Auseinandersetzungen zwischen Briten und Italienern im Juli 1977 von der Eritreischen Volksbefreiungsfront (EPLF) zerstört wurde. _
Ungeachtet der schon seit der vorletzten Jahrhundertwende hier lebenden muslimischen Bevölkerungsmehrheit oder vielleicht gerade deswegen, errichtete die katholische Kirche im Windschatten der italienischen Kolonialbestrebungen 1920 eine Kirche – Sankt Antonius – deren kleine Gemeinde bis heute fortbesteht. Betreut wird sie aktuell von fünf Franziskanermönchen, die als Splitter des insgesamt einhundertfünfzig Männer starken eritreischen Ablegers dieser Glaubensgemeinschaft in Keren die Stellung halten. Einer der Brüder zeigt mir sowohl das ursprüngliche Kirchengebäude als auch den 2006 eingeweihten größeren Neubau. Er erzählt unter anderem auch, dass die Altersgrenze für Reisen ins Ausland auch für Geistliche bei fünfzig Jahren liege und er deswegen noch nie in Italien, respektive in Rom und dem Vatikan gewesen sei.
Nahe der Kirche wohnen in einer großartigen ehemaligen italienischen Villa, deren sämtliche Türen weit offen stehen und die meisten Fenster keine Scheiben mehr haben, eine Reihe von Migranten aus dem Sudan. Lauter junge Männer, die sich zu je viert, fünft oder sechst ein paar karge Zimmer teilen, welche außer einem Bett für jeden von ihnen, kein Mobiliar aufweisen. Keiner von den dreien, die ich mittags in dem Gebäude antreffe, spricht ein Wort Englisch. Entsprechend ist nicht herauszubekommen, warum sie hier sind und was sie hier machen. _
Keren ist unter anderem eine Hochburg der eritreischen Goldschmiedekunst und beherbergt daher unter anderem mehrere Straßen, in denen sich Juweliergeschäft an Juweliergeschäft reiht. Neben wenigen modernen Schmuckvariationen werden überwiegend neue, aber traditionell designte Stücke für Kopf, Haar, Stirn, Ohren, Hals und Finger angeboten. Ein ausführlicheres Gespräch mit einem der dort arbeitenden Männer offenbart, dass die Händler alten Silberschmuck vornehmlich von der ländlichen Bevölkerung aufkaufen und einschmelzen, um so Material für neue Arbeiten zu bekommen. Ich mag mir gar nicht vorstellen, wieviel tribales Kulturgut auf diese Weise schon vernichtet wurde und beschließe ab sofort per Ankauf das ein oder andere Stück vor dem Tod im Schmelztiegel zu bewahren. —
Asmara, 12. Februar 2020
Eine wohlmeinende Seele hat mir zur Vorbereitung dieser Reise einen Artikel aus einer deutschen Tageszeitung und dem vergangenen Jahr, also 2019, zugeschickt. Der Autor berichtet darin von seinem kürzlich absolvierten Besuch in Asmara und den vorgeblich wenigen vorhandenen Fahrzeugen, die außerdem überwiegend und bestenfalls aus den frühen Siebzigerjahren stammen sollen. Er beschreibt alle Geschäfte als staatlich gelenkt, beklagt bitterlich gefühlte einhundert Prozent nicht funktionierende Telefonzellen und damit die Unmöglichkeit Auslandstelefonate zu führen und außerdem ein vollständiges Fehlen von Geldautomaten. Insgesamt entwirft er in seiner Reportage über Eritrea das Bild eines afrikanischen Kubas, in welchem ein Land durch mutwillige sozialistische Regierungsprinzipien sein Humankapital und seine wirtschaftlichen Möglichkeiten auf Verschleiß fährt, damit das tägliche Leben zum Stillstand verurteilt und so eine fortschreitende Verelendung seiner Bevölkerung verschuldet.
Ich kann diese Beschreibungen der äußeren Lebensumstände bisher so nicht bestätigen. In dem Asmara, das ich gerade erlebe, fahren viele Autos westlicher, überwiegend japanischer oder europäischer Herkunft und mehrheitlich aus den letzten zwanzig, dreißig Jahren beziehungsweise deutlich jüngeren Alters durch die Straßen. Die bisher besuchten Geschäfte sind ausnahmslos in privater Hand und werden häufig als Familienbetriebe geführt und die überall zu findenden Telefonzellen sind tatsächlich öfter nicht mehr intakt, was aber im Wesentlichen daran liegt, dass die meisten Menschen hier moderne internetfähige Mobiltelefone besitzen und Telefonzellen, wie bei uns auch, kaum noch benötigt werden.
Plakat auf einer Hauswand in Asmara
Wenn man tatsächlich ein Auslandsgespräch führen möchte, kauft man sich einfach eine Telefonkarte und benutzt eine Fernsprechzelle in einer der zahlreichen und überall zu findenden Eritel-Dependancen. Weiß ich genau, worüber ich da spreche? Aber ja. Aus akuten familiären Gründen rufe ich einmal am Tag in Deutschland an. Und das funktioniert ganz wunderbar. Es ist also keinesfalls so, als wäre man in Eritrea vom Rest der Welt abgeschnitten, wie es der Journalist in seinem Artikel insinuiert.
