Es gab in Mumbai sowohl nach Geschlecht getrennte Schulen für Jungen und für Mädchen als auch Schulen für beide Geschlechter zusammen. In ihre Schule gingen beide – Mädchen und Jungen. Suwarna war dort ab der Vorschule bis zum Abschluss der zehnten Klasse. Nachdem die Schüler alle mehr oder weniger in der Nähe wohnten, kannten sie sich fast alle gegenseitig, selbst wenn sie nicht wirklich miteinander befreundet waren. Suwarna war immer sehr gut in der Schule, um nicht zu sagen hervorragend, immer die Beste in allem, was die Schule veranstaltet hatte!
Bereits in der Vorschule stand ‚ausgezeichnet‘ bei Mathe. Vater legte sehr viel Wert darauf, dass sie zu Hause Hoch-Hindi miteinander sprachen, er wollte nichts anderes hören, keinen Dialekt, keine Umgangssprache, nichts. Aus dem Grund war sie in der Schule in der ersten Sprache, nämlich Hindi, ebenfalls sehr gut. Die hervorragende Leistung in der Schule würde sich bis zum Universitätsabschluss durchziehen, und darüber hinaus. Zu dem Zeitpunkt ahnte sie natürlich nichts von ihrer Staatsbürgerschaftsprüfung in Österreich, die Jahre später in Österreich stattfinden würde, die sie ebenso mit null Fehlern bestehen würde.
Als sie neun Jahre alt war, fingen sie und ihr Bruder an, am nicht allzu großen Esstisch zu Hause Tischtennis zu spielen. Der Tisch wurde dafür leergeräumt, in die Mitte des Tisches wurden Bücher leicht aufgemacht und aufgestellt, um als Netz zu dienen, das machte Spaß. Beiden gefiel das sehr, und in der Zeit stritten sie sich nicht, zumindest nicht die ersten paar Minuten. Damals ahnte sie nicht, dass diese Spiele den Grundstein für später gelegt hatten.
In der sechsten Klasse angekommen durfte Suwarna am Tischtennistisch in der Schule spielen. Am Anfang war es etwas ungewohnt, da sie bis dahin nur am viel kleineren Esstisch gespielt hatte, aber danach ging es. Schnell fand sich eine weitere Interessierte; beide fingen an, jeden Tag nach der Schule Tischtennis zu spielen. Der Sporttag an der Schule rückte näher. Nachdem sie beide die einzigen zwei Mädchen waren, die Tischtennis spielten, wurde gleich das Finale gespielt, nicht überraschenderweise gewann Suwarna. Beide Finalistinnen nahmen am interschulischen Wettbewerb teil, bei dem beide nicht gut abschnitten und noch in den Anfangsrunden ausschieden. Aber das machte den Ehrgeiz von Suwarna nur noch stärker, sie wollte noch mehr üben und es dann noch einmal versuchen. Also übten beide jeden Tag noch mehr.
Die nächsten zwei Jahre spielte Suwarna bei verschiedenen Wettbewerben überall in der Stadt Mumbai sowie im Bundesstaat Maharashtra und erreichte den zweiten Platz in der bundesstaatlichen Rangliste. Sie war regelmäßig auf den Sportseiten mehrerer Zeitungen zu sehen. Sie nahm in ihrer Alterskategorie an Bundeswettbewerben teil und vertrat ihren Bundesstaat. In der jüngsten Alterskategorie, unter zwölf, erreichte sie den zehnten Platz in ganz Indien. In dem Folgejahr in der Alterskategorie unter vierzehn kam sie nicht so weit, was ihr aber nichts ausmachte, sie liebte Tischtennis und wollte einfach nur weiterspielen. In den Sommerferien besuchte sie Tischtennis-Camps. Sie hatte das Glück, in den Camps eine sehr gute Tischtennislehrerin zu finden, die genau sah, wo die Spielschwächen von Suwarna lagen und sie richtig anleiten konnte.
Seit ihrer Kindheit hatte Suwarna Badminton gespielt. Als sie anfing, an Tischtenniswettbewerben teilzunehmen, überlegte sie sich, ebenso an Badmintonwettbewerben teilzunehmen. Erstaunlicherweise kam sie auch im Badminton unter die Top 3 in der Stadt Mumbai. Es ging dann weiter auf Bundesstaatebene, da kam sie auf Platz 3. Es hieß, dass die Top-Spielerinnen nach Neu-Delhi fahren würden, um dort auf Bundesebene zu spielen, das einen Monat später wäre, geschafft. Für sie würde das bedeuten, in Neu-Delhi beide Spiele, Tischtennis und Badminton, zu spielen, das würde ein wenig Koordination brauchen, aber das machte nichts, alles machbar!
Einen Monat später kam sie von Mumbai nach einer vierstündigen Busfahrt in der Stadt Pune an. Alle ausgewählten Spieler für die verschiedenen Spiele sollten dort zusammenkommen und anschließend gemeinsam mit dem Zug nach Neu-Delhi fahren, die Delegation von Bundesstaat Maharashtra. Alle, die sich kannten, unterhielten sich, erkundigten sich, ob man genug geübt hatte und so weiter, die üblichen Fragen. Suwarna sollte sich bei den Organisatoren melden, also ging sie zur Anmeldung, für Tischtennis.
