Könnte schreien. Carola Clever. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Carola Clever
Издательство: Readbox publishing GmbH
Серия:
Жанр произведения: Контркультура
Год издания: 0
isbn: 9783347059184
Скачать книгу
meinen Nacken streichelte. Ein ziehendes Gefühl durchstreifte meinen unteren Bauch. Ich war wie erstarrt.

      Ich spreizte meine Oberschenkel und schaute in die Toilette, sah einen Klumpen! Erschrocken drehte ich mich ruckartig aus ihrer Hilfestellung und drückte vehement auf die Spülung, die mit einem Wasserschwall das Ergebnis meiner Schmerzen in die Kanalisation trieb.

      Ich fiel in mir zusammen. Die Schwester half mir hoch und geleitete mich zum Bett zurück. OMG!

      Wieder fiel ich in einen bewusstlosen Schlaf, der diesmal eine völlig andere Qualität hatte. Ich schlief und schlief. Die Schwester maß meinen Puls, befeuchtete meine Lippen. Ich schlief weiter, obwohl ich die Worte des Arztes hörte, die mir aber nichts sagten.

      Als ich aufwachte und die Sonne durch den Lamellenvorhang schien, erwachte wieder meine freudige Dankbarkeit. Ich erkannte wieder meine zweite Chance, kreuzte meine Arme über meinem Bauch, dann faltete ich meine Hände und dankte dem Universum.

      Aus den Augenwinkeln sah ich meine imaginäre Rüstung ans Bett gelehnt. Auf Hochglanz poliert wartete sie darauf, dass sie von mir angezogen und mit Stolz getragen wurde.

      Ich dachte an meinen letzten Besuch bei Mrs. Levinson und ihre aufmunternden Worte, wie sie mir Mut gemacht hatte. Ich spürte ihr Vertrauen in mich und mein Potenzial. NIE wieder wollte ich sie zukünftig enttäuschen.

      MARY IS BACK

      Ich war früh aufgestanden, saß bereits dreißig Minuten nach dem Frühstück über Wertentwicklungsprognosen. Was für ein Schwachsinn! Die hatten noch nie etwas getaugt laut Aussage eines hochangesehenen Wirtschaftsgurus, der im heutigen Artikel der New York Times, eine meiner derzeitigen Pflichtlektüren, meinte: „Wirtschaftszyklen haben sich exakt noch nie mittel- und langfristig vorhersagen lassen!“

      Ja, toll! Ich lernte etwas, bei dem der X-Faktor höher war als das Berechenbare. Ich stützte meinen Kopf in den Händen, legte meine Denkerstirn wie beim Shar-Pei, der asiatischen Hunderasse, in Falten, überlegte. An manchen Tagen war ich begeistert von den wirtschaftlichen Zusammenhängen. An anderen Tagen kriegte ich schon nach gefühlt zehn Minuten eine Staublunge, weil der Stoff derart knochentrocken war.

      Es klopfte. Ich stand auf, öffnete die Tür für Mrs. Clark, die mir strahlend auf dem Tablett meine Post reichte.

      „Hallo Valentina! Um dir einen guten Morgen zu wünschen, ist es bereits zu spät, aber guten Tag geht auf jeden Fall. Geht’s dir gut?“ Ohne Atempause ging es weiter. „Gestern bin ich gegen elf Uhr ins Bett gegangen, da warst du noch nicht da!“ Hm … Klang das vorwurfsvoll oder besorgt? Ich entschied mich für besorgt. „Ich bin aber nicht wirklich besorgt, weil ich weiß, dass du ohne Zögern dein Pfefferspray benutzen würdest.“

      Ich umarmte sie. „Mrs. Clark“, sang ich feierlich. „Sie sind wie eine Mutter zu mir. Danke, dass Sie gelegentlich ein bis zwei Augen auf mich werfen – ein wärmendes Gefühl!“

      „Ich hoffe, es kommt nicht wie eine Überwachung rüber. Mein Sohn kommt jede Woche vorbei. Er schaut bei mir nach dem Rechten. Aber seit meine Tochter aus dem Haus ist, sie nur gelegentlich nach Hause kommt, fehlt mir etwas. Deshalb bin ich froh, wenn ich dich etwas bemuttern kann.“

      Sie stand auf und ging aus dem Zimmer, nur um nach drei Minuten mit einem Teller Banana-Fritters zu erscheinen, die sie wohl am Treppenabsatz deponiert hatte.

      „Juhu, juhu“, klatschte ich vor Freude in die Hände. „Hm, die ultraleckeren Fritters, hauchdünn, in bestem Jamaika-Kokosöl gebraten! Ich werd‘ ja nicht mehr!“

      Ich machte Platz auf dem Bett. Wir setzten uns mit gekreuzten Beinen zum Lotussitz, zwischen uns die Fritters. Wir fielen wie die Wölfe über die Leckerlies her. Beim Essen blickte ich auf die Post, fixierte den ersten Umschlag, sprang plötzlich auf.

