„Mia! Hey, hier bin ich“, rief ich und glücklicherweise hatte sie mich schon gesehen und kam zu mir. Sie blieb zwei Meter vor mir stehen und strahlte mich an. „Hey, was machst du denn hier, ich dachte, du steckst zuhause in selbst verordneter Quarantäne mit deiner Familie fest“, sagte sie und ich erwiderte zerknirscht: „ Ja, tue ich auch, aber ich sollte Einkaufen gehen und nachdem die sich im Supermarkt alle die Köpfe eingeschlagen haben, brauchte ich kurz frische Luft und ein bisschen Ruhe von den zwei Quälgeistern!“ „Ach komm, so schlimm sind deine Brüder doch gar nicht. Ist es echt so krass im Supermarkt? Ich war seit zwei Wochen nicht mehr einkaufen, ich muss mich auf meine Eltern verlassen. Wir haben hier gerade so viel zu tun, dass ich froh bin, wenn ich überhaupt zum Essen komme“, sagte sie und ich sah die Schatten unter ihren Augen, die von den ganzen Nacht- und Frühschichten kamen. „Es ist ein Albtraum, aber wahrscheinlich nichts gegen das, was ihr hier so erlebt. Wir hätten doch direkt zusammenziehen sollen, nach der Schule, dann wäre mein Leben echt um Einiges entspannter“, antwortete ich. Wir wollten eigentlich nach unserem Abitur in eine gemeinsame WG ziehen, aber da ich mich nicht hatte entscheiden können, was ich studieren wollte, mussten wir das auf später verschieben, was ich gerade allerdings ziemlich bereute.
„Die Leute kommen reihenweise panisch in die Notaufnahme und wollen getestet werden und die ganzen Nachbardörfer schicken ihre Patienten zu uns, weil wir noch freie Intensivbetten hatten“, sagte sie und rollte mit den Augen. „Aber das stimmt, dann könntest du immer schön für mich kochen und wir könnten Hamsterkauf-Geschichten aus dem Supermarkt gegen panische Patienten-Geschichten aus dem Krankenhaus tauschen“, fügte sie lachend hinzu. Ich wusste, wie sehr sie es hasste hysterische Patienten zu behandeln. „Mia, kommst du, wir müssen hoch, Dr. Schuhmann hat mich angepiept“, rief eine männliche Stimme, die offensichtlich einem von Mias Kollegen gehörte. Mia schaute mich entschuldigend an und ich sagte: „Alles gut, geh schon. Wir telefonieren später.“ Ich lachte, warf ihr eine Kusshand zu und ging in Richtung zuhause. Meine Laune war wieder deutlich besser und ich freute mich sogar ein bisschen, als meine Mutter mir eine Nachricht schrieb, in der stand, ich solle doch bitte kommen, sie wolle jetzt kochen und brauche die Milch. Ich mochte es mit ihr in der Küche zu sitzen und zu kochen, also lief ich ohne Umwege nach Hause. Immerhin konnte ich ja nicht wissen, dass mich dort ein noch viel größerer Albtraum erwartete, der meine gute Laune gleich wieder zunichtemachen würde.
(Carla Olbrück)
Sechste Geschichte
Nach dieser Geschichte wirken einige ziemlich erleichtert, dass sie diesen Wahnsinn bei sich zuhause nicht mitmachen müssen. „Es ist echt komisch, dass wir hier von alldem kaum etwas mitbekommen“, bemerkt einer. Dieser Bemerkung wird von vielen zugestimmt. Derselbe Mann meldet sich zu Wort, um jetzt eine Geschichte über die Pest zu erzählen.
Wir schreiben das Jahr 1346, das Jahr, in dem die Pest begann. In dieser Geschichte geht es um den Vater und Marktverkäufer Leonardo Bianchi und um seine Mitmenschen. Im Jahr 1346 kommt die Pest in Italien langsam ins Rollen, allerdings gibt es bis auf ein paar tote Ratten und wenige infizierte Personen keine Indizien für eine Pandemie. Deshalb nehmen viele Menschen die Pest nicht ernst und denken es sei erneut eine kleine Infektionswelle, die schnell wieder vergessen ist. Dem wird bekannterweise nicht so sein, denn am Ende kann die Pest 25 Millionen Tote verzeichnen, was ein Drittel der damaligen Bevölkerung ausmachte. Es war ein normaler Samstag in Genua, Leonardo war wie jeden Samstag auf dem Weg zum Markt, um selbst angebautes Gemüse aus seinem Garten zu verkaufen und um einige Sachen für seine Familie zu besorgen. Er baute also seinen Stand auf und sogleich kamen die ersten Kunden zu ihm, darunter auch sein Freund Giorgo. „Guten Tag Giorgo“ grüßte Leonardo. „Guten Tag Leonardo, wie geht es dir?“ „Gut und dir?“ „Mir ebenfalls, mich wundert es allerdings, dass hier noch so viele Leute sind.“ „Wieso das denn“, entgegnete Leonardo. „Hast du noch nichts von dieser neuen Krankheit gehört? Ist wahrscheinlich auch nicht so wichtig, wird ja doch nur wieder eine kleine Krankheitswelle.“ „Nein, ich habe noch nichts über eine neue Krankheit gehört, wie heißt sie denn und wie wird sie übertragen?“ „Sie heißt Pest, soll es schon einmal hier gegeben haben aber man ist sich nicht sicher, wie sie übertragen wird, und man hat angeblich nur ein wenig Fieber und Schüttelfrost“. „Ach so, aber war es das letzte Mal nicht viel schlimmer, sollte man sich keine Sorgen machen?“ „Ja letztes Mal war es dramatisch, allerdings gibt es bisher nur ein paar tote Ratten, wenige Kranke im Süden und die Symptome sind auch nicht schlimm.“ „Gut zu hören, aber sollte man nicht trotzdem eher vorsichtig sein?“ „Nein, bestimmt legt sich alles schnell wieder.“
