Und dann kam es. Tom legte dem Hengst die Hand auf den Widerrist, streichelte ihn dort, um sich dann mit einem Sprung auf den Rücken des Tieres zu setzen.
Tom rechnete mit allem, aber dennoch redete er immer wieder auf das unter nervösem Druck stehende Tier ein. Und es blieb stehen, hielt die Ohren nach hinten gedreht. Die Nüstern, vorhin noch weit gebläht, nahmen wieder normale Größe an. Ein leichtes Zucken lief übers Fell vom Hals her. Doch als Tom seine Hand sanft auf das wie Samt glänzende Fell am Hals legte und weich darüber strich, hörte auch dieses Zucken auf. Der Hengst wurde ruhiger, immer ruhiger, und Tom sprach. Er redete sinnloses Zeug, und das war auch gar nicht wichtig. Nur am Tonfall erkannte der Hengst, dass dieser Mensch auf seinem Rücken der Freund war. Das Magische lag im Ton, in Toms Stimme. Der Hengst wurde ganz ruhig und dann trieb ihn Tom ganz vorsichtig und behutsam an. Der Hengst blieb stehen.
Tom fragte sich, ob jetzt alle Beruhigung wieder vorbei sein würde, ob nicht die Panik wieder Herr über den Hengst werden könnte.
Doch dann, während noch alle im Kreis die Luft anhielten und Tom schon mit einem Zornausbruch des Tieres rechnete, machte Thunder einen Schritt, dann noch einen, und unter weiterem Zureden ging er im Kreis wie ein uralter Gaul, der nie ein Wässerchen getrübt hatte.
Jetzt setzte Tom alles auf eine Karte. Er trieb ihn schneller an, schnalzte mit der Zunge, und gleichzeitig gab er den Indianern das Zeichen, ihm eine Gasse zu öffnen im Kreis der Zuschauer. Sie öffneten diesen Kreis, und da preschte Thunder los. Aber auch das war kein Ausbruch, keine Flucht, keine Form der Panik. Der Hengst lief gutwillig dahin, galoppierte so gleichmäßig, dass sich Tom fragte, ob es je ein Pferd gegeben hatte, das einen so herrlichen Sprung besessen hatte wie Thunder.
Der Hengst flog wie eine Feder. Und am Tempo, das dieser herrliche Blauschimmel nahezu mühelos noch steigerte, erkannte Tom, dass er einen Schatz besitzen würde, sollte der Häuptling ihm dieses Pferd wirklich schenken.
Als Tom nach einer halben Stunde zur Umkehr ansetzte, sah er den Pulk der Indianer in der Ferne, die näher kamen. Und als sie bei ihm waren, schrie Little Crow, der weit vor den anderen ritt: „Wir denken, du von Pferd gefallen. Wir kommen suchen."
Aber Tom ritt noch auf Thunder, als sie wieder ins Lager kamen. Und er ritt, als hätte er nie ein anderes Pferd besessen und als wäre Thunder niemals ein Schläger und Beißer und ein tollwütiger „Sunfisher“ gewesen. Und „Sunfisher“ oder Sonnenfischer nennt man die Pferde, die sich hinwerfen und die Beine in die Höhe stoßen, um ihren Reiter nicht nur loszuwerden, sondern um ihn bei der Gelegenheit auch noch umzubringen.
Der Häuptling verzog keine Miene, sah Tom an, sah den Hengst an, dann sagte er etwas zu Little Crow, und der übersetzte: „Der Hengst gehört dir. Dir und keinem anderen. Ich freuen für dich, Guipaego ...“
Der Blauschimmel wieherte, als hätte er das verstanden. Und es klang freudig, dieses Wiehern …
*
Dutch-Billy hatte Zeit, wahnsinnig viel Zeit. Er kam aus dem Barber Shop, wo er sich rasieren ließ, und nun marschierte er geradewegs auf den Central Saloon zu, sein Stammlokal. Es war Vormittag, und es war ein frischer, wenn auch wolkenloser Märztag.
Der große Mann trug keinen Stern mehr auf der Weste, wenn man auch noch die Nadellöcher im Leder sehen konnte. Nur sein Revolver erinnerte noch an die Zeit vor einem halben Jahr, als Klein noch Sheriff gewesen war.
Drüben im Office saß ein jüngerer Mann, einer, der erst seit knapp sieben Monaten in der Stadt lebte. Webster hatte ihn knapp vier Wochen als Wagenbegleiter beschäftigt gehabt, als er ihn auch schon fürs Amt des Sheriffs vorschlug. Denn für Dutch-Billy Klein war wiederum eine Amtsperiode abgelaufen. Vier Jahre, in denen er nicht jünger geworden war. Vier Jahre, in denen er mehrfach Webster und seine Geschäftsmethoden angekreidet hatte. Webster revanchierte sich. Er hatte die Macht. Zu viele Leute schuldeten ihm Geld. Ihre Abhängigkeit machte er sich zunutze. So lancierte er einen Fremden auf den Sheriffposten.
