das Fahrrad der ewigen Stille. hedda fischer. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: hedda fischer
Издательство: Readbox publishing GmbH
Серия:
Жанр произведения: Триллеры
Год издания: 0
isbn: 9783734520532
Скачать книгу
in einem Handwerksbetrieb …«, sagte sie nachdenklich, zündete sich eine Zigarette an, die erste seit Wochen.

      »Da nehmen sie dich hoffentlich«, fuhr sie fort. »So ohne Abschluss.«

      Er warf ihr einen wütenden Blick zu. Sie bemerkte es nicht. Zog an der Zigarette, nippte an dem Glas, blickte aus dem Fenster.

      Es blieb ihm nichts anderes übrig. Er war noch nicht volljährig. Zwei Wochen später fing er bei Höhn Brot in der Neuköllnischen Allee an, einem Großbäcker. Seine Mutter war zum Vorstellungsgespräch mitgegangen. Das war ihm peinlich, und er fühlte sich total blöd, schließlich war er schon über 16. Andererseits war er froh darüber, denn es war durchaus nicht sicher, dass er die Firma überhaupt betreten hätte. Das Neue machte ihm doch ein wenig Angst, auch wenn er sich die nicht anmerken ließ, sondern hinter Coolness verbarg. Außerdem hatte seine Mutter den Lehrvertrag mit unterschreiben müssen.

      Die Arbeit war schwer. Er musste früh aufstehen, brauchte mit U- und S-Bahn eine gute dreiviertel Stunde, um den Betrieb zu erreichen. Und das fast jeden Tag, denn es wurde auch sonnabends gearbeitet, damit die Berliner frisches Brot und Brötchen bekamen.

      Die ersten Wochen ließen sich gut an. Die Kollegen, die ihn einarbeiten sollten, waren brauchbar ( sofern sie nicht zu viel Stress hatten ) und erklärten ihm die Abläufe. Die Pausen waren kurz und eher nebenbei, man redete nicht viel. Die Arbeitsstunden waren hektisch. Teig kurz nachkneten ( eine Maschine hatte zuerst geknetet ), Teig formen, dabei das Gewicht einhalten, Brot und Brötchen auf die Bleche, Brot und Brötchen in die Öfen … und alles schnell … schnell.

      Und das sollte nun drei Jahre lang so gehen !

      Schulzeiten gab es auch. Die bereiteten ihm keine Schwierigkeiten. Das Umrechnen von Mengen erfasste er aufgrund seiner guten Mathematik

      enntnisse sofort. Lebensmittelbestandteile mussten erlernt werden. Mit den Klassenkameraden kam er gut klar. Die Situation war anders als in der normalen Schule. Denn alle waren Lehrlinge, egal welchen Alters, bekamen dasselbe Gehalt, hatten ähnliche Arbeitszeiten, ähnlich lange Anfahrtswege.

      Im ersten Jahr bekam er monatlich knapp 500 Euro. Das war eine richtig gute Summe, von der er allerdings zu Hause fast alles abgeben sollte. Seine Mutter wollte einen Teil davon auf ein Sparbuch legen, einen Teil für den Haushalt verwenden. Nur einen sehr kleinen Teil sollte er als Taschengeld behalten dürfen. Er glaubte ihr das nicht, schon gar nicht das mit dem Sparbuch. Es gab heftige Diskussionen, doch schließlich einigten sie sich auf Halbe-Halbe.

      Da er schon am frühen Nachmittag frei hatte, hätte er an sich noch ein paar Stunden im Lager arbeiten können. Aber nachdem er das zwei-drei Male gemacht hatte, stellte er fest, dass ihm keine Zeit zum Trainieren blieb. Nach drei Monaten in der Bäckerei bemerkte er, dass die Arbeit so anstrengend war, dass er nicht nebenbei im Lagerhaus arbeiten und obendrein trainieren konnte. Also blieben nur die Lehre und das Training. Wochenlang fiel er abends todmüde ins Bett.

      8 – Onkel Otto und Tante Laura

      Seine Schwester Valentina war nie die Beständigste gewesen. Immer andere Männer, andere Jobs. Nicht fähig, eine Ausbildung ordentlich zu Ende zu bringen. Wie ihr Mann. Auch so ein Loser ! Schließlich im Gefängnis gelandet. Sie wissen gar nicht, ob er noch sitzt, ob er frei ist oder ob er überhaupt noch in der Stadt lebt. Ist ja auch egal. Sie jedenfalls, seine Frau Laura und er, wollen ihn gar nicht wiedersehen.

      Nur der Junge konnte einem Leid tun. Sie hatten ihn in letzter Zeit wenig zu Gesicht bekommen. Nur in den ersten Jahren ohne den sogenannten Ehemann. Da brauchte Valentina Hilfe bei der Betreuung des Kindes, auch mal Geld, wenn sie wieder einmal lange vor dem Ersten alles ausgegeben hatte. Da haben sie ihr natürlich unter die Arme gegriffen, man war ja schließlich kein Unmensch.

      Damals arbeitete seine Frau noch in dem Frisiersalon am Innsbrucker Platz ( sie hatte noch nicht ihren eigenen ), dorthin konnte sie den Jungen ab und zu mitnehmen. Er war ein ruhiges Kind. Saß auf dem Boden und spielte für sich allein. Mit dem, was man ihm gab, Lockenwickler und Kämme und so.