Giorgo erledigte seine Einkäufe und der nächste Kunde kam. „Guten Tag, ich habe Ihrem Gespräch zugehört und möchte die Aussagen des netten Herren dementieren. Ich habe Verwandte in Neapel und sie haben mir vor Kurzem einen Brief geschrieben, in dem sie mir die Lage beschrieben haben. Sie schrieben mir, dass die Stadttore überall geschlossen worden sind, sich die Krankheit schnell verbreitet und schon mehrere Personen an der Pest gestorben sind. Man sollte umgehend die Stadttore schließen und sich verbarrikadieren. Ich habe bereits versucht, die Leute zu überzeugen und habe im Rathaus versucht durchzusetzen, die Stadttore schließen zu lassen, aber man wollte mich nicht anhören und hat mich ausgelacht. Sie meinten, dass ich verrückt sei, dass die Pest sich nie im Leben so schnell ausbreiten könne und selbst wenn es passieren würde, würde niemand sterben. Ich sage Ihnen, es werden viele Menschen sterben, wenn wir bald nicht etwas unternehmen“, sprach der Mann. Der Mann ging schweigend davon. Der Tag verging, Leonardo verkaufte sein Gemüse und erledigte seine Einkäufe. Er konnte allerdings an nichts Anderes denken als den Mann, der eine Epidemie vorausgesagt hatte. Er ging am Abend nach Hause, erzählte seiner Familie davon und beschloss Vorräte zu kaufen, für den Fall, dass der Mann Recht behalten sollte.
Ein Jahr später ist es 1347 und die Pest ist bisher bis Konstantinopel, Neapel und Marseilles gekommen. Dort hat sie tausende Menschen das Leben gekostet. Trotzdem wird noch nichts unternommen und keine Vorsichtsmaßnahmen werden getroffen. Leonardo macht sich mittlerweile große Sorgen und beschließt schließlich ins Rathaus zu gehen und sich beim Bürgermeister zu beschweren, um eine Vielzahl von Toten zu verhindern. Er begibt sich ins Rathaus und darf letztendlich vor dem Bürgermeister sprechen. „Guten Tag Herr Rosso“, spricht Leonardo. „Ich wollte Ihnen raten, jetzt einige Vorsichtsmaßnahmen zu ergreifen. Die Pest wird sich rasant verbreiten und viele Leben fordern. Wenn wir nicht umgehend etwas unternehmen, werden viele Menschen leiden. Die Pest hat in nicht einmal einem Jahr eine riesige Landfläche erobert, wenn es so weiter geht, müssen wir in einem Jahr auch unter der Pest leiden“, spricht Leonardo. „Herr Bianchi, Sie sagen es doch, wir haben noch Zeit und diese müssen wir nutzen, um weiterhin Geschäfte mit Konstantinopel abzuschließen, sonst würden wir große finanzielle Probleme bekommen und das wollen wir hier nicht riskieren, einen schönen Tag noch.“
Was der Bürgermeister sagte, war auch eigentlich richtig, allerdings war Konstantinopel schon lange von der Pest befallen, tätigte jedoch weiterhin Geschäfte mit vielen Städten. So wurde die Pest noch schneller verbreitet und viele Städte wurden somit überrollt. So kam es auch für Genua. Eine wichtige Handelsstraße führte durch Genua und die Stadt wurde von der Infektionswelle überwältigt. Von Genua aus konnte sich die Pest weiterverbreiten und befiel letztendlich ganz Europa und Vorderasien. Leonardo konnte sich und seine Familie schützen, indem sie soziale Kontakte mieden, Zuhause blieben und Vorräte kauften. Die Stadttore wurden letztendlich geschlossen, was die Pest allerdings nicht daran hindern konnte, ein Drittel der Bevölkerung von Europa auszulöschen. Es gab für Pestkranke damals kein richtiges Heilmittel, nur ein Scheinmedikament, was als Heilmittel verkauft wurde. Deshalb erlagen so viele Leute der Pest.
An einem Sonntag musste Leonardo einkaufen, da der Familie die Vorräte ausgingen. Arbeiten musste zu der Zeit auch noch jeder, also ging er zum Markt. Die Welt hatte sich komplett verändert, auf den Straßen lagen viele tote Menschen und alles war noch viel dreckiger als davor.
Es schien, als würde sich niemand Sorgen um die Pest machen, was Leonardo verwunderte. Er ging zu einem Marktverkäufer und fragte ihn, warum sich denn niemand schützt beziehungsweiße sich große