Sie wischte ihre Hände an den Hosenbeinen ab und griff nach dem Handy. Doch die Nummer, die das Display zeigte, war ihr unbekannt. Sie drückte auf Annehmen und hob das Telefon zum Ohr.
»Hallo?«
Rauschen, dann Stille. Ein leises, knisterndes Geräusch.
»Ich kann Sie nicht verstehen. Der Empfang ist schlecht, haben Sie etwas gesagt?«
Wieder Rauschen. Es erinnerte Marit an das Meer bei starkem Wind. Dazu undeutlich eine leise Stimme, die etwas ins Telefon murmelte. Marit konnte die Worte nicht verstehen, doch etwas an ihnen sorgte dafür, dass sich die Härchen auf ihren Armen hochstellten.
»Bitte sprechen Sie deutlicher!« Sie bemerkte, wie ihre Hände schon wieder zu zittern begannen.
»… Sie hier?« Eine Männerstimme. Verwaschen wie etwas, das aus einer anderen Zeit kam.
»Ich kann Sie nicht verstehen.« Ihre eigene Stimme war nur noch ein heiseres Flüstern. Im Grunde wollte sie den Mann am anderen Ende gar nicht mehr verstehen. Am liebsten hätte sie das Gespräch beendet, aber ihre Finger wollten die Bewegung nicht ausführen.
»… nicht sein. Nicht gut …« Das Rauschen nahm wieder überhand. Es klang tatsächlich wie Wellen, die ans Ufer schlugen.
Vor dem Fenster schrie eine Möwe. Erschrocken ließ Marit das Handy fallen, es polterte ins Spülbecken. Mattes, bläuliches Leuchten ging vom Display aus und verwandelte den polierten Stahl in eine Unterwasserlandschaft. Marit meinte immer noch das Rauschen zu hören. Dann wurde das Display auf einmal dunkel.
Es dauerte eine Weile, bis Marits Körper ihr wieder gehorchen wollte. Mit steifen Fingern fischte sie das Handy aus dem Spülbecken, dankbar, dass sich kein Wasser darin befunden hatte. Ohne darüber nachzudenken, was sie tat, schaltete sie es aus und legte es auf den Küchentisch.
Es fiel ihr schwer, den Blick von dem kleinen Gerät zu lösen. Es war einfach nur falsch verbunden, sagte sie sich. Falsch verbunden und ein schlechter Empfang, das ist alles.
Das schlechte Wetter, ihre Erschöpfung und obendrauf noch die finsteren Erinnerungen hatten sie zermürbt. Kein Wunder, dass sie nervös wurde. Allein in einer neuen Umgebung. Morgen würde sicher alles ganz anders aussehen.
Es war Zeit, ins Bett zu gehen.
Marit löschte das Licht und stieg die Treppen hinauf. Sie konnte die Wellen hören, wie sie draußen an die Buhnen klatschten. Es hörte sich an, als befände sich das Meer direkt vor ihrer Haustür. Marit musste lächeln und zum ersten Mal seit dem Telefongespräch mit Janna fühlte sie sich wieder etwas entspannt.
Es wird eine gute Zeit werden, dachte sie bei sich. Es musste einfach so sein.
Oben schlüpfte sie in ihren Pyjama und dachte kurz darüber nach, sich noch ein wenig in ihren Lieblingssessel zu kuscheln. Nur dort sitzen, Kaffee trinken und dem Meer vor ihrem Fenster lauschen. Doch dann schüttelte sie den Kopf. Für heute hatte sie genug vor sich hin gegrübelt. Wenn sie jetzt weitermachte, würden nur die Erinnerungen wiederkommen.
Als sie in ihr Bett kletterte, waren die Laken kühl und ein wenig klamm. Aber vielleicht kam ihr das auch nur so vor. Marit schloss die Augen und schlief sofort ein.
Kapitel Drei – In der Nacht
Wach.
Marit hatte keine Ahnung, wie spät es war, aber sie konnte noch nicht besonders lange geschlafen haben. Kein Licht fiel durch die Fenster herein und die Luft roch nach Schlaf und Dunkelheit. Ihr Körper fühlte sich steif an, trotz der warmen Bettdecke fröstelte sie ein wenig. War es das, was sie geweckt hatte, die Kälte? Nun, sie konnte sich eine weitere Decke aus dem Kleiderschrank holen. Marit schaltete die Nachttischlampe ein, schlug ihre Bettdecke zurück und fröstelte noch mehr in der kühlen Luft. Sie zögerte, ihre bloßen Füße auf die kalten Bohlen zu setzen, doch es war ihr ja nicht geholfen, wenn sie hier frierend im Bett sitzen blieb. Also wappnete sie sich gegen den Schock und stand auf.
