Diese Kategorie der Geschichte ist also von Anfang an a-historisch. Sie strebt von Anfang an eine eindeutige Bestimmung von einzelnen geschichtlichen Erscheinungen an, und zwar so, dass in ihnen immer ein und dieselbe wirkende Macht sichtbar wird, nämlich die göttliche, und zwar in der Verwirklichung des Wesens des einzigen freien Tätigen in der Weltgeschichte, nämlich des Menschen. Auch das Eingreifen der göttlichen Macht in die unterschiedlichsten Ereignisse der Welt findet im Zusammenhang mit dem Menschen und mit seiner Lebensweise statt.
Das heißt, nicht nur die Welt ist dieselbe und gleichzeitig nicht dieselbe („Wirklichkeit“ als systematische, erkenntnistheoretisch bestimmte Welt versus „Schöpfung“ als von Gott geschaffene Welt), sondern auch das Dasein des Menschen drückt sich demensprechend jeweils in einer anderen Seinsdimension aus.
Das kommt in der Instanz der Maßstäbe und der Normen zum Ausdruck, die den Bereich der zwischenmenschlichen Beziehungen in ihren unterschiedlichen Prägungen bestimmen. Während im Rahmen der systematischen erkenntnistheoretisch bestimmten Wirklichkeit das Denken (im systematischen Sinne) die Instanz ist, die solche Maßstäbe und Normen bestimmt, ist im Rahmen der Schöpfung ausschließlich Gott derjenige, der die Maßstäbe und die Normen bestimmt.
Das Bewusstsein des Menschen wie auch seine Absichten und Motivationen sind auf zwei voneinander ganz unterschiedliche Weisen bestimmt. Auf die eine Weise ist es der Mensch, der nach dem Maß seiner Wirklichkeits- und Selbsterkenntnis seinen Willen zur Handlung bestimmt, auf die andere Weise ist die von Gott gebotene Bestimmung des Willens zur Liebe zu Gott und zum Menschen die Norm und der Maßstab des legitimen menschlichen Handelns. Gott ist der einzige Eine, der die Mitte der Welt ist, und er verlangt von uns eindeutig und unmissverständlich, ihn zur Mitte unseres Lebens zu machen. Die wahre Religion ist eben absolut theo-zentrisch.
Falls Gott existiert, müssen nach unseren systematischen Überlegungen beide Realitätsweisen einander decken: Die systematische, erkenntnistheoretisch bestimmte Wirklichkeit steht in einem solchen Fall notwendigerweise in vollem Einklang mit der Realität der Schöpfung Gottes. Die nackte Wirklichkeit als solche ist identisch, die Seinsweise ist eine andere. Das bedeutet aber nicht, dass es einen unmittelbaren Weg von der systematischen erkenntnistheoretisch bestimmten Wirklichkeit zur Schöpfung Gottes gibt, in deren Mitte Gott steht. Das Verbindungsglied zwischen beiden „Realitäten“ ist daher der religiöse Glaube.
In den folgenden drei Teilen wird es um die Klärung des Problems der Beziehung zwischen Religion und rationalem Denken einerseits und andererseits um die Klärung der Frage nach dem Verhältnis zwischen Religion im Allgemeinen und der biblisch bestimmten monotheistischen Religion gehen, wie auch um die Beziehung zwischen Religion, Bibel und der Wissenschaft im allgemeinen und der Naturwissenschaft im besonderen.
3 Das Wesen der Religion, herausgegeben von Albert Esser, Köln 1967, S.213
4 Vgl. dazu System I
5 Der Gotteswahn, Berlin 2007, S. 155
6Stern 40/2007
7 Der grosse Entwurf, Eine neue Erklärung des Universums, Reinbek bei Hamburg 2011, S. 11; von mir betont
8 Ebd. S. 15; Betonung im Original
9 Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung? In: Was ist Aufklärung? Hrsg. Von Ehrhard Bahr, Stuttgart 1974, S. 9
10Kritik der reinen Vernunft, A 804/B 832-A 805/B 833
11 Was ist Aufklärung? S. 9, im Original betont
12 Isabelle Schleich, Immanuel Kant und die Aufklärung, München 2008, S.3, von mir betont
13Vgl. dazu System I
14 Vgl. dazu System III
15Vgl. dazu System III
I. RELIGION, DER RELIGIÖSE GLAUBE UND DER MONOTHEISMUS
1. Die erste Frage, die wir in diesem Zusammenhang klären müssen, ist, was wir unter "religiösem Glauben" und "Religion" verstehen.
Wenn wir vom religiösen Glauben reden, meinen wir die Wahrnehmung von etwas in der Welt, das in jeder oder in bestimmter Hinsicht übermenschlich mächtig ist, etwas, das so wahrgenommen wird, das uns persönlich und kollektiv unbedingt angeht und uns verpflichtet.
Dieses Etwas kann eine Naturkraft, ein Himmelskörper oder eine vom Menschen als Ausdruck des tiefen Glaubens erzeugtes Objekt sein, das religiöse Macht darstellt. Sie alle stellen das Göttliche selbst dar oder vermitteln auf eine bestimmte Weise zwischen dem Glaubenden und dem Göttlichen.
Wichtig ist die Wahrnehmung der Wirkung dieser Macht als Ausdruck von Absicht und Wille, die als das Eingreifen dieser Macht (oder Mächte) in die Ereignisse der Welt im Allgemeinen und in die Sphäre des Menschen im Besonderen verstanden wird. Das Bedürfnis, diese Macht oder Mächte anzubeten und ihnen zu dienen, wurzelt in dieser religiös wahrgenommenen Tatsache des Eingreifens des Göttlichen in die Welt im Allgemeinen und in das persönliche und in das kollektive Leben des Menschen im Besonderen.
Diese oben genannten religiösen Tatsachen erwecken die wichtige Frage nach der Art und Weise des Lebens und des Verhaltens des Menschen in Entsprechung mit dem Göttlichen. Hier ist eine Lehre oder eine Weisheit gefragt, die diese Entsprechung regelt. Sie ist die sprudelnde Quelle von Gebeten, Ritualen, Zeremonien und Traditionen, die allesamt der Weisheit oder der Lehre gemäß das jeweilige Göttliche befriedigen und zufrieden stellen. Das erlaubt dem Gläubigen, eine gewünschte Wirkung zu erflehen und sie zu erbitten. Er muss eventuell auch mit Strafe rechnen. Das gilt nicht nur für den Einzelnen, sondern auch für die Gemeinschaft.
2. Die Religionsform einer Religion wird durch die Art des Göttlichen bestimmt, das von den Gläubigen als solches wahrgenommen wird (monotheistische oder polytheistische Religionsform, Naturreligion, Sonnenreligion und dergleichen mehr). Gleich welcher Art das Göttliche ist, von ihm wird, wie schon oben erwähnt, einiges verlangt und erwartet.
Vor allem muss es eine gewaltige, wirksame Kraft besitzen, also mächtig genug sein, um die Natur oder zumindest Teile von ihr zu beherrschen und in sie einzugreifen bzw. an ihnen wirksam zu werden. Dieses Eingreifen und dieses Wirken gelten selbstverständlich auch für den Menschen und für sein Leben. Mit anderen Worten: Vom Göttlichen wird unbedingt übermenschliche, wirksame Lebendigkeit verlangt, die die Welt im Allgemeinen und die Sphäre des Menschlichen im Besonderen durchdringt, beherrscht und leitet.
Bezüglich dieses lebendigen Göttlichen lassen sich die Religionen grundsätzlich in zwei unterschiedliche Gruppen einteilen: Religionen, die das Göttliche – gleich auf welche Weise und in welcher Form – als eine innerweltliche Macht verstehen; zur zweiten Gruppe gehören Religionen, die das Göttliche als etwas verstehen, das in jeder Hinsicht und ohne Ausnahme und auf gar keine Weise mit weltlichen Kategorien bestimmt und verstanden werden kann.
Wir haben oben betont, dass vom Göttlichen unbedingt übermenschliche, wirksame Lebendigkeit verlangt wird, die die Welt im Allgemeinen und die Sphäre des Menschlichen im Besonderen durchdringt, beherrscht und leitet. Zu den Religionen der ersten Gruppe gehören solche, die das Göttliche als eine innerweltliche Macht verstehen, gleich auf welche Weise und in welcher Form.
Was das vom Menschen Erzeugte betrifft, gleich welcher Art und Gestalt, auch wenn es aus tiefem Glauben geschieht, da besteht kein Problem. Von übermenschlicher, wirksamer Lebendigkeit kann hier allen Einwänden zum Trotz gar keine Rede sein.
Was die Naturkräfte und bestimmte Himmelskörper betrifft, ist zu fragen, inwiefern sie Wille und Absicht, Eigenständigkeit und Lebendigkeit besitzen, um das darzustellen, was die Gläubigen von ihnen halten, von ihnen erwarten und verlangen. Auch in diesem Fall kann die Antwort allen Einwänden zum Trotz