Der Autor
Robin Becker ist 1975 in Bielefeld geboren. Seit seinem sechzehnten Lebensjahr bereist er mit Rucksack und Feder die Welt. Als gelernter Industriemechaniker zog er 1996 von Bielefeld nach Köln. Ab 2003 studierte er in Potsdam und Bielefeld Sozialpädagogik. 2008 zog er nach Bern, wo die ersten Ideen für diesen Roman entstanden sind und er auf diversen Bühnen Lesungen hielt. Während drei längeren Reisen durch Südindien schrieb er Reisestorys und arbeitete an zwei Roman-Manuskripten. Seit 2015 wohnt Robin Becker in Köln und Berlin und ist freiberuflich als Familienhelfer sowie Autor tätig.
Auf der Seite www.facebook.com/literaturpodium/ veröffentlicht Robin Becker regelmäßig Reisestorys, Shortstorys und Ausschnitte aus seinen Romanen sowie Manuskripten.
Robin Becker
Komfortzone
Roman
4. Auflage (vom Autor überarbeitet) März 2020
Copyright: © Januar 2019 Robin Becker
Umschlaggestaltung: Michael C. Peters, Robin Becker
Cover-Zeichnung: Michael C. Peters
Verlag & Druck: tredition GmbH, Halenreie 40-44, 22359 Hamburg
Impressum
Paper: 978-3-347-04203-2
Hard: 978-3-347-04204-9
E-Book: 978-3-347-04205-6
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Einzig
der
Moment
ist
unsterblich
I
Der Nebel wurde dichter, verwandelte die Windräder in Säulen einer versunkenen Stadt. Alex drosselte das Tempo und schaltete die Scheinwerfer an. Ich lehnte meinen Kopf an die Scheibe, die angenehm vibrierte, dachte daran, wie Michael rauchend auf dem Balkon gestanden und von Abschied gesprochen hatte, sogar von Wiedergeburt im Sinne eines großen Ganzen. Er hatte gemeint, er sei vorbereitet, schon ganz andere hätten das hinter sich gebracht. Jesus, Humboldt, Einstein, Che Guevara, sogar Oma und Opa. Man würde sich wiedersehen. Ich hatte zu all dem wenig gesagt, nur, dass er die endgültige Diagnose erst mal abwarten solle. Doch das Gesicht des Arztes hatte Bände gesprochen, ebenso, dass Michael auf dem Balkon hatte rauchen dürfen. Am liebsten hätte ich ihm angeboten, diesen ganzen Quatsch hier zu vergessen und mit mir zu kommen, uns würde schon noch was einfallen. Krankenhäuser sind Vororte der Hölle. Aber solche Worte hatten Michaels Gesichtsausdruck und angeschwollener Bauch nicht zugelassen.
Heike hatte gemeint, den Tod gebe es nicht, nur die Angst davor. Sie hatte viele Ängste, aber diese nicht. Ich sollte nicht mehr an Heike, Michael oder sonst etwas Vergangenes denken, ermahnte ich mich. Einfach alles vergessen. Vielleicht sollte ich wieder mit Tagebuchschreiben anfangen? Ein Tagebuch ist wie eine Schatztruhe. Truhe auf, Vergangenheit rein, Truhe zu, fertig, Leben kann weitergehen. Leicht gesagt.
Ich sah zu Alex hinüber. Sein verträumter und dennoch wacher Blick, seine Art mit mir und dem Leben umzugehen, waren mir sehr vertraut. Er hatte mir davon abgeraten nach Bern zu ziehen. Doch nun steuerte er den Umzugswagen, und ich saß daneben und schwelgte in Erinnerungen.
***
Heike stocherte in dem Kartoffelauflauf herum und sagte, dass sie mit Felix geschlafen hat.
„Bitte was?“ Ich nahm einen Schluck Sekt. „Mit welchem Felix?“
Sie blickte mich mit traurig glänzenden Augen an. „Dem Leiter meiner Achtsamkeitsgruppe.“
Nachdem ich ermittelt hatte, wann der Betrug stattgefunden hatte, sagte ich: „Als ich also über meiner Masterarbeit Blut geschwitzt habe, hast du ‚I fuck Mister Achtsam‘ gespielt. Und warum sagst du mir das erst jetzt? … Ich rede mit dir.“
Was war nur mit ihr los? Ihre Kindheit, ihre Psychomutter. Ihre vorigen Beziehungen. Ihre Pseudospiritualität. Was nur?