Der Fußboden war eisig, viel kälter, als er hätte sein dürfen. Schließlich handelte es sich um Holz und laut des Besitzers war alles frisch gedämmt worden. Außerdem lief die Heizung. Zumindest hoffte Marit das, sie hatte sie vorhin eigenhändig angestellt. Mit zusammengebissenen Zähnen lief sie über die Bohlen zum Kleiderschrank, öffnete ihn und zog ihre alte Fleecedecke heraus, die ihr schon in so mancher kalten Nacht gute Dienste geleistet hatte. Gerade wollte sie sich umdrehen und zum Bett zurückgehen, als sie etwas hörte.
Marit blieb stocksteif stehen, als hätte die Kälte sie eingefroren, und lauschte. Nichts. Oder? Dann wiederholte sich das Geräusch, ein leichtes Knarren, wie von jemandem, der leise über einen Holzfußboden lief. Es kam nicht aus dem Schlafzimmer, sondern von weiter unten, vielleicht aus dem Büro oder sogar der Küche.
Unsinn. Das bildest du dir ein. Erstens gibt es unten gar keine alten Bohlen, die knarren könnten, zweitens kann niemand ins Haus kommen. Du hast die Tür abgeschlossen.
Leider halfen solche Gedanken nicht. Zu oft hatte sie von Einbrüchen gehört, die in scheinbar sicheren Wohnungen vorgefallen waren. Marit biss die Zähne zusammen, hielt still und lauschte. Gleichzeitig fragte sie sich, wo sie ihr Handy hingelegt hatte. Wenn sie nun die Polizei rufen musste? Siedend heiß fiel ihr ein, dass sie es nach dem Ausschalten auf dem Esstisch deponiert hatte. Woher hätte sie denn auch wissen sollen, dass sie es brauchen könnte?
Das Knarren wiederholte sich nicht, aber vielleicht ging es auch in dem Geräusch des Windes unter, der jetzt lauter um den Turm brauste. Trotzdem wagte Marit nicht, sich zu rühren. Waren das Stimmen, die sie hörte, oder spielte ihr der Wind einen Streich?
Nein, keine Stimmen, beschloss sie. Das war albern. Sie war viel zu alt, um sich vor Geräuschen in der Nacht zu fürchten. Vermutlich hatte sie nur etwas schwache Nerven, weil es seit langer Zeit die erste Nacht war, die sie allein in einem Haus verbrachte. Wahrscheinlich war es am besten, wenn sie ihr Handy heraufholte und es wieder anschaltete. Natürlich würde sie es nicht brauchen, aber sie wusste, dass sie sich dann sicherer fühlen würde.
Marit holte tief Luft, warf die Fleecedecke auf ihr Bett und eilte entschlossen zur Treppe. Die Stufen waren aus Metall und womöglich noch kälter unter ihren Füßen als der Holzfußboden. Sie ließ sich nicht abschrecken, eilte die drei Stockwerke hinunter und versuchte, nicht darüber nachzudenken, was sie dort unten vielleicht erwarten würde.
Tatsächlich war dort – gar nichts. Das Esszimmer lag still und dunkel da, nur der Umriss des Handys hob sich als leichte Erhebung vom Tisch ab. Erleichtert eilte Marit hinüber, schnappte das Telefon und drehte sich wieder zur Treppe um.
Etwas bewegte sich. Es war nur ein Huschen am Rande ihres Blickfeldes, doch es reichte, um Marits Herz auf einmal bis in den Hals schlagen zu lassen. Sie wirbelte herum, das Handy erhoben, als wäre es eine Art Waffe. Nichts. Natürlich nichts. Einer der Vorhänge vor den großen Fenstern wehte leicht im Luftzug.
Luftzug?
Marit hatte die Fenster geschlossen, da war sie sich ganz sicher. Sie blinzelte, sah genauer hin, aber es gab keinen Zweifel, der leichte, helle Stoff bewegte sich, bauschte sich leicht und spielte mit dem Wind.
Reg dich ab! Das Fenster schließt nicht richtig, das ist alles. Oder du hast es nicht gründlich genug zugemacht. Es gibt eine Erklärung.
Natürlich. War es nicht das, was sich alle Leute in allen Gruselerzählungen schon immer sagten? Und wann hatten sie jemals recht?
Und wann waren Gruselerzählungen jemals real?
Marit ging entschlossen zu dem Fenster hinüber, schob den Vorhang zur Seite und spähte einen Moment lang in die schwärzeste Nacht hinaus, die sie seit langer Zeit gesehen hatte. Man konnte nichts außer der schemenhaften Deichkrone sehen, tiefschwarz vor dem etwas helleren Schwarz des Himmels. Vermutlich jagten dort oben Wolken entlang, denn Sterne waren nicht zu sehen. Der Wind heulte hier lauter und das Fensterglas zitterte tatsächlich ein