„Was quatschen Sie da? Mein Gott, nur der Tod des Colonels hat Sie davor bewahrt, schon damals abgewählt zu werden. Dann waren Sie doch wohl der einzige Nutznießer. Haben Sie vielleicht den Jungen angestiftet, den Colonel zu erschießen? Deshalb haben Sie ihn wohl auch nirgendwo finden können, was? Deshalb sind Sie ihm wohl auch allein nach, während Wolters den alten Johnson ins Jail schaffen musste. Und ausgerechnet Sie wollen mir was anhängen? Sie gottverdammter Heuchler!“
Dutch-Billys Rechte kam wie in alten Zeiten, und sie landete mit der Wucht einer Dampframme in Websters hämisch blickendem Mondgesicht.
Webster schrie gurgelnd, während ihn dieser Stoß gut sechs Schritte weit neben der Theke her durch den Saloon trieb. E r nahm noch einige Hocker mit, die polternd umfielen, dann aber verlor er selbst das Gleichgewicht und landete wie ein vom Aufzug gefallener Sack Mehl in den Sägespänen. Noch einmal gurgelte er, dann sank er mit verklärtem Lächeln auch mit dem Kopf zu Boden und streckte sich aus, als verließe ihn jegliches Leben.
Dutch-Billy wischte sich den Handrücken an der Hose ab, als hätte er sich beschmutzt. „Das war nötig, und wie“, meinte er.
Der Keeper grinste. „Mann, es hat in deiner Zeit als Sheriff eine Menge gegeben, womit ich nicht einverstanden war, Billy, aber das, Junge, das war etwas, womit du alle deine Fehler in deinem Leben ausgewischt hast. Mann o Mann, mir ist, als hätte ich frisch gebadet. Wollen wir dieses Mastschwein auf den Misthaufen hinterm Haus schmeißen, oder glaubst du, es wäre noch schöner, ihn mitten auf der Straße zu plazieren?“
„Greifst du gerne eine fette Made an?“, fragte Dutch-Billy.
Der Keeper grinste. „Na ja, wie du meinst. Auf alle Fälle wird er alles tun, um es uns heimzuzahlen.“
„Dazu gehören aber zwei, Limp, und die Sache mit Libbie Johnson regt nicht nur dich und mich auf. Darüber werden sogar Leute wild, die dick in Websters Kreide stehen ...“
*
Webster schob die Lampe auf die Tischmitte und blickte auf die drei Männer, die ihm gegenübersaßen. Er selbst lehnte sich zurück, legte wieder das Tuch ins Wasser, wrang es aus und packte es sich erneut auf seine verquollene Nase.
„Ich habe euch nicht zu Sheriffs gemacht, damit ihr außer den Lohn zu kassieren nichts mehr tut. Ihr sollt euer Geld auch verdienen“, sagte Webster schnaufend. „Das gilt für dich mehr als für die anderen, Kenworthy!“
Kenworthy war jung, so um die fünfundzwanzig, aber eine Reihe von Jahren lag in absolutem Dunkel. Davon wusste in dieser Stadt außer Kenworthy selbst nur Webster etwas. Mit den beiden anderen, Cook und Woolsley, war es nicht viel anders. Die beiden waren auch etwa in Kenworthys Alter.
„Und was denken Sie, soll ich tun, Boss?“, fragte Kenworthy.
„Nenn mich nicht immerzu Boss! Irgendwann sagst du das auch vor den anderen. Was du tun sollst? Du sollst mir mit Cook und Woolsley zusammen die Leute aus dem Weg schaffen, die hier stänkern. Dieser verdammte Schweinehund Klein hat den ganzen Tag herumerzählt, dass ich die kleine Johnson heiraten will. Und ich habe erzählen lassen, dass es eine verdammte Lüge ist. Ich will nicht, dass dieser Stinker morgen früh wieder anfängt, seine Quatscherei loszulassen. Ich will ihn nicht mehr sehen. Nie mehr. Und kein anderer soll ihn sehen. Verstanden?“
Kenworthy nickte. „Klar. Also ein Stück Blei!“
„Du wirst ihn verhaften wollen. Er wird Schwierigkeiten machen. Dann schießt du. Einfacher geht es nicht. Und ihr beide seid dabei. Als Zeugen. Ich gehe in den Saloon, in den Empire Saloon. Dort lasst ihr euch nicht sehen.“
„Und der Grund der Verhaftung?“
„Körperverletzung, versuchter Totschlag, Morddrohung! An mir. Und jetzt ab! Halt! Noch etwas: Dass keiner danach zu mir kommt. Ich erfahre auch so, was passiert!“
Und er erfuhr es wirklich zwei Stunden später, während er im Empire Saloon mit ein paar Leuten Karten spielte, was ihm gar nicht so leicht fiel. Er erfuhr, dass Dutch-Billy Klein Widerstand gegen die Sheriffs dieser Stadt geleistet hatte, als er wegen einer Anzeige festgenommen werden sollte. Im Verlaufe dieser Verhaftung war es zu einer Schießerei gekommen. Dabei hatte Deputy Sheriff Cook den einstigen Sheriff Klein tödlich verwundet. Klein starb wenige Minuten später in den Armen seiner Frau Eliza.
