Bei meiner Ankunft hatte ich am Flughafen eine Reihe eritreischer Migranten getroffen, die aus dem Ausland anreisten, weil am Wochenende in Massawa, der geschichtsträchtigen Hafenstadt am Roten Meer, eine drei Tage dauernde Feierlichkeit anlässlich des dreißigsten Jahrestags der Unabhängigkeit stattfinden würde. Diese Information wirft den angedachten und gewohnten Reisebeginn komplett über den Haufen. Nichts ist es also mit einem langsamen Hineingleiten in das neue Umfeld. Stattdessen steht nach kurzem Ankommen, Auspacken und einem schnellen Morgenkaffee ein geschwinder Aufbruch zum Tourismusministerium in der Innenstadt auf dem Plan, um für den Besuch von Massawa am darauffolgenden Tag eine Genehmigung zu bekommen. Alle Ausländer müssen sich eine Fahrt weiter als zwanzig Kilometer hinaus aus Asmara vorab genehmigen lassen. Diese ‚Permissions‘ werden gegen Entgelt zentral vom Ministerium ausgegeben, müssen laut Internet zwei Tage im Voraus beantragt werden und es soll vorkommen, dass sie manchmal auch verweigert werden. Soweit die theoretische Informationslage. Meine Realität läuft im Gegensatz dazu wie folgt ab:
Das winzige Ministerialbüro gegenüber der Kathedrale von Asmara ist mit einem halben Dutzend zauberhafter junger Frauen besetzt, die alle Englisch sprechen und bei den Abläufen zwar nicht in allen Details sattelfest, auf der anderen Seite aber hilfsbereit, auskunftsfreudig und improvisationsfähig sind. Seit dem Friedensschluss mit Äthiopien hat sich Eritrea endgültig den Aufbau einer Tourismuswirtschaft auf die Fahnen geschrieben. Entsprechend hat offenbar heutzutage niemand mehr ein Interesse daran, die bisher wenigen Besucher des Landes mit all der Bürokratie zu behelligen, die zum jetzigen Zeitpunkt noch Standard ist. Und so bringen mich die Frauen - nach Rücksprache mit ihrem Vorgesetzten im Hinterzimmer - auf dem Papier kurzerhand in einem der üblichen Innenstadthotels unter, denn Privatunterkünfte, wie mein Appartement, werden als touristische Unterkünfte nicht anerkannt, womit eine entscheidende Voraussetzung für die Erteilung eines inländischen Reiseerlaubnis nicht gegeben ist.
Jenseits der Tatsache, dass sich für den Außenstehenden zwischen der Unterkunftsart in Asmara und der Erteilung einer solchen Erlaubnis kein rechter Zusammenhang erschließen will, ist die Umgehung der Vorschrift mit einer fingierten Hotelnennung bei meinem Antrag in mehrerlei Hinsicht bemerkenswert. Zum einen zeigt es, dass die Mitarbeiter des Ministeriums die Unterstützung des Tourismus über das Regelwerk einer Administration aus Kriegszeiten stellen, zum anderen kann man den Vorgang als Indiz dafür nehmen, dass später kein Mensch mehr die Angaben auf dem Antragsformular überprüfen wird.
Es dauert eine gute halbe Stunde, dann sind alle Formalitäten erledigt und ich halte eine Quittung über die zum Vorgang gehörenden Gebühren in der Hand, die Erlaubnis für eine Busfahrt nach Massawa im Gegensatz dazu aber einstweilen noch nicht. Sie muss von einer nächsthöheren Instanz zunächst geprüft und abgestempelt werden. Dafür verlässt das Formular mit Photokopien von Pass und Visum das Büro und Gebäude, wird von einem Boten über die Straße getragen und kann erst im Laufe des Nachmittags wieder abgeholt werden. Dann allerdings halte ich sie in Händen und sehe einem Ausflug nach Massawa am kommenden Morgen freudig entgegen. _
Weniger erfolgreich verläuft im Gegensatz dazu mein erster Anlauf, eine hiesige Simkarte für ein Mobiltelefon zu erwerben. Diese Anschaffung erscheint sinnvoll, auch wenn man mit einer solchen Karte keine W-Lan-Verbindung aufbauen kann, denn die meisten Kontakte hier im Land laufen über Telefonnummern und eine lokale Handynummer erleichtert erfahrungsgemäß das Leben bei kurzfristigen Hotelbuchungen oder Verabredungen ungemein.
