Meine Mutter wollte den Bankier und die Dichterin einladen, um ihnen zu danken, weil sie mich mit nach Le Touquet genommen hatten. Ihr schwebte ein Grillabend im Garten vor, mit einem guten Rosé – ein guter Rosé bringt alle in Schwung –, ich versuchte, es ihr auszureden.
»Mama, das ist keine gute Idee, ihre Mutter ist krank, sie hat Probleme, sie verträgt kein Fleisch. Das vergiftet ihr Blut.«
»Na, dann gibt es eben gegrilltes Gemüse, Gemüse ist immer gut.«
»Bitte hör auf, Mama. Victoria und ich sehen uns nicht mehr so oft.«
»Sieh an. Ich habe mich schon gefragt, wann du mir das erzählst. Du weißt doch, Mütter merken alles. Ich sehe dir an, dass du Kummer hast und morgens mit Augenringen aufstehst. Ich habe dir schon mal gesagt, dass du ruhig weinen darfst. Tränen reinigen, sie ertränken den Schmerz.«
Dann versuchte sie, meinen Schmerz in der Erinnerung an ihre große Liebe zu ertränken.
»Stell dir vor, dein Vater hat mich am Anfang überhaupt nicht gereizt. Er mochte mich sofort, aber ich fand ihn nicht besonders interessant. Sogar sein Werben fand ich ziemlich langweilig: eine Einladung ins Café, zum Bummel entlang der Deûle, wir sahen uns einen alten Truffautfilm an, ich liebte Jules und Jim, oder hörten in seinem Studentenzimmer die Schallplatten der Ronettes. Ich war neunzehn und träumte davon, überrascht zu werden, wie alle Mädchen. Ich träumte davon, überwältigt oder gekidnappt zu werden. Den großen Blonden mit Brille, der Schriftsteller werden wollte, fand ich viel aufregender als deinen Vater. Wir trafen uns im Café, wo er ganze Hefte vollschrieb. Aber ich habe schnell begriffen, dass Schriftsteller nur das lieben, was sie schreiben, und nur die Frauen aus ihren Büchern, auch wenn sie die am Ende immer um die Ecke bringen, damit sie ihre großartige Tragödie kriegen. Ich dachte, ich ende als alte Jungfer.
Dann bekam ich plötzlich Blumen. Ich wusste nicht von wem. Jeden Tag eine andere. Anfangs gefiel mir das nicht, jeden Tag eine andere Blume. Eine Lilie. Eine Rose. Eine Mohnblume. Eine Dahlie. Und am letzten Tag erhielt ich ein Buch über die Sprache der Blumen. Ich schlug die Bedeutung aller Blumen nach, die ich bekommen hatte: Jede einzelne Blume war eine Liebeserklärung. So hat sich dein Vater in mein Herz gedrängt. Und als er mit seinem alten Alfa Romeo, den er über alles liebte, vor meiner Tür stand, habe ich mich pflücken lassen. Ich habe mich neben ihn gesetzt und gewusst, dass ich angekommen bin. Ich war endlich da, wo ich hingehörte, bei ihm. Erundich. Am Tag seines Todes wollte er Blumen kaufen, um unser Fünfjähriges zu feiern.«
Diese Blumen. Mein Erbe.
Es war sehr heiß.
8 à Huit verkaufte aufblasbare, überteuerte Schwimmbecken – das hatte es in Sainghin-en–Mélantois, wo es ungefähr einhundertfünfzig Tage im Jahr regnet, noch nie gegeben. Die Leute beklagten sich über die Hitze, die Leute beklagen sich immer, sie ahnten nicht, was für ein Sommer sie 2003 erwartete.
Ich verbrachte meine Tage im Schwimmbecken des Nachbarn, auf einer Luftmatratze mit einem hässlichen Schildkrötenbild. Chlor- und Salzgehalt waren perfekt. Die Frische des Wassers war perfekt. Das Himmelsblau war perfekt. Das Leben war perfekt.
Plötzlich spürte ich die Frische eines Schattens. Ich dachte, eine Wolke hätte die Sonne verdeckt, und öffnete ein Auge. Da stand Gabriel. Groß, schön und braungebrannt. Er sah mich lächelnd an. Ich wollte mich aufsetzen und fiel dabei jämmerlich ins Wasser. Gabriel lachte, auch sein Lachen war schön.
»Ich sehe, du kümmerst dich gut um den Pool.«
»Er ist picobello, Monsieur.«
»Gabriel.«
»Gabriel. Sind Sie schon zurück? Sie wollten doch erst Anfang September wiederkommen.«
Er streckte mir die Hand hin, als ich zum Rand des Beckens kam. Ich hielt mich fest. Er zog mich mit väterlicher Kraft raus.
