„Schnips“ – der Sprung an die Stange und jetzt? Was jetzt kam, stellte meine kühnsten Vorstellungen und Wünsche in den Schatten der Unvorstellbarkeit. Wie von einem Gummiseil unter meinen Füßen in die Höhe getrieben schnellte mein Körper an der Reckstange nach oben und schoss das Kinn über das runde Eisen. Warum auch immer ich das (also nachfolgend beschriebenen Blödsinn) getan habe, fragte ich den neben mir stehenden, vor Verwunderung erstarrten Sportlehrer nach 20 Wiederholungen, ob das wohl reichen würde, obwohl ich nicht die Spur einer Ermüdungserscheinung wahrnahm und mich noch gut und gerne für die nächsten 20 Klimmzüge hätte begeistern lassen können. Warum ich nicht weiter gemacht habe? Ich weiß nicht. Ich habe mich nach 20 Klimmzügen so locker und kraftvoll gefühlt, als hätte ich eben gerademal erst einen gemacht oder nie zuvor damit Schwierigkeiten gehabt, auch nur einen einzigen Klimmzug auf die Reihe zu bekommen. Ja, und dieser Tag bescherte mir auch eine Veränderung in der Rangordnung. Obwohl mir eigentlich nur wichtig war, nicht Opfer von Spot und Anfeindung zu sein. Hochmotiviert und getrieben von diesem grandiosen Erfolg versuchte ich in dieser Zeit noch mehr zu trainieren. 120 kg im Bankdrücken war einer dieser Trainingserfolge. Trotz aller kurzzeitigen, positiven Effekte – es war nicht das Gescheiteste, was ich meinem Körper mit dieser Art der Kräftigung angetan habe. Ich schwöre: Heute würde ich das anders machen!
Körperlich so gut vorbereitet traf ich dann damals etwas später auf den bereits beschriebenen Thomas als Kampfsportler. Schnell stellte sich heraus, dass die von mir trainierten Muskeln zwar eine gute Grundlage darstellten, für den Kampfsport aber nicht unbedingt ausreichend geeignet waren. Wieder mussten Muskeln trainiert werden. Andere dieses Mal und auch anders. Wieder ein kleines Geheimnis an dieser Stelle vorweg: Vor allem die Muskulatur rund um die Halswirbelsäule wurde gut trainiert und brachte einen unschätzbaren Fortschritt im Genesungsprozess. Alles in allem führte dazu, dass es mir zu diesem Zeitpunkt eben gesundheitlich so gut ging, wie nie zuvor und leider eben auch, wie lange Zeit danach…
Nur wollte Anke von mir nicht, dass ich wieder anfing, Liegestütze und Klimmzüge zu machen. „Der Muskel muss so trainiert werden, dass er nicht verkürzt! Davon kommen auch die Schmerzen!“ OK. Also gut zureden: Lieber Muskel, sei doch bitte beim nächsten Mal so nett und verkürze dich nicht, wenn ich mich deiner im Rahmen eines Trainings erinnere! Häh? Wie soll das gehen, bitteschön?
Muskeln können im Prinzip auf zwei grundsätzliche Arten trainiert werden. Ein Arzt aus der Gegend um Freiburg – Walter Packi – hat sich wohl mehrere Nächte um die Ohren geschlagen, um hinter das Geheimnis „Schmerz“ zu kommen. Ein verkürzter Muskel kann sich nach seiner Sichtweise nicht mehr gut lang machen. Hört sich logisch an. Wenn er sich aber nicht mehr lang machen kann, dann kannst du dich nicht mehr normal bewegen. Der Antagonist – also der Gegenspieler - dieses verkürzten Muskels wird versuchen, den verkürzten Muskel bei Bewegung vor der Zerstörung zu schützen. Jedes noch so kleine Stück Bewegung in Richtung Länge könnte nämlich für den kaputten, verkürzt trainierten oder verkürzt verkümmerten, unterernährten Muskel dessen Todesurteil sein. Um jedwede, weitere Bewegung sofort zu unterbrechen, lässt der gesunde Muskel – eben der Antagonist – ein Schmerzsignal zum Kopf senden, welches dir jeden Spaß auf weitere Bewegung sofort ausredet. Der Antagonist blockiert. Der kranke Muskel wird vorerst geschützt.
Es muss also darum gehen, dass die vielen kleinen Muskelfasern, die in ihrer Gesamtheit den Muskel ausmachen, nicht parallel wachsen, sondern sich schön der Reihe nach hintereinander neu bilden. Und: Verkürzungen, die sich gebildet haben, müssen wieder verschwinden. Der kranke und der eigentlich gesunde Muskel müssen wieder entspannen können, weil der kranke nicht mehr aufgrund der Verkürzung gefährdet ist.
Zugegeben, das war jetzt schon ein bisschen kompliziert. Genau für diesen Job passend sind Ankes kleine Finger. Mal ehrlich: wie war es bei deinem letzten Besuch beim Physiotherapeuten? „Wo tut´s weh? Am Rücken? Na dann legen Sie sich mal auf den Bauch!“ Stell dir vor, du treibst einen Esel mit Sack und Pack vor dir her, bis, ja bis dieses sture Vieh nicht mehr weiter will. Und fängst nun an, wie wild auf den Sack, den das Tier für dich trägt, zu schlagen. Den schmerzenden Muskel zu traktieren ist nach Walter Packi so, als würdest du nicht das Tier selbst, sondern eben nur diesen Sack schlagen. Wenig hilfreich. Zumindest darf ich dir aus Erfahrung sagen: nicht lange hilfreich. Wenn überhaupt – dann nur für den Moment. So lange nämlich, wie zum Beispiel die vertikale Muskulatur unseres Körpers mal eben so ein bisschen durch die Muskelmassage besser durchblutet wurde. Damit kann sie sich auch wieder ein bisschen entspannen.