Die Mädchen im Tourismusbüro schicken mich für die Beantragung zu einer Vertretung von Eritel, der eritreischen Telekommunikationsgesellschaft. Die dortigen Mitarbeiterinnen verweisen weiter auf die Firmenzentrale außerhalb des Stadtzentrums in der Nähe meiner Wohnanlage. Dort dirigiert man mich im ersten Durchgang in den zweiten Stock und auf einen
Büroflur, dessen Türen ausnahmslos verschlossen und die dahinterliegenden Dienstzimmer unbesetzt sind. Folglich verweist man mich daraufhin an das - ebenfalls nahegelegene - zentrale Hauptgebäude des bereits erwähnten Ministeriums für Tourismus. Auch hier treffe ich im ausgewiesenen siebten Stock niemanden an, im Erdgeschoss aber schließlich eine Sachbearbeiterin, die mit meinem Wunsch nach einem Simkartenantrag für Ausländer überhaupt nichts anfangen kann. Es dauert eine ziemlich lange Weile, bis einer ihrer Vorgesetzten gefunden ist, der sich als reizender älterer Herr erweist und schließlich das benötigte Dokument ausstellt. Diese Dienstleistung ist gebührenfrei, allerdings photokopiert er meinen Pass und mein eritreisches Visum für seine Akten und fügt einen weiteren Satz Kopien dem besagten Antrag bei.
Mit dem nun vollständigen Formular nebst Anlagen gehe ich zurück zur Eritel-Zentrale. Hier bittet man mich jetzt an Kassenschalter zwei und dort um umgerechnet knapp vierzig Euro für die Sim und ein erstes Gesprächsguthaben, insgesamt rund fünf Euro mehr, als ein Einheimischer für so ein Paket bezahlt. Mit der Quittung stehe ich anschließend zum x-ten Mal vor dem Schreibtisch der jungen Frau, mit der ich mich inzwischen seit fast drei Stunden immer wieder treffe, um von ihr immer neue administrative Entdeckungstouren zur Erlangung einer Telefonkarte auferlegt zu bekommen. Theoretisch hätte es jetzt klappen können, wäre ihr nicht im letzten Moment aufgefallen, dass dem Antrag auf Simkartenkauf auch ein Passphoto beigelegt werden muss. Im Original und nicht als Photokopie, wie von mir vorgeschlagen. Sie beharrt eisern auf einem richtigen Photo und schlägt mir ob der inzwischen fortgeschrittenen Tageszeit vor, am nächsten Tag - mit einem Photo - noch einmal wiederzukommen. Ich lasse mir entsprechend missgelaunt meine bereits bezahlten sechshundertvierzig Nakfa wieder auszahlen und gehe um einige bürokratischen Erfahrungen reicher, aber fürs Erste ohne Telefonkarte nach Hause. _
Zwei Tage später
Der gestrige Ausritt per Bus nach Massawa anlässlich der Dreißig-Jahr-Feier zur eritreischen Unabhängigkeit war von einem maximalen Misserfolg hinsichtlich des genannten Anlasses gekennzeichnet. Das für Außenstehende, welche die eritreische Unabhängigkeit im Jahr 1993 verorten, irritierende Datum basiert auf der entscheidenden dreitägigen Schlacht zwischen dem achten und zehnten Februar 1990, die unter der Bezeichnung ‚Operation Fenkil’ in die Geschichte Eritreas eingegangen ist und mit der Befreiung Massawas von der äthiopischen Besetzung endete. Für Eritreer markiert der Ausgang dieser schweren dreitätigen Gefechte einen Wendepunkt im Kampf um die Unabhängigkeit und entsprechend wird das Datum im kollektiven Bewusstsein des Landes besonders hochgehalten.
Entgegen aller Auskünfte in Asmara, die Feier dauere von Freitag bis Sonntag, stellte sich vor Ort leider heraus, dass zwar tatsächlich Freitag alle Vorbereitungen getroffen wurden, der offizielle Festakt und das Rahmenprogramm aber nur Samstag und Sonntag stattfinden würden. Das war eine wirklich frustrierende Wendung der Abläufe, passte aber zu allen übrigen Widersprüchen bei Planung und Ausführung der Exkursion.
Für die rund einhundertzwanzig Kilometer lange Fahrt zwischen Asmara und Massawa benötigte der Bus alles in allem nicht - wie Informationen im Vorfeld behauptet hatten – zwei, sondern insgesamt mehr als drei Stunden. Basierend auf der falschen Auskunft hatte ich geplant, um sieben Uhr morgens zu starten, gegen neun in Massawa zu sein, dort bis in den späten Nachmittag den Ereignissen zuzuschauen und dann nach Asmara zurückzukehren. Da ich ein paar Kilometer außerhalb des Zentrums wohne, galt zudem vorab die Anfahrt zum zentralen Busbahnhof zu klären und auch hierfür war auf die Frage nach öffentlichen Verkehrsmitteln vor Sonnenaufgang ein vielstimmiges „No problem“ zu hören gewesen.
Tatsächlich fand sich jedoch kurz vor sechs Uhr morgens kein einziges Sammeltaxi auf der Straße und Busse fuhren aus unerfindlichen Gründen nur in die Gegenrichtung, sodass ich mich schließlich mit eisernem Tippeln zu Fuß Richtung Asmara Zentrum aufmachte. Ich war damit quasi der einzige Fußgänger, aber trotzdem bei weitem nicht allein auf der Straße. Viele Dutzend Fahrradfahrer waren zu früher Stunde unterwegs, auf alten Klappermöhren aus Zeiten der Unabhängigkeitskämpfe ebenso wie auf modernen Mountainbikes oder manchmal sogar Rennrädern. Ich kann meinen Neid auf dieses Fortbewegungsmittel