Anschließend ging sie zur Anmeldung für Badminton. Aber man konnte ihren Namen auf der Liste nicht finden. Was ist denn da los, dachte sie. Ihr Name war nach den letzten Wettbewerben doch auf der Liste gewesen. Aber plötzlich war sie auf der Liste auf Platz vier zu finden, und nur drei sollten am Wettbewerb in Neu-Delhi teilnehmen. Das kann ja nicht wahr sein, sie war doch auf dem dritten Platz. Sie sagte zu den Organisatoren, sie sollten das Mädchen fragen, das plötzlich auf Platz drei stand, und sie könne bestätigen, dass sie eigentlich gegen Suwarna verloren hatte und auf Platz vier gestanden war. Aber das andere Mädchen blieb still, sagte kein Wort und stand nur so da. Die Unterlagen vom letzten Wettbewerb waren überraschenderweise nicht zu finden. Alle sahen sich nur verwirrt an und sagten, Na ja, sie würde ohnehin für Tischtennis nach Neu-Delhi fahren, also sollte sie in Neu-Delhi nur mit Tischtennis weitermachen. So ging ihr Traum, Weltspielerin in Badminton zu werden, zu Ende! Es tat schon weh, aber sie tröstete sich selbst, na gut, dachte sie, ich würde mich in Zukunft nur noch auf Tischtennis konzentrieren.
Das war ihre erste Erfahrung mit dem Lauf der Dinge im Leben. Mit ihren knapp zwölf Jahren fand sie dieses Erlebnis schwer zu verdauen, unfair, ungerecht, enttäuschend, und die erste Menschenkenntnis, die sie aber zu dem Zeitpunkt leider nicht verinnerlichte, das wäre gut für ihre Zukunft gewesen!
Nach ihrer Rückkehr aus Neu-Delhi zogen Suwarna und ihre Familie in das neue Haus, das nach eineinhalb Jahren Bauzeit fertig gebaut worden war. Es war ein tolles Gefühl, ein eigenes Haus! Sie kannte kaum Schüler in der Schule, die ein eigenes Haus hatten. Ihr Haus war etwas weiter weg von der Schule. Sie und ihr Bruder mussten jeden Tag dreißig bis vierzig Minuten bis zur Schule zurücklegen. Aber was waren dreißig bis vierzig Minuten pro Strecke, wenn man dafür in einem schönen großen, vor allem im eigenen Haus wohnte! Ihre Eltern hatten ihr Schlafzimmer im Erdgeschoss, damit ihre Mutter nicht so oft nach oben und unten musste, sie und ihr Bruder bekamen jeweils ein Zimmer im ersten Stock, wo sich ebenso ein Badezimmer sowie eine Terrasse befanden, hervorragend!
Alle Häuser dort lagen ziemlich nahe beieinander, man konnte in die anderen Häuser hineinsehen, aber was sollte es! Jeder war so beschäftigt – Arbeit, Schule, kochen, Hausaufgaben machen – dass die Leute kaum Zeit dafür hatten, in die Häuser anderer hineinzusehen. Na ja, das galt für die meisten Leute, denn es gab dort natürlich ebenfalls eine neugierige Nachbarin, die meistens hinter ihrem Vorhang stand, aus dem Fenster hinaussah und die Leute beobachtete. Alles halb so schlimm.
Suwarna lag auf ihrem Bett in ihrem Zimmer und schaute an die Decke, dann rollte sie sich hinüber zum Fenster und schaute hinunter. Da sah sie die zwei Jungen – ihre Nachbarn, einer war bestimmt kleiner als sie, und der andere sah viel größer aus. Aha, zwei Brüder, dachte sie, offensichtlich war einer jünger als sie und der andere älter.
Zwei Tage später kam die Nachbar-Tante zu ihnen nach Hause. Suwarna und ihre Mutter waren zu Hause. Suwarna machte die Tür auf und bat sie herein. Dann rief sie ihre Mutter. Alle unterhielten sich nett. Da sagte die Nachbarin zu ihrer Mutter,
„Sie haben doch zwei Kinder, wie ich gehört habe, wo ist denn Ihre Tochter?“
Suwarnas Mutter war verwirrt und sagte, „Das ist meine Tochter, mein Sohn ist mit Freunden spielen gegangen.“
Daraufhin war die Nachbarin verwirrt und verlegen, sie hatte gedacht, Suwarna wäre ein Junge, na so was!
Als die Nachbar-Tante nach Hause ging, ging Suwarna mit ihr mit, um ihre Kinder kennenzulernen. Sie verstand sich mit dem Jüngeren sofort gut, bei dem Älteren war sie leicht verlegen, vielleicht weil er aus ihrer Sicht so gut aussah, wie ein Bollywood-Schauspieler, dachte sie innerlich. Der Jüngere, Trishul, war zwei Jahre jünger als sie, sie unterhielten sich prächtig, er war so lustig. Den älteren, Sujit, schaute sie immer nur aus dem seitlichen Augenwinkel an. Ab dem Zeitpunkt an verabredeten sich Trishul und Suwarna fast täglich zum Spielen. Sie hatten einander immer sehr viel zu erzählen. Wenn Suwarna bei Trishul zu Hause war und sie Karten oder sonst was spielten und einfach ohne Grund laut lachten, kam Sujit öfters mal vorbei, um