Am nächsten Tag stürzte der Jäger Tracy Johnson aus vierhundert Fuß Höhe auf den Grund einer Schlucht. Bald darauf wurde er von dem zufällig daherkommenden Deputy Sheriff Woolsley gefunden und zu seiner Hütte gebracht, wo Libbie Johnson vor Schreck ohnmächtig wurde. Immerhin begrub Woolsley, mitfühlend und hilfsbereit, den Toten und sprach der Tochter sein Beileid aus. Die beiden Kinder des Farmers McLean wollte er zu einer anderen Familie bringen, aber da wurde Libbie fanatisch und schlang ihre Arme um die Kleinen.
„Die bleiben hier!“, rief sie entschlossen. Woolsley ritt ab, weil er mehr nicht noch riskieren wollte. Immerhin kam er bald wieder und beobachtete Libbie, die ihm sehr gefiel und bei deren Anblick er beschloss, sie einmal in aller Ruhe näher kennenzulernen.
*
Aber schon drei Tage später passierte wieder etwas. Und abermals war rein zufällig ein Sheriff gar nicht weit. Doch zu weit, wie es schien, um rechtzeitig eingreifen zu können. Denn da ging ein Pferd durch, und der Mann, der am Steigbügel mitgeschleift wurde, war der Besitzer des Central Saloon. Das erregte Pferd schleifte den Mann zu Tode. Der erste, der das Pferd aufhalten und den Tod des Geschleiften feststellen konnte, war Sheriff Kenworthy. Niemand bemerkte, wie er dem erregten Braunen einen Dorn aus der Kruppe zog, der bestimmt nicht von allein dahin geraten war.
Ein neuer Zwischenfall verlief etwas anders, als offenbar beabsichtigt. Als geheimnisvolle Banditen den einsam hausenden Farmer McLean überfallen wollten, um ihn zu berauben, ging etwas schief. Abgesehen davon, dass ein Bandit total übergeschnappt sein musste, der bei McLean nur einen einzigen roten Cent vermutete, war die Sache so plump eingefädelt, dass McLean die „Banditen“ bemerkte, als die noch gar nicht richtig auf Schussweite heran waren. Es war natürlich nachts, aber der Farmer musste früh aufstehen, da es die Zeit zum Pflügen der Felder war. Vorher aber waren die drei Kühe zu melken, und McLean hatte keine Hilfe mehr seit dem Tode seiner Frau. Die Banditen aber wähnten gerade diese frühe Stunde für günstig.
McLean empfing sie mit einer Schrotflinte, und dabei wurde Cook verwundet. McLean bekam einen leichten Streifschuss am Bein ab, so dass er nicht herausfinden konnte, wer da überhastet floh.
Immerhin hatten die Banditen auch McLeans Zugochsen erschossen, und das machte ihm mehr aus als der Streifschuss. Und weil McLean ein beharrlicher Mensch war, ein Mann, der ein Ziel nie aus dem Auge liess, reimte er sich auch drei und drei zusammen. Für ihn war die Sache mit Johnson auf einmal kein Unfall mehr. Er begann die Motive zu begreifen. Webster steckt dahinter, sagte er sich.
McLean konnte sein weggelaufenes Pferd, wieder einfangen und ritt nach Fort Hawley. Denn was in Musselshell City gespielt wurde, meinte er erraten zu haben. In Fort Hawley aber gab es einen Militärrichter. Vielleicht konnte der die Armee zum Eingreifen veranlassen.
Aber er kam nicht weit. Keine zwei Meilen von seiner kleinen Farm entfernt hörte er etwas zischen, fuhr im Sattel herum, während sich sein Pferd aufbäumte. Etwas schlang sich blitzschnell um McLeans Oberkörper und riss ihn vollends aus dem Sattel, während sein Pferd davonjagte. Beim Sturz verlor McLean infolge harten Aufschlags das Bewusstsein. Sein Pferd aber trabte zur Farm zurück.
McLean spürte nicht, wie er gefesselt und auf ein Pferd gehoben wurde. Er merkte zunächst auch nichts von seinem Abtransport. Als er dann aber in einer dreckigen, feuchten Erdhöhle aufwachte, war er an einen Pfahl gebunden. Von seinen Entführern sah er keinen.
Jetzt wähnte McLean alles verloren und fragte sich, ob ihm Webster, den er für den Kopf seiner Entführer hielt, überhaupt eine Chance lassen würde.
Aber nichts war verloren. Es gab eine Chance, wenn sie auch winzig war. Und er verdankte sie Eliza Klein, Hennie Cadburn und Old Cliff, den vor allen anderen.