Bei der Massage und durch das Entspannen gelangt wieder ein bisschen mehr Nahrung aus dem Blut zur Zelle, welches nun für einige Momente wieder zur Muskelzelle des – entspannten – Muskels fließen kann und damit zu einer weiteren Entspannung sorgen kann. Vor allem zu den Mitochondrien. Den Energiekraftwerken der Zelle. Die stellen das sogenannte ATP her. Pure Energie für die Zelle. Pure Energie auch für die Muskelzelle, die es benötigt, um geladene Kalzium-Ionen aus den teleskopähnlich aufgebauten Räumen der Muskelfaser (bezeichnet als Myosin und Actin) zu verdrängen, wenn sie sich entspannen möchte. So paradox es sich auch anhören möchte: Fehlt es an Energie in der Muskelzelle, bleibt sie permanent angespannt und schmerzt.
Da wir aber gelernt haben, unsere vertikale Muskulatur, die wir eigentlich natürlich betrachtet nur zur Stabilisierung im Stand und nicht zur Bewegung nutzen sollten, im Alltag zweckentfremdet zu missbrauchen, wird dieser angenehme Effekt der Rückenmassage nur von kurzer Dauer sein. Die Lösung für dieses Problem präsentiere ich dir später im Text. Stichwort: Dr. Smisek und Spiralmuskulatur sowie Dr. Bodo Kuklinski und sein Buch „Mitochondrien“ …
Wie aber kann ich dann vorerst wenigstens Abhilfe schaffen? Wie wachsen denn nun Muskelfasern hintereinander? Ganz einfach: Der Muskel wird in der Länge gereizt. Dabei reicht wohl schon ein kurzes, aber erkennbares Signal an den Muskel. Es muss gar kein mehrmaliges Trainieren bis zum wiederholten Erschöpfungszustand an einem Tag sein. Nein, es reicht, den Muskel einmalig bis zur Erschöpfung zu treiben, um ihm dann einen Tag Zeit zum Wachsen zu geben. Dazu ist es wichtig, dass der Muskel im komplett ausgestreckten Zustand in Gegenrichtung belastet wird. So, dass er in „Endstellung“ den Befehl bekommt, sich jetzt zusammenziehen zu müssen. Entfällt die Belastung – also das Anspannen – ist es „nur“ eine passive Dehnung. Brutaler kannst du zu deinen Muskeln wohl nicht sein, wenn du diesen Blödsinn machst.
Passives Dehnen wäre Gift für die Muskulatur und die beste Voraussetzung für Verletzungen und somit für noch mehr Schmerzen. Mal abgesehen davon, dass der liebe Muskel dank seiner Rezeptoren, die dieses Trauerspiel beobachten und in Zukunft mit Begrenzung regieren werden, bei einer solchen Tortur die Lust verliert, sich bei nächsten Übungen überhaupt mit zielführend bewegend einzubringen. Bist du etwa Sportlehrer? So mancher dieser Gattung wird wohl jetzt an dieser Stelle vom schlechten Gewissen erinnert, was er seinen Schülern da über Jahre angetan hat. Wieder ein Märchen: das Märchen vom Dehnen. Ja, vor dem Sport „warm machen“. Hm. Lieber Tiger, bitte spring jetzt mal noch nicht auf mich. Ich bin gerade noch nicht warm. Ich muss erst noch ein bisschen Stretchen, dann hau ich ab und du kannst mich nicht fressen! Dreimal mit meinem Hintern gewackelt, Arme hin und her geschwenkt. So, jetzt kann´s losgehen: Auf die Plätze…
Wir hätten wohl evolutionstechnisch keine Chance gehabt, wenn wir uns erst hätten dehnen müssen! Dass wir uns nicht falsch verstehen: in dem Zustand, in dem du jetzt beim Lesen dieser Zeilen (wahrscheinlich noch) bist, ist es natürlich auch Quark, sofort – also „aus der Kalten“ heraus - volle Kanne loszurennen. Aber selbst zum jetzigen Zeitpunkt heißt „warm machen“ – wenn du noch nicht 37° C warm bist - eben nicht „dehnen“, sondern zum Beispiel so viele Muskeln wie möglich vorab leicht bewegen beziehungsweise nach obigem Muster zu aktivieren. Zumindest für den Zeitraum, bis du wieder völlig OK, also beweglich, gestärkt und nicht mehr mangelernährt bist. Später – also dann, wenn du meinen Vorschlägen gefolgt bist - gehst Du ohne Vorabzeremonie in die Bewegungsphase, ohne dich dabei zu verletzen.
Vielleicht noch eine kleine Randbemerkung an dieser Stelle, die ich besser über die ganze Seitenbreite schreibe: Erwarte mit dieser Methode keinen Muskelaufbau,