Der gefundene Sohn. Edeltraud-Inga Karrer. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Edeltraud-Inga Karrer
Издательство: Readbox publishing GmbH
Серия:
Жанр произведения: Контркультура
Год издания: 0
isbn: 9783347121102
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Kanne kommt und einschenkt. Dann setzt er sich zu ihnen. »Ich darf doch?« Beide sind überrascht, als sie in Deutsch angesprochen werden. Dann stellt sich heraus, dass Frater Bernardo in Deutschland geboren wurde, dort zur Schule gegangen ist, Theologie studierte und dann in die Heimat seiner Eltern zurückging, als klar war, dass er in einen Orden eintreten wollte.

      Sie erzählen ein wenig von sich, verabschieden sich aber bald, weil sie heute noch nach Sizilien wollen.

      Nach einem herzlichen ›Dankeschön‹ und einem ›Vergelts Gott‹, dann machen sie sich wieder auf. Der deutsche Mönch winkt ihnen nach und dann nehmen sie den Weg, den er ihnen beschrieben hat, damit sie sich nicht in den teilweise urwaldähnlichen Wäldern verlaufen.

      Sie haben noch ein gutes Stück Weg vor sich, bis sie endlich in Reggio Calabria ankommen. Einen Tag bleiben sie noch in dieser Stadt mit ihren vielen Sehenswürdigkeiten, essen irgendwo und befinden sich gegen Abend auf der Fähre nach Messina. Als sie nach einer halben Stunde Fahrt aussteigen, müssen sie feststellen, dass das keine so gute Idee war, noch an diesem Abend überzusetzen. Wo sollen sie hier eine Bleibe für die Nacht finden? Sie hatten eigentlich geplant, sich den Ätna anzuschauen. Im Hafen sehen sie einen Informationsstand, der ihnen auch in deutscher Sprache erklärt, dass morgen eine Gruppe zum Ätna fährt, die hier abgeholt und zu ihrem Ziel gebracht wird.

      * * *

      Als sie immer noch so unentschlossen herumstehen, kommt ein Mann auf sie zu. Er macht fast den Eindruck, als habe er sie erwartet, denn von denen, die mit der Fähre gefahren sind, sind nur noch sie beide übrig. Mit weitausholenden Schritten nähert sich diese sportliche Gestalt, höchstens fünfzig Jahre alt, dunkle Haare, graue Schläfen, offener, fröhlicher Blick, vielleicht eins achtzig groß -ein Schwiegersohntyp.

      »Ich heiße Worlitzer, Jens Worlitzer. Aber alle nennen mich nur Worlitzer.« Wie selbstverständlich und nicht, als sähen sie sich in diesem Moment das erste Mal im Leben, greift er nach ihren Händen und drückt sie kräftig.

      »Ich kenn’ mich hier aus. Kommt mit. Ich bin mit meinem ›Taxi‹ da. Ich bring euch hier weg.«

      Ein bisschen überrumpelt folgen die zwei ihm tatsächlich und steigen in sein Auto. Sie schütteln zwar den Kopf über seine Art, sind aber ganz erleichtert, dass jetzt jemand anderes die Führung übernimmt.

      »Ich wohne außerhalb der Stadt. Man lebt billiger und ruhiger auf dem Land. Ich lade euch ein. Ihr könnt bei mir schlafen. Wie heißt ihr eigentlich?«

      Sein Redeschwall und die dominante Art haben sie noch gar nicht dazu kommen lassen, sich vorzustellen. Das holen sie jetzt nach und sind von seiner Gastfreundschaft, seinem Temperament und seiner Freundlichkeit fast erschlagen.

      »Wir können morgen gleich nach dem Frühstück zum Ätna fahren, wenn euch das recht ist.«

      Natürlich ist es ihnen recht.

      Die Fahrt wird bald langsamer und Worlitzer steuert das Auto in eine, wie von Geisterhand sich öffnende Garage.

      »Hier wohnen Sie?«

      Sie können es kaum fassen, was sie hier zu sehen kriegen. Ein feudales Herrenhaus, eher ein Herrensitz. Eine elegant geschwungene Freitreppe führt zum Portal, bei der Größe und Mächtigkeit kann man wirklich nicht von einer Tür sprechen.

      »Ja«, lacht Worlitzer, »hier wohne ich. Das kann man sich wirklich nur hier draußen leisten. So ein Gebäude wirkt in der Stadt doch wie eingeklemmt.«

      Auch das schwere, mit eindrucksvollen Schnitzereien verzierte, Vollholzportal öffnet sich lautlos und leicht, ohne das Worlitzer einen Schlüssel gebrauchen muss.

