Ich glaubte es nicht. Klein-Molly lag auf dem Boden, krümmte sich vor Lachen, als wenn wir uns abgesprochen hätten. Wir standen zeitgleich auf, nahmen beide unsere Serviette, die Gott sei Dank das Ausmaß eines Kopfkissens hatte. Mary ging vor, hielt sich die ausgebreitete Serviette vor ihre Scham. Ich folgte dicht hinter ihr, hielt meine Serviette großflächig über meinen Po. Wie siamesische Zwillinge bewegten wir uns durch das Lokal zur Toilette unter den ungläubigen und verwunderten Blicken der anderen Gäste. Hilfe! Das war megapeinlich.
Im Vorraum der Toiletten brachen wir wieder in schallendes Gelächter aus. Mary hatte zuerst ihr Kleid über den Kopf gezogen, während ich noch mit dem Reißverschluss kämpfte. Wir standen in BH und Höschen vor dem Spiegel, hielten die versauten Stellen von Kleid und Anzug ins Waschecken unter warmes Wasser und begannen mit der Waschung. Handwäsche! Ich zog kurzerhand auch mein Höschen aus. Pissnass.
Mary schaute mich verwundert von der Seite an.
„Kann es ja wohl nicht fassen! Was für eine gemeine Sauerei. Schau uns an, fast nackt auf der Toilette und die Klamotten im Waschzuber. Das Stück ist bühnenreif. Wirklich.“
Wir brachen wieder in schallendes Gelächter aus, schnappten nach Luft wie Fische auf dem Trockenen.
„Süße, mit dieser Nummer können wir demnächst beim Zirkus auftreten!“
„Wieso?“
„Du schaffst es, mit einem Stück Torte dich vorn und hinten zu besudeln!“
Jetzt gackerte sie wie ein Huhn. Sie ging in die Hocke, während sie sich vor Lachen in die Muschi kniff.
Ihr Gesicht streute feuerrote Flammen. Ich krümmte mich ebenfalls.
„Die Nummer sieht nicht nur wie Zirkus aus, sie ist auch Zirkus.“
„Häh? Wie meinst du das?“
„Ich habe mir bei deinem entsetzten verschmierten Anblick direkt mal vor Lachen in die Hose gepinkelt!“
„Waaas? Du bist der Knaller, Vali. Wirklich? Ich glaub es nicht. Auf dem Stuhl? In den Samt? Nach dem Yoga-Motto ‚befreien und loslassen‘?“
Dabei wälzte sie sich auf dem Boden, schüttelte sich vor Lachen.
Lachend beendete ich meine gründliche Waschung, wrang den Anzug und den schwarzen Ritzenfeger aus, ging auf die andere Seite zum elektrischen Händetrockner, schaltete ihn ein. Das Gebläse mit Turbinenstärke ließ meine Wäsche flattern. Ich stieg auf den Mülleimer, den ich auf den Kopf gestellt hatte, um näher an das Gebläse zu kommen, beugte mich vor, stand auf Zehenspitzen, hielt meinen Po näher unters Gebläse, damit dieser auch etwas Wärme und Trockenheit bekam.
Mary quiekte und kreischte, schlug lachend mit den Händen um sich, rollte sich beim Anblick meiner Trocknungsnummer von links nach rechts auf dem Boden.
„Scheiß Torte“, sabbelte ich, während ich mit nacktem Po auf die Uhr schaute. Nach zwanzig Minuten ermüdender Trocknungsdauer nahmen die Klamotten eine gute Form an.
„Tja, Vittorio, der Kuchen wird teuer bei dem Stromverbrauch“, murmelte ich vor mich hin, während ich mich anzog.
„Miss Pissy“, lachte Mary wieder. „Mach Platz, Schatzi, am Trockner. Postier dich an der Eingangstür als Wachposten. Hab keine Lust, von Gästen überrascht zu werden, während ich den meinen in die Höhe strecke und meine Fähnchen trockne. Shit, das wird bestimmt noch lustig. Leder in Verbindung mit Wasser und heißer Luft wird bretthart. Ja, super. Was für ein Auftritt!“
Zurück im Restaurant, hatten viele Gäste bereits das Lokal verlassen. Es ersparte uns weitere Blicke und verbale Anzüglichkeiten. Mary ging zu ihrer Handtasche, holte zwei große Scheine heraus. Lachend legte sie diese auf den Tisch.
„Stimmt so, Vittorio. Tut mir wirklich leid!“ Sie schenkte ihm das strahlendste Lächeln, das sie ernsthaft hervorbringen konnte.
Ich sagte gar nichts. Die Nummer war an Peinlichkeit kaum noch zu toppen und an Situationskomik nicht zu überbieten. Vittorio, anscheinend hellsichtig, hatte schon mal ein Taxi bestellt, in das wir wie Flüchtlinge einstiegen. Der Fahrer sah mehrfach in den Rückspiegel, um uns zu beobachten. Solch gackernde Hühner hatte er sicherlich noch nie transportiert. Wir verschluckten die Hälfte der Sätze, weil wir immer noch lachten. Mary saß steif wie ein Brett in den Polstern. Das Leder hatte sich stark zusammengezogen und zwickte überall.
Die Koffer und Taschen standen vor Marys Eingangstür. Jeff war wirklich verlässlich. Mary überreichte mir den Zettel, der auf den Koffern lag. Ich faltete den Zettel auseinander.
„Shayna, Süße! Es war viel zu kurz, aber wie immer interessant, dich zu sehen. Danke für deine überraschende Zusage. Freue mich auf heute Abend. Wenn es dir recht ist, hole ich dich um zwanzig Uhr dreißig ab.
Dein Jeff.
P. S. Die Anrede ist jiddisch. Nicht, dass ich der große Crack in Sprachen oder Dialekten bin, aber das bedeutet: Schöne Süße, und selbst das ist völlig untertrieben!“
Der Zettel zwang ein Lächeln auf meine Lippen. Jeff war echt süß!
Ich fragte Molly nach ihrer Meinung. Sie nickte zustimmend. Okay: Ich musste mich erst mal an diese Form der Kommunikation mit ihr gewöhnen. Mary holte ihren polierten Zweisitzer aus der Garage und fuhr mich nach Hause, klingelte Sturm. Mrs. Clark öffnete freudestrahlend die Tür. Sie schwang dabei ihre Hüften, tänzelte ein wenig.
„Schön, dich zu sehen, du warst aber lange unterwegs! Das Telefon stand nicht still. Habe dir die Zettel an die Tür geklebt.“
Auf dem Weg zu meinem Zimmer hörte ich im Hintergrund Harry Belafonte seinen Yellow Bird singen, ihr Liebling unter vielen. Sein Timbre ließ meinen Beckenbodenmuskel – wie hieß der noch? Popukoksus oder so ähnlich? – vibrieren. Mrs. Clark ließ sich in den Cocktailsessel plumpsen, nahm ihr Glas wieder auf. Die Eisstückchen klimperten an der Glaswand. „Komm, setz dich zu mir, Vali. Möchtest du auch einen leckeren Cuba Libre? Oder lieber einen Rum Runner?“
„Oh, vielen Dank. Bin beim nächsten Mal wieder dabei. Ich bin in Eile, weil mich Jeff gleich abholt.“
„Jeeefff!“ Sie zog seinen Namen in die Länge, strahlte sofort. „Ich freue mich, dass Jeff kommt und du dich für ihn entschieden hast.“
„Wieso entschieden? Wir gehen nur joggen, vielleicht auch essen. Oder wir gehen auf einen Drink. Nichts Verwerfliches oder Entscheidendes.“
„Das ist es ja gerade. Der schwarze Mann ist dagegen gefährlich!“
„Wieso? Du bist doch selbst farbig und ebenfalls aus Jamaika!“
„Waaas? Der ist aus Jamaika? Gott bewahre!“
Sie schlug sich mit der flachen Hand auf die Brust, hob ihr Glas, nahm einen kräftigen Schluck.
SOLL ICH ODER SOLL ICH NICHT?
Jeff stand am Auto. In der Minute, in der er mich sah, nahm sein Körper eine straffe Haltung an. Ein wunderschönes Lächeln schwebte über sein Gesicht. Galant hielt er mir die Tür auf. Im Auto unterhielten wir uns über diverse Themen. Ich musste lachen. Er war witzig, fast schon übermütig. Er konnte seine Freude kaum noch unterdrücken. Nach fast dreißig Minuten fetziger Fahrt auf dem Don Valley Parkway setzte er den Blinker, fuhr rechts in eine Parkbucht ein. Mein Blick schweifte über den Ontariosee. Er war riesig. Meine Augen schauten auf endlose Wellen mit sich kräuselnden Schaumkronen, die bis zum Horizont reichten, um dort am Ende der Welt wie ein tosender Wasserfall auf die andere Seite der Erde zu fallen. Ich schaute erschrocken nach oben. Du lieber Himmel, wegen dieser Aussage würde mich Kopernikus kreuzigen!
Jeff machte einen auf Vorturner. Wir dehnten uns wie ein Gummiband in alle Richtungen. Ein wenig viel für meinen Geschmack, weil meine Sehnen und Bänder ein mächtiges