Aus den Reihen der Zuschauer klang verhaltenes Lachen herauf.
Panhalm blickte streng in die Menge hinunter, bevor er sich wieder an Jobst wandte. »Aha, es ging um Jungfer Luzia. Ihr meint die Tochter des Wirts, Jakob Rabener? Sie war der Grund Eurer Auseinandersetzung? Inwiefern?«
»Nun …«, wieder zögerte Jobst mit der Antwort. »Es ging … es ging eigentlich nur um ihren … um ihren Hintern.«
Jetzt lachte die Menge aus vollem Hals. Sogar in der Miene des Stadtrichters zuckte es verdächtig.
Doch er hatte sich gleich wieder in der Gewalt. »Könntet Ihr das etwas näher erklären?«
»Luzie – äh, ich meine Jungfer Luzia – ich mag sie eben. Und sie mich auch, glaube ich. Und immer, wenn sie dem Dietrich seinen Humpen brachte, … klopfte er ihr … klopfte er ihr auf den Hintern, einfach so. Und das hat mir … hat mir eben … nicht gefallen. Und da habe ich ihm gesagt, er soll … er soll … das bleiben lassen. Aber er sagte, das ginge mich nichts an. Er sagte auch, er habe die gleichen … die gleichen Rechte wie ich … Und da bin ich eben einfach fuchsteufelswild geworden, und dann gab ein Wort das andere, … und dann … und dann…«, Jobst wusste nicht mehr weiter und blickte hilfesuchend in die Runde.
»Und dann sprachen Eure Fäuste«, vervollständigte der Stadtrichter den angefangenen Satz.
Wieder lachten die Zuschauer.
»Ja, ja, … genauso war es. Aber es wäre alles nicht geschehen, … wenn wir nicht … wir waren … wir hatten ja auch …«, abermals suchte Jobst nach Worten, ohne die richtigen zu finden.
Erneut kam ihm der Stadtrichter zu Hilfe. »Ihr meint wohl, Ihr hattet so etwas wie einen Rausch?«
»Richtig, Herr Stadtrichter, Ihr sagt es. Das viele Bier. Wir … wir hätten etwas weniger davon kosten sollen.«
»Hattet Ihr eben ›kosten‹ gesagt? Ich nenne das ›saufen‹«, gab der Stadtrichter trocken zurück.
Der Gerichtsschreiber ergriff das Wort. »Soll ich diesen Euren Satz in das Protokoll mit aufnehmen?«, fragte er gewichtig.
»Natürlich nicht, Ihr Narr«, antwortete Panhalm.
Die Zuhörer amüsierten sich köstlich. Die Verhandlung schien ganz nach ihrem Geschmack zu laufen. Nicht wenige begannen, flachsige Kommentare von sich zu geben.
Energisch klopfte Panhalm mit seinem Hammer auf den Tisch. »Ich bitte mir Ruhe aus. Und ein wenig mehr Respekt«, polterte er los.
Dann wandte er sich wieder an Heiss. »Wie kamt Ihr eigentlich dazu, plötzlich auf den Pützer einzustechen?«
Jobst hatte diese Frage erwartet. So unbeholfen, wie er bis jetzt gesprochen hatte, so überlegt und bewusst setzte er nun zur Antwort an. Er wusste, dass er in diesem Augenblick absolut glaubwürdig wirken musste; sein Leben hing davon ab.
»Ich hätte niemals mein Messer gezogen. Er hat es zuerst getan. Ich musste mich gebührlich verteidigen. Ich zog mein Messer in Notwehr«, sagte er mit fester Stimme.
Peter Seimer, der zusammen mit den anderen Zeugen auf dem Podest stand und bis jetzt aufmerksam der Verhandlung gefolgt war, zuckte ob dieser groben Lüge zusammen. Balduin den Schweinehirten schien die Antwort Jobsts gleichgültig zu lassen; er schwankte wie ein Ast im Wind. Die Bierfahne, die vor ihm herwehte, ließ den Schluss zu, dass ihm die Tragweite dieser Aussage verborgen blieb.
»Ihr behauptet also tatsächlich, dass der Pützer zuerst das Messer zog?«, vergewisserte sich der Stadtrichter. »Ihr wisst, dass Ihr darauf den Schwur zu leisten habt!«, fügte er mahnend hinzu.
Jobst Heiss wusste dies. Doch was nützte es ihm, wahrheitsgemäß zu antworten, wenn ihn dies den Kopf kostete? Andererseits war ihm klar, dass seine Darstellung der Dinge in direktem Widerspruch zu der Aussage der beiden Zeugen stand. Was Balduin den Schweinehirten anging, brauchte er sich da keine allzu großen Sorgen zu machen. Denn dass Balduin als Zeuge so viel wert war wie ein durchlöchertes Wams bei heftigem Regen, wusste schließlich jeder. Die Glaubwürdigkeit Peter Seimers zu erschüttern, würde dagegen weitaus schwieriger sein. Dennoch – er musste es versuchen, es ging ums Überleben.
»Ich weiß sehr wohl, dass Ihr mich vereidigen werdet, Herr Stadtrichter. Doch ich bleibe dabei – der Pützer zog das Messer als Erster.« Die Stimme Jobsts klang trotzig, fast herausfordernd.
Während der Stadtrichter daraufhin nur nickte, sah Peter Seimer abermals empört zu Jobst hinüber. Gleichzeitig lastete die Ungewissheit über das, was ihn selbst erwartete, wie ein schwerer Stein auf seiner Seele. Er wusste, dass der Stadtrichter auch ihn dazu auffordern würde, seine Aussage zu beeiden. Aber er würde dies ablehnen. Er durfte nicht schwören. Weil er sein Leben dem Herrn geweiht hatte. Als einer der Angehörigen der Gemeinde der »Armen Christi« zählte er zu denjenigen, die niemals einen Eid ablegten. Selbst nicht angesichts des Todes. Denn dies war schließlich eine Sünde. Eigentlich hatte er sich schon vor Wochen damit abgefunden, mit seinem heutigen Auftritt vor Gericht unweigerlich seine Identität preisgeben und sich als einer der »Armen« zu erkennen geben zu müssen. Doch dann, vor wenigen Tagen erst, war ihm etwas Seltsames