Dutch-Billy wäre darüber nicht böse gewesen, hätte der Mann seine Pflicht getan. Aber dieser Kenworthy war ein Mann Websters, und er half mehr, Websters Schulden einzutreiben, Leute von ihrem Besitz zu verjagen und zweifelhafte Grundschulden zu sichern, als für Ruhe und Ordnung zu sorgen.
Wolters war seit einem Jahr tot, ganz undramatisch an Hitzschlag gestorben. Irgendwie musste er es mit dem Herzen gehabt haben. Der neue Sheriff hatte zwei Deputies, auch Fremde mit Gesichtern, die nicht gerade vertrauenerweckend wirkten.
Dutch-Billy lebte von drei Dingen: er spielte sonntags das Harmonium in der Methodistenkirche, unterrichtete die Kinder der Stadt im Schreiben, Rechnen und Lesen, und da dies auch nur in der Sonntagsschule der Fall war, konnte er in der Woche die Vormittage im Müßiggang verbringen. Nachmittags aber schrieb er Briefe oder Rechnungen für alle möglichen Leute, die zwar gutgehende Geschäfte besaßen, selbst aber nicht schreiben oder lesen konnten. Einigen machte er auch so etwas wie Buchführung, und alles zusammen brachte so viel ein, dass er und seine Frau Eliza leben konnten. Für ein paar Whisky blieb auch etwas übrig, aber meist „vergaß“ der Wirt vom „Central“ sie ihm anzurechnen.
Als er heute wie immer um diese Zeit die Schwingtür aufstieß und den eigenartigen Mischduft von Schnaps, Sägespänen, ranzigem Bratfett und Lampenöl roch, lächelte er erwartungsvoll, denn er freute sich auf seinen Drink.
Das Lächeln gefror ihm, als er Webster an der Theke sah. Der Storebesitzer und Geldverleiher war noch um einiges fetter geworden. Sein hämisches Grinsen im breiten Mondgesicht wirkte auf Dutch-Billy wie ein Brechmittel. Dennoch ging er weiter auf seinen gewohnten Platz am Tresenende zu, stellte sich hin und nickte dem Wirt zu, der das mit einer ebensolchen Kopfbewegung quittierte.
Webster, der sich übergangen fühlte, schnarrte gehässig: „Jetzt, wo Sie keine Steuern mehr eintreiben können, haben Sie wohl einen Gruß nicht nötig, Klein?“
Dutch-Billy tat, als hätte Webster keinen Ton von sich gegeben. Er sah den Wirt an und fragte ihn: „Hansold schon hiergewesen?“
„Noch nicht, aber ich denke, er wird bald kommen. Er und sein Junge bauen noch am Stall...“ Der Keeper kam zu Dutch-Billy, warf einen grimmigen Seitenblick auf Webster und sagte: „Er hat sich was Tolles einfallen lassen. Frag ihn mal, was es ist!“
Bevor Dutch-Billy dazu eine Frage stellen konnte, schnauzte Webster: „Ich habe Ihnen verboten, darüber zu sprechen! Wenn Sie noch einen Ton zu Klein sagen, Limp, fordere ich meinen Kredit zurück.“
Der Wirt drehte sich um und sah Webster voll an. „Tun Sie es! Fordern Sie Ihren Kredit zurück, Sie Aasgeier! Aber dass Sie Libbie Johnson heiraten, daran glauben Sie selber nicht! Sie könnten gut ihr Vater sein, Sie Wüstling!“
„Was will er?“, rief Dutch-Billy.
Der Wirt fuhr herum und sah Dutch Billy voller Empörung an.
„Dieser Profitgeier will Libbie Johnson heiraten. Und damit er das auch einfach so durchsetzen kann, hat er sie unter Druck gesetzt. Du weißt doch, Billy, dass sie die beiden Kinder von McLean aufgenommen hat, weil McLeans Frau an Brustkrebs gestorben ist. Und McLean möchte Libbie heiraten. Inzwischen hat sie Tom Cadburn sicher vergessen. Sie hätte ja die prächtigsten Burschen haben können, wenn sie nicht diesem Tom Cadburn nachgetrauert haben würde.“
„Und Webster will...“ Dutch-Billy sah den dicken Storebesitzer an. „Das ist doch nicht möglich! Dazu gehören doch zwei!“
Webster kochte vor Zorn. Sein Kopf wurde dunkel. „Dafür kündige ich Ihnen den Kredit, Limp! Und wenn Sie morgen Mittag nicht zahlen, übernehme ich diesen Saloon!“
Dutch-Billy tippte Webster auf die Schulter, als er gehen wollte. „Moment, Sir! Wie war das denn eigentlich mit dem Colonel vor viereinhalb Jahren? Wie ist das denn wirklich gewesen?“
Websters Zorn wuchs. Es war dem Mann