„Ich kann verstehen, dass du sauer bist … Aber ich hatte diese Erfahrung gebraucht … Ich weiß jetzt, wer ich wirklich bin –“
In keinem Fall wollte ich ausrasten. Ich beherrschte mich. Ich wollte sie in den Arm nehmen – beinah. Aber nein, ich wollte sie erwürgen, sie mit ihren elenden Selbstlügen, Komplexen und Ängsten, die ja auch meine wurden. Schauen, fühlen, verstehen, missverstehen.
„Ja, was?“, setzte ich nach.
Sie reagierte nicht. Mit einer gemächlichen Armbewegung fegte ich den Tisch leer und lehnte mich auf ihn. Heike sah regungslos zu, wie da alles zu Boden krachte und meinte plötzlich, so ginge es nicht weiter, wir täten einander nicht mehr gut, vier Jahre, sie brauche Zeit und so weiter. Ich wollte nichts mehr hören, hob den Arm wie eine weiße Flagge und machte unmenschliche Laute.
„Du machst mir Angst“, sagte sie.
Du mir auch, wollte ich sagen.
Sie entfernte sich, lief in meiner Wohnung auf und ab, blieb bald mit vier Plastiktüten voll Sachen an meinem Tisch stehen. Ein kurzer Blick reichte, dann war sie weg.
Am nächsten Tag fuhr ich mit zwei Büchsen Bier und einer Flasche Doppelkorn an meiner Seite mit dem Auto meiner Mutter spazieren. Ich kam gerade an Felix’ Wohnhaus vorbei, als mich eine Polizeistreife per Lautsprecher aufforderte, anzuhalten. Kurze Fahrerflucht, zwei rote Ampeln, 1,2 Promille genügten, dass sie mir meinen Führerschein abnahmen. Nachdem ich meinen Rausch ausgeschlafen hatte, stattete ich Felix einen Besuch ab und wollte ihn zur Rede stellen oder ihm einfach eine reinhauen. Doch als ich dann vor ihm stand und er mich voller Mitgefühl anblickte und mich freundlich hereinbat, war meine Wut verraucht. Wir nahmen vor seinem Aquarium Platz, und er schenkte Bambustee ein. Ein halbes Räucherstäbchen lang redete er über das Ego, das niemals Ruhe gibt, permanent nach Anerkennung trachtet, Angst vor Kontrollverlust hat und wahre Liebe unmöglich macht.
Ich sah währenddessen stumm wie einer dieser bunten Fische ins Aquarium, dachte daran, wie Heike und ich zusammen ein Buch über tantrischen Sex gelesen hatten, das uns zu verstehen gab, wie wichtig es gerade in der Sexualität, aber auch im Alltag ist, dass jeder sehr gut bei sich und beim anderen ist.
„Du hältst dich für erleuchtet, kann das sein?“, sagte ich.
Er lachte auf sympathische Weise. „Nein. Aber mir scheint, dass ich allmählich zu mir komme und nicht mehr so sehr unter meinem Ich leide.“
„Soll ich dir sagen, was ich von dir denke?“, sagte ich mit weicher Stimme.
„Nur zu.“
„Du hast das größte Ego von allen und fährst eine schäbige pseudospirituelle Masche, mit der du Frauen verführst.“
„Heike und ich sind uns auf einer rein nondualistischen Ebene begegnet.“
„Du meinst, ihr habt, während ihr miteinander geschlafen habt, euer Ich abgelegt wie einen alten Mantel?“
Er nickte.
„Na klar. Du mich auch.“ Ich erhob mich, verließ die Wohnung und knallte hinter mir die Tür zu.
***
Sieben Wochen nach der Trennung hatte ich eine Jobzusage in einer Art Behindertenheim in der Nähe von Bern und sogar übers Internet eine kleine Wohnung gefunden. Meine alte Wohnung war