      „Was ist los?“, fragte Mrs. Clark erschrocken.

      „Was ist heute für ein Datum?“

      „Na, Dienstag, der dreiundzwanzigste. Warum?“

      Ich sprang vom Bett, riss den schwarzen Overall aus Crêpe de Chine mit weißem Kragen sowie Manschetten aus dem Schrank, zog ihn über. Huschte noch schnell das Deo unter die Arme. Suchte die schwarzen Leder-Stilettos. Den passenden geschnürten Ledergürtel. Band meine Haare zum Pferdeschwanz. Platzierte eine schwarze Samtschleife über das Gummi. Kramte die Buntstifte hervor. Begann, meinem ausdruckslosen farblosen Gesicht Farbe und Konturen zu geben. Sprühte die Mischung aus Maiglöckchen, Jasmin und Vanille über meine Haare. Klatschte mir mit meinen Handflächen zum Schluss auf beide Wangen, um die Durchblutung anzuregen. Wurde zu Rotbäckchen. Schnappte meine Handtasche. Küsste Mrs. Clark, die mich ungläubig und fragend beobachtete, auf die Wange. Trotz High Heels rauschte ich im Affenzahn die Treppe runter.

      „Tschüssle“, rief ich nach oben zu Mrs. Clark.

      „Ich hole Mary am Flughafen ab. Sie will mich sofort sehen, stand auf der Karte. Will Powershoppen, mich zum Essen einladen. Juhu, bin ja so aufgeregt. Hab sie soooo vermisst“, sang ich meine Worte.

      Auf dem Bürgersteig zur U-Bahn versuchte ich einen halbwegs normalen Gang hinzulegen. Die Höhe der Stelzen gab meinem Gang etwas Affektiertes, obwohl ich den Rücken durchstreckte und die Schultern nach hinten zog. Ich hob meinen Kopf, um locker zwei Zentimeter Höhe zu gewinnen. Jawohl, aufrecht und gerade sollte es aussehen. Ich bemerkte, wie ein Wagen gefährlich nah an den Bürgersteig rollte. Der Fahrer ließ die Scheibe herunter, beugte sich vor, sodass ich ihn erkennen konnte.

      „Hallo Valentina, was für ein Zufall!“

      „Oh, hallo Jeff! Grüß dich. Schön, dich zu sehen. Geht’s dir gut?“

      Der Wagen hinter ihm hupte wie verrückt. Ich zuckte zusammen. „Blendend! Danke der Nachfrage!“

      Hast du es eilig?, fragten seine Augen. „Darf ich dich mitnehmen?“

      „Ich muss zum Flughafen. Das ist sicherlich nicht deine Richtung!“

      „Egal. Steig ein. Ich fahr dich.“

      „Nicht egal! Ich will dir keine Umstände machen.“

      „Für dich würde ich bis Feuerland fahren!“, lächelte er vielsagend, fast verschmitzt.

      Was sollte ich darauf antworten? Ich sagte nichts. Dafür lächelte ich ihn bewundernd an.

      Jeff kratzte sich am Kinn. „Ich musste immer wieder an unsere letzte Unterhaltung denken. Da warst du ja ganz schön in Fahrt. Deine religiöse Einstellung teile ich nicht ganz, aber sie ist für mich nachvollziehbar und interessant. Ich erkenne, dir ist Ethik wichtig!“

      „Absolut. Ethik ist für mich wichtiger als Religion. Gott hat die Bibel nicht geschrieben, hatte er auch nicht nötig, Jesus auch nicht. Dieses Buch der Geschichten mit Leitsätzen für gutes Verhalten, Empfehlungen für ein respektvolles Miteinander, das für viele Trost und Ansporn zugleich ist, ist ein wertvolles Buch … doch von Menschen geschrieben.“

      „Nun, wenn man so wie ich in einer religiösen Gemeinschaft aufgewachsen ist, ist die Wahrnehmung der Dinge, die Indoktrinierung, eine andere, als wenn man ohne oder nur mit wenig Religion in Berührung kommt. Ich finde es schön, dass du so zu deiner Meinung stehst. Die meisten Frauen, die ich bisher ausgeführt habe, zeigten wenig bis gar kein Interesse an vielen Dingen wie Sport, Politik, Wirtschaft oder Religion.“

      „Das kann ich verstehen. Manche Frau ist da vielleicht in anderen Themen breiter gefächert als ich. Deine Themen streifen manche dann gern nur am Rande.“

      „Hättest du vielleicht noch einmal Lust, dich mit mir zu treffen? Wir könnten essen gehen, ins Theater, in den Zoo oder eine Kunstausstellung besuchen. Was immer du möchtest!“

      „Hört sich gut an. Lustig, dass du den Zoo vorschlägst. Das würde mir gut gefallen. Ich liebe Tiere aller Art.“

      „Wirklich? Das war eigentlich nur ein Scherz, weil der Zoo so gar nicht in die Aufzählung passt. Frauen haben bisher nie den Zoo gewählt haben, wenn ich eine Aufzählung machte.“

      „Was