Auch Einkaufen in Asmara ist relativ leicht. Es gibt zum einen viele kleine Lebensmittelgeschäfte, die überwiegend Importartikel aus Italien zu bemerkenswerten Preisen führen. In der Nähe des ‚Mercatos‘, einer Markthalle aus italienischer Zeit mit europäischen Obst- und Gemüsesorten findet man zudem Fachgeschäfte mit original italienischen Käsesorten, Spirituosenläden mit gut sortierten Angeboten italienischer Rotund Weißweine und sogar eine Kaffeerösterei, die mit beeindruckenden und hervorragend instand gehaltenen Maschinen aus der Kolonialzeit ihr Angebot produziert. Die Preise für all diese Delikatessen sind für hiesige Verhältnisse abenteuerlich hoch, aber offenbar gibt es eine Klientel, die damit ihre kulinarischen Bedürfnisse befriedigt.
Neben diesem Spezialangebot für Exilitaliener und betuchte Eritreer findet man überall in der Stadt kleine Läden mit Grundnahrungsmitteln, Reinigungs- und Hygieneartikeln sowie Getränken und zuweilen auch Spirituosen. Auf dem riesigen Zentralmarkt in der Nähe eines der Busbahnhöfe wird Getreide, Obst und Gemüse verkauft, das für die durchschnittliche Bevölkerung erschwinglich scheint. Zurzeit wirkt das Angebot auf diesem Markt mehr als ausreichend, inwieweit es aus heimischer Produktion stammt oder es sich hierbei um
Importe handelt, ist für den Außenstehenden jedoch nicht erkennbar.
Für die Grundversorgung gibt es darüber hinaus Läden, die von der Volksfront für Demokratie und Gerechtigkeit (PFDJ) betrieben werden. Hier können gegen Coupons, die staatlicherseits an Bedürftige ausgegeben werden, verbilligt und mengenmäßig limitiert Nahrungsmittel für den täglichen Bedarf eingekauft werden. Das System ist nicht als eine Methode der Rationierung zu verstehen. Jenseits der Coupons können alle hier ausgegebenen Waren woanders problemlos zum regulären Marktpreis gekauft werden. Das verbilligte Angebot der PFDJ-Geschäfte dient vielmehr als Unterstützungsmaßnahme, um bedürftigen Menschen den Zugang zu Nahrung und Artikeln des täglichen Verbrauchs, wie zum Beispiel Seife zu gewährleisten.
Abgefülltes Trinkwasser ist im Gegensatz dazu ein kostspieliges Verbrauchsgut. Die Literflasche kostet zwischen umgerechnet 1,20 und 1,50 Euro und ist somit für Teile der einheimischen Bevölkerung wahrscheinlich unerschwinglich. Die Etikettierung der Flaschen weist das Wasser als heimisches Produkt aus. Im Internet finden sich jedoch auch Hinweise, dass Trinkwasser zumeist aus verschiedenen Nachbarländern importiert wird. _
Überall in der Innenstadt findet man öffentliche Büchereien. Sie sind gut besucht, oft sitzen Schüler und Studenten an den Arbeitstischen und schreiben Hausarbeiten(?) auf ihren mitgebrachten Laptops. Daneben stehen Leseecken mit Tageszeitungen zur Verfügung, die für europäische Verhältnisse allerdings dünn ausgestattet sind, denn sie bieten fast ausschließlich die tigrynische Ausgabe von ‚Eritrea Profile‘ an, einer zweimal wöchentlich erscheinenden, sieben Seiten starken und mit überwiegend harmlosen Themen, wie der Eröffnung einer neuen Schule oder eines Krankenhauses auf dem Land, bestückten Zeitung.
Die Bibliotheken offerieren insgesamt weniger Belletristik, denn vielmehr Fach- und Sachbücher zu diversen wissenschaftlichen Themen, mit einem deutlichen Schwerpunkt auf Naturwissenschaften oder technischen Fachbereichen. In den geisteswissenschaftlichen Abteilungen dominieren Werke zur Geschichte ohne ausmachbaren Schwerpunkt. Und je nachdem in welcher Filiale dieser dezentralen Stadtbücherei man sich gerade aufhält, findet man vielleicht auch ein paar Regalbretter mit einem kleinen Angebot englisch- oder französischsprachiger Literatur. Der komplette Bestand aller Stadtteilbibliotheken setzt sich nach Auskunft des Personals fast vollständig aus Geschenken von Unternehmen und Privatpersonen zusammen. Die wahllos und unsortiert gespendeten Bücher werden von der zentralen Büchereileitung begutachtet und nach entsprechender Bewertung gegebenenfalls in den Bestand aufgenommen. Ob es darüber hinaus einen Ankaufetat gibt, ist nicht zu erfahren. _
Auf meinen bisherigen Wanderungen durch