      »Wenn es euch gefällt, könnt ihr euch hier gern ein paar Tage ausruhen.«

      Als sie sich etwas ratlos anschauen, lacht er nur und sagt: »Keine Angst, ihr kommt hier in kein Verlies, ich freue mich einfach über Gesellschaft. Immer allein zu leben ist auf die Dauer auch nichts.«

      Inzwischen geht er ihnen durch den großen Eingangsbereich voraus, in dem eine herrliche antike Sitzgarnitur steht. Mannshohe Spiegel sind an zwei Wänden angebracht, jeweils rechts und links mit Kandelabern bestückt, in denen ein sanftes Licht den großflächigen Seidenteppich kostbar glänzen lässt. Riesige Keramikvasen, die mit blühendem Rankengewächs gefüllt sind, unterstreichen die Eleganz des Entrees.

      Dann öffnet er die Tür zum Wohnbereich. Auch hier ist alles prächtig und ausladend. Es gibt einen großen, mit wunderschönen Intarsien versehenen Tisch, einen mächtigen Kronleuchter, der jedem Schloss Ehre machen würde, und weiche, monströse Sessel, bei denen man denkt, nie wieder hochzukommen, wenn man erst einmal Platz genommen hat.

      Einen Moment lässt Worlitzer sie vor seinem Reichtum erschauern, dann öffnet sich gegenüber eine Tür ohne jedes Geräusch, ein junger Schwarzer tritt herein mit einem silbernen Tablett auf der ausgestreckten Hand. Roter Wein leuchtet wie Blut durch das fein geschliffene Kristallglas der Karaffe. Hochstielige Gläser klirren leise musikalisch aneinander, als er das Tablett auf dem Tisch abstellt. Lautlos wie gekommen ist, verschwindet er wieder.

      So richtig wohl fühlen sich seine beiden Besucher nicht in ihrer Haut. Worlitzer weiß das. Es ist jedes Mal so. Wenn sie sich erst einmal eingelebt haben, wird sich diese Befangenheit verlieren. Auch das ist immer so.

      Er erhebt das Glas und prostet ihnen zu: »Auf euer Wohl und ein herzliches Willkommen in meinem Haus. Ich freue mich, dass ich heute Abend Gäste habe.«

      Auch sie greifen zu ihren Gläsern und als sie ihm danken wollen, winkt er ab. »Lasst es uns einfach gut gehen. Und dieses ›Sie‹ stört mich, ich bin Worlitzer und bitte duzt mich.«

      Der livrierte junge Diener kommt noch dreimal und füllt auf, was geleert ist. Der Abend ist ziemlich fortgeschritten, als Worlitzer ihnen ihr Zimmer zeigt. Nein, es ist kein Zimmer, sondern eine Suite – für jeden eine!

      Als er ihnen eine gute Nacht gewünscht und sich zurückgezogen hat, sitzen die beiden Tramper noch eine gute Weile zusammen. Sie wissen nicht, was sie mit dieser Situation anfangen sollen. Jonathan bringt Bedenken an, hier länger als diese Nacht zu bleiben. Doch Andreas meint: »Er hat uns doch eingeladen. Er freut sich bestimmt, nicht so allein zu sein. Ich denke, wir sollten ihm die Freude machen und noch ein bisschen bleiben«

      Ihre endgültige Entscheidung vertagen sie auf morgen, betreten ihre feudalen Badesäle und staunen über die schätzungsweise tausend Lichter, die in die Zimmerdecke eingelassen sind und aufleuchten, kaum dass sie sich in die Nähe des Raumes bewegen.

      Auch in ihren Himmelbetten fühlen sie sich fremd. Doch der anstrengende Marsch und der Wein tun alles, sie schnell in einen tiefen Schlaf fallen zu lassen.

       8. Kapitel

      Jakobs Entschluss steht fest. Er entscheidet sich für das Chemiestudium. Ihm ist klar, dass es lange dauern und sehr mühsam werden würde. Die meisten, die ihn davor warnen, sich darauf einzulassen, finden die vielen Stunden im Labor sehr anstrengend. Doch genau dahin will er. Er würde in die Forschung gehen. Neues entdecken und spannende Entwicklungen erleben. Auf wie vielen Feldern ist man auf Chemie, deren neue Anwendungsmöglichkeiten und auf Innovationen angewiesen? Er würde dabei sein, wenn ganz neue Ideen umgesetzt werden. Mit seinem Namen, das wünscht er sich von Herzen, würden großartige Durchbrüche verbunden sein. Er würde alles tun, um dahin zu kommen.

      Er bemüht sich sehr. Das Labor ist sein Experimentierfeld. Genau wie damals, als er ein Kind war, arbeitet er äußerst konzentriert und vergisst alles um sich herum.

      Schon jetzt, nach gerade einmal fünf Semestern, nennen sie ihn den ›verträumten Professor‹. Sie mögen ihn, obwohl er wenig mit ihnen gemein hat. Außerhalb des Labors ist er stets hilfsbereit und entgegenkommend. Falschheit und Heuchelei sind ihm fremd.

      Seinen weißen Kittel füllt er gut aus. Er ist ihm ein wenig zu eng. Freundlich wird er gefrotzelt: »Du bist nicht zu dick, nur zu kurz für dein Gewicht.« Er nimmt es gelassen zur Kenntnis und ärgert sich über solche Bemerkungen nicht.

      Seit einiger Zeit sucht ein Kommilitone