe Weise, doch dazu sind ja die Apokryphen erschaffen worden, um den Gesprächsstoff der Kritiker nicht ausgehen zu lassen. Um die Sache noch glaubwürdiger zu gestalten, gibt der Verfälscher als Verfasser des Apostelbriefes nicht weniger als die vermeintlichen 11 übrig gebliebenen Apostel an.
Und siehe, ihr werdet einen Mann treffen, dessen Name Saul ist, d. i. verdolmetscht Paulus. Er ist Jude, beschnitten nach der Vorschrift des Gesetzes, und er wird meine Stimme vom Himmel her hören mit Schrecken, Furcht und Zittern; und seine Augen werden verfinstert und durch eure Hand mit Speichel bekreuzt werden.
Und alles tut ihm, wie ich euch getan habe. Und dieser Mann – sobald seine Augen aufgetan werden – wird Gott, meinen himmlischen Vater, preisen. Und er wird stark werden unter den Völkern und wird predigen und lehren, und viele werden erfreut werden, wenn sie hören, und werden gerettet werden.
Darauf wird man ihn hassen und in die Hand seines Feindes ausliefern, und er wird vor sterblichen Königen bekennen,