11. Gefangener
„Geh rein!“ Noriaki öffnete die Tür der schäbigen Bruchbude und beförderte Yujiro mit einem Tritt hinein, bevor er sie sorgfältig verriegelte. „Mögest du in dieser Gefängniszelle verrotten und Kanagisamas schlimmsten Foltertod sterben.“
Er lachte noch spottend und verschwand.
Der Chūnin seufzte tief und versuchte seine Wut und Frustration auszuatmen. Langsam sah er sich in seiner Zelle um. Sie war nicht besonders groß und kam nicht sehr gut gebaut vor, da es einige Ritze und Löcher im Holz gab. Darüber hinaus sahen die Bretter, die für seinen Bau eingesetzt worden waren, nicht stabil aus. Im Gegensatz zu dem schwer bewachten Gefängnis der Festung von Kiyosu, deren Türen und Wände aus dem besten und widerstandsfähigsten Material bestanden, schien die Standfestigkeit dieser Bude fragwürdig zu sein.
Erpicht darauf zu erfahren, ob es nicht vielleicht eine Fluchtmöglichkeit gäbe, begann er alles aus der Nähe zu untersuchen. Zu seiner Freude fand er nach einer kurzen Suche ein Holzbrett, das schlecht an das nächste angenagelt war. Er versuchte es mit purer körperlicher Kraft abzureißen, doch es rührte sich kaum. Den Kopf kratzend, trat er einen Schritt zurück und überlegte sich, ob er probieren sollte, die Bretter mit Beinkraft einzutreten. Doch er setzte nicht allzu viel Hoffnung darauf, da es nicht nur schwierig sondern auch laut wäre.
Einen Versuch ist es auf jeden Fall wert, dachte er und bereitete sich vor. Kraftvoll trat er gegen die Wand, sodass Staub von der Decke auf ihn niederfiel. Der Aufprall erzeugte einen lauten Krach, doch die Wand gab keinen Zentimeter nach.
Plötzlich hörte er, wie jemand die Zellentür aufriss.
„Hey, was machst du da?!“, schrie ihn ein Mann an, der mit einer Jitte bewaffnet war, einem halben Meter langen eisernen Stab, der eine aufwärtsgerichtete Gabelzinke kurz vor dem Heft hatte. „Versuchst du auszubrechen?!“
Wütend versetzte er Yujiro mehrere Stöße mit der Schlagwaffe. Der Letztere konnte nur die Arme heben, um sich von der harten, aber stumpfen Waffe zu schützen.
„Und versuche es nicht nochmal!“
So schnell wie der Söldner eingetreten war, verließ er die Bruchbude und riegelte wieder die schwere Schiebetür ab. Kiyonoris Herz pochte stark wegen des unerwarteten Angriffs.
Also gibt es eine Wache, nahm er enttäuscht zur Kenntnis, obwohl es auch eigentlich zu erwarten war. Er konnte diese Fluchtmöglichkeit schon mal streichen.
Grübelnd schaute er auf den Fußboden. Er schien von einer großen Schicht von Staub und Dreck bedeckt zu sein, sodass er ihn mehrmals mit der Hand wegwischen musste, um sich einen relativ sauberen Platz zum Sitzen zu finden. Er ließ sich auf den Boden sinken und begann einen Plan in seinem Kopf auszuarbeiten.
Er musste nicht lange überlegen, bevor ein verzweifelter, fast unmöglicher Plan sich in seinem Gehirn bildete. Trotzdem war er sich sicher, dass es keinen besseren gab. Schließlich war er ganz allein an einem unbekannten Ort, wo ihn keiner seiner Männer oder Waffenbrüder hätte befreien können, ganz zu schweigen davon, wie man ihn zuerst überhaupt ausfindig machen würde. Er wollte sich den Plan noch einmal überdenken, als er auf einmal hörte, wie der schwere Balken, der die Schiebetür sicherte, entfernt und die Tür geöffnet wurde.
Was wollen sie diesmal?, fragte er sich und hoffte, dass es nicht wieder die Wache war, die ihn erst vor kurzem mit der Jitte geschlagen hatte. Wachsam ließ er die Tür nicht aus den Augen. Sobald sie geöffnet war, sah eine Gestalt durchschnittlicher Körpergröße hinein. Yujiros Augen weiteten sich vor Unglauben, als er erkannte, dass es Teruo war.
Etwas verlegen ging Teruo einen Schritt auf seinen ehemaligen Waffenbruder zu. „Wie geht es dir?“
Misstrauisch kniff der Chūnin die Augen zusammen. „Warum bist du gekommen?“
„Ich wollte nur nach dir schauen.“
Einige Sekunden lang blieben beide still und Kiyonori versuchte Teruos Motive für seinen Verrat zu verstehen.