»Ich. Ich bin zurück. Allein. Sie ist weg.«
Hatten die baskischen Winde seine Frau weggetragen? War es der vent fou gewesen? Der Sog einer mächtigen Welle? Kurz dachte ich, er hätte sie vielleicht verstoßen. Keine Frau verlässt einen so schönen Mann. Ich fröstelte und schnappte mir mein Handtuch, um mich abzutrocknen. Er zuckte mit den Schultern.
»So was kommt vor.«
Ich weiß, dachte ich. Die Frauen verlassen uns.
Er gab mir das Geld, das er mir schuldete. Leider fehlte durch seine vorzeitige Rückkehr der Lohn für ganze zwei Wochen, um die »Bleue« zu kaufen und den Doppelsattel durch einen Einzelsattel zu ersetzen.
Als er meine Enttäuschung bemerkte, schlug er mir vor, seinen Pool weiter zu pflegen.
»Bis die Schule wieder losgeht, wenn du willst.«
Von nun an verbrachte ich die meiste Zeit zu Hause.
Vormittags las ich im Schatten der Bäume Comics. Meine Mutter machte sich rauchend mit den Regeln der Buchführung vertraut – Nikotin hilft, das ist gut für die Konzentration, sagte sie. Wir waren ein kleines, braves Paar ohne große Illusionen. Gegen Mittag kümmerte ich mich um Gabriels Pool. Dann ging ich zum Mont des Tombes, wo ich früher mit Victoria gewesen war und wo wir unsere Räder am Feldrand liegen gelassen hatten, um zu dem berühmten Grabhügel zu rennen. Wir stellten uns die Toten vor, die seit mehr als zweitausend Jahren dort lagen, den Staub, der von ihnen übrig war, wir erfanden ihre Geschichten und versuchten, mit ihren ausgedachten Leben unser eigenes zu beschreiben.
Dann ging ich nach Hause, noch trauriger als vorher.
C’est le silence/Qui se remarque le plus/Und die Stille/Hört man am lautesten, sang Cabrel in Hors Saison.
In der Nacht, inmitten dieser »Stille, die man am lautesten hört«, dachte ich immer an sie.
Und wie man es von Sterbenden erzählt, ließ ich unser kurzes Leben an mir vorüberziehen: die Versprechen, die Kinderängste, die im Heranwachsen zum Begehren wurden, das Lachen, so leicht wie verliebte Körper, all die Träume, die ich allein für zwei träumte. Ich hatte von dem geträumt, was sie mir vorenthielt. Ich war Bruder, Freund, Verliebter gewesen, verflucht bis ins Mark. Ich war ihr Vertrauter gewesen, niemals eine mögliche Liebe.
Ich versuchte, einen Satz zu finden, den ich in der Sprache der Blumen, der Sprache meines Vaters hätte schreiben können, aber mir fehlten die Worte.
Um ihr diese Worte eines Tages zu schenken, wollte ich Schriftsteller werden.
Am Dienstag, dem 10. August, war ich gerade dabei, einen toten Vogel aus dem Pool zu fischen, der mit ausgebreiteten, seltsam verrenkten Flügeln auf der Wasseroberfläche trieb, als mir Gabriel aus dem Wohnzimmerfenster winkte.
Er war nicht allein. Aber nicht seine Frau war bei ihm. Sie war nicht wiedergekommen. Nein. Es war schon eine andere. So ein schöner Mann bleibt nie lange allein. Diese hatte blonde Locken, deren goldener Glanz mich an Victoria erinnerte. Er stand vor ihr, er redete und redete, von Zeit zu Zeit neigte sich der kleine blonde Kopf mit einer sehr hübschen Bewegung des Überdrusses zur Seite.
Als ich am Mittwoch, dem 11. August, gegen 16 Uhr zum Pool kam, entdeckte ich Victoria, die neben dem Becken auf einem großen weißen Badetuch auf dem Bauch lag. Als sie meine Schritte auf dem Holz vernahm, schreckte sie nicht hoch. Ihr nackter Rücken glänzte von Sonnenöl so golden wie ein Milchbrötchen. Ihre Haut musste heiß sein. Mein Herz raste, die Dämonen meiner Nächte regten sich. Sie drehte langsam ihr Gesicht in meine Richtung, als hätte sie mich erwartet; langsam, als wollte sie ihr Lächeln, die berauschende Wonne des Wartens, ihre Freude nicht allzu schnell preisgeben. Aber als sie mich erkannte, entfuhr ihr ein Schrei. Schrecken gemischt mit Wut.
»Was machst du denn hier?«, fuhr sie mich an und richtete sich mit ärgerlicher Miene auf, während sie ihren kleinen Busen wie eine Zauberkünstlerin in dem weißen Baumwollstoff verschwinden ließ.
»Und du, was machst du hier?«
»Ich