      Ottos Mutter sahen sie fast gar nicht. Musste auch nicht sein. Sie konnte sich noch gut selbst behelfen. Naja, wenn etwas dringendes wäre, würden sie natürlich mit anpacken. Aber meistens hatte sie etwas an ihrem Leben auszusetzen, fing an rumzumäkeln oder sich zu bedauern. Das mussten sie sich nicht antun. Zumal Laura in ihrem Salon genug zu tun und abends so müde Füße hat, dass sie die nur noch hochlegen will. Ist ja auch eine Plackerei ! Was man bei den heutigen Preisen alles bieten muss. Und wenn nicht, gingen die Kunden woanders hin. Stellten nach einer Weile fest, dass sie woanders auch nicht billiger davon kamen – von der Qualität und dem guten Service gar nicht zu reden – und kehrten zurück. Aber erst einmal waren sie verschwunden und damit auch der Verdienst.

      Er hat einen festen Job bei der BfA, sozusagen bombensicher. Waren sie auch froh drüber. Wer wusste denn, was noch kommen würde. Sie waren beide erst Anfang Fünfzig.

      9 – Benjamin ( 17 Jahre )

      Er langweilte sich. Fläzte sich auf dem Sofa, trank Cola mit Schuss, zappte sich durch die Kanäle. Nichts Gescheites. Kein Sport. Keine Serien. Endlich ein Action-Film. Amerikanisch natürlich. Eine Wiederholung eines alten Films mit dem coolen Denzel Washington. Washington als Lincoln Rhyme, dem gelähmten Polizeibeamten. Er verfolgte den Film erneut mit Spannung, obwohl er ihn schon kannte. Danach lehnte er sich zurück und ließ sich die Suche noch einmal durch den Kopf gehen. Ganz schön viele Zufälle, fand er. Denn wenn der Täter sich geschickter verhalten hätte, dann hätte die Polizei ihn gar nicht erwischt. Er verlor sich in Vorstellungen, goss sich eine weitere Cola mit einem weiteren Schuss Schnaps in ein Glas.

      In der Flasche Korn, die seine Mutter auf dem Couchtisch hatte stehen lassen, bevor sie zur Arbeit gegangen war, war noch ein Viertel vorhanden. Er hatte schon vor einigen Monaten angefangen, sich ab und zu Korn in seine Cola zu mischen. Anfangs nur wenige Tropfen, dann einen Esslöffel, dann mehr, aber nicht so viel, dass er betrunken wurde. Nur gerade so viel, dass er sich richtig gut fühlte. Das hatte er im Griff.

      Er überlegte. Wenn er einen Mord begehen würde, dann würde er ganz anders vorgehen. Er würde eine ihm völlig unbekannte Person angreifen, so dass die Polizei gar keine Verbindung zu ihm herstellen könnte. Am besten eine Frau. Den Moment vor etwa einem Jahr, als er der blonden Frau in der Laubenkolonie die Luft abgedrückt hatte, hatte er noch sehr gut in Erinnerung. Es war ein besonderes Gefühl gewesen, wie er es noch nie zuvor erlebt hatte. Ein Gefühl der absoluten Überlegenheit ! Macht über alle Frauen ! Über seine Mutter, seine Lehrerin, seine Oma ! Über alle, die ihn ärgerten, ihn nicht für voll nahmen.

      Sollte er die Frau fesseln ? Sie wehrlos machen, damit sie ihn auf Knien um ihr Leben anbetteln müsste … Aber dann müsste sie sprechen können, den Mund frei haben und genau dann könnte sie auch um Hilfe rufen. Um sie zum Schweigen zu bringen, müsste er ihr eine runterhauen. Ob er das fertig brachte ?

      Vielleicht sollte er doch noch auf die Straße hinunter gehen und sich umsehen, so ganz allgemein. Es war fast Mitternacht, aber er hatte ohnehin nichts weiter zu tun, morgen auch keine Arbeit. Das heißt, eigentlich sollte er sich wieder einmal in der Werkstatt einfinden, bei der er ab und zu aushalf. Ein Job, der ihm sehr zusagte, stundenweise bezahlt. Dort hatte er sich allerdings schon eine ganze Weile nicht blicken lassen, da er lieber auf den Straßen herumgestrolcht war. Bei so schönem Wetter mochte er in einem der Cafés auf der Müllerstraße sitzen oder an einem Kiosk stehen bleiben, um das Leben und Treiben zu beobachten. Leute beobachten, vor allen Dingen Frauen, sie abschätzen.

      Manchmal sprach er eine an, hatte aber bisher nur ablehnende Worte erhalten, auch lächelnde Ablehnungen. Sie antworteten freundlich, hatten dann aber genau an dem Moment keine Zeit, mussten nach Hause, zur Arbeit, sonst wohin.

      Also war es vielleicht doch möglich, Kontakte zu knüpfen und endlich den Körper einer Frau zu spüren. Bisher gab es nur die Erinnerung an die Hände seiner Mutter. Zumindest die verschafften ihm auch Befriedigung, aber eine richtige Frau, ein richtiges Zusammensein musste doch etwas anderes sein. So stellte er sich das jedenfalls vor. Es war ihm allerdings immer noch nur theoretisch klar, wie das vor sich ging.

      Die