„Wieso hast du mir dies angetan?“, fragte er wütend.
Teruo senkte den Kopf. Der Chūnin konnte deutlich sehen, dass sein vormaliger Waffenbruder von Gewissensbissen gepeinigt wurde.
„Yujiro, bitte, versuch mich zu verstehen. Ich hatte keine andere Wahl. Du selbst hast nicht wenige Male von der Treue zu seinem Herrn gesprochen und diese Stellungsnahmen haben mich bekräftigt.“
„Als ich über Loyalität sprach, meinte ich Momochisama, nicht einen Wahnsinnigen wie Takeru! Der Geist der Shinobi geht in ihm verloren. Siehst du es denn überhaupt nicht? Bist du denn völlig blind geworden? Er benutzt Ninjutsu für seine eigenen Interessen, für seinen Gewinn und für seinen Vorteil – Das widerspricht der gesamten Lehre der Shinobi! Takeru ist ein rücksichtsloser Mörder, der das Leben von anderen Menschen vollkommen missachtet und nur seinen eigenen Gewinn sucht! Seine Handlungen steuern nur auf seinen Untergang zu!“
Yujiros brach ab, um seinen Atem zu beruhigen, der vor Zorn unregelmäßig geworden war. Teruo schien von Kiyonoris Worten mitgenommen worden zu sein.
„Was hat er dir nur angetan, dass du ihn so hasst?“, fragte er nach einigem Zögern.
Der Chūnin wurde still. Gebannt starrte er vor sich hin und versuchte seine innerliche Qual loszuwerden, sodass es einen Augenblick dauerte, bis er schließlich eine Antwort geben konnte.
„Er hat meinen Vater umgebracht … Er starb vor meinen Augen.“
Endlich konnte Teruo Yujiros Gefühle begreifen und er weitete schockiert die Augen. „V-verzeih mir bitte, das war mir völlig unbekannt …“
Kiyonori schnaubte verächtlich, bevor er sich niedergeschlagen von ihm abwandte. „Als ob es jetzt einen Unterschied macht.“
Erst jetzt begann Teruo nachzuvollziehen, wie sehr er Kiyonoris Vertrauen missbraucht hatte. „Es tut mir wirklich leid, Yujiro. Ich diene Sowanosama schon seit vielen Jahren und hatte keine andere Wahl als ihm zu gehorchen. Ich–“
„Man hat immer eine Wahl“, flüsterte der Chūnin.
Teruo hielt kurz inne, während er über diese Worte nachdachte und seufzte. „Yujiro, bitte verzeih mir. Ich kann nichts mehr an deinem Zustand ändern. Aber nie habe ich gewollt, dass–“
„Warum gehst du nicht lieber dorthin zurück, wo du hergekommen bist?“, unterbrach ihn Kiyonori zornig. „Verschwinde! Und lass mich in Ruhe!“
„Aber Yujiro, ich–“
„Ich sagte, du sollst dich verkriechen!“
Teruo gab auf und ging zur Tür. „Ich hoffe, du wirst meine Beweggründe wenigstens vor deinem Tod verstehen können“, wisperte er bedrückt und schloss die Schiebetür hinter sich.
12. Die Gelegenheit
Ein knarrendes Geräusch ließ Yujiro aus dem Schlaf hochfahren. Er hatte die ganze Nacht durchgeschlafen und fühlte sich einigermaßen erholt. Schnell sah er sich um und begriff, dass das Knarren von der Tür kam. Dies hieß, dass der Balken entfernt wurde, um Zugang zu der Zelle zu verschaffen.
Der Plan, den er am letzten Abend erarbeitet hatte, blitzte in seinem Gedächtnis auf. Er brauchte nur den Bruchteil einer Sekunde, um ihn erneut durchzugehen. Geräuschlos sprang er auf die Beine und wartete darauf, dass die Wache hereinkam. Die Schiebetür wurde geöffnet und ein Mann trat hinein, der in seiner rechten Hand eine Reisschale sowie einen kleinen Krug hielt, die vermutlich für ihn bestimmt waren.
Plötzlich warf sich Yujiro auf den Nukenin und knallte seinen Kopf gegen den Türrahmen. Bewusstlos sackte der Mann zusammen, wobei die beiden Schalen auf den Boden fielen und in kleine Stückchen zersplitterten.
Eilig spähte Kiyonori aus der Bruchbude heraus. Die Sonne stand bereits am Horizont und kündigte die Morgendämmerung an. Er sah sich um und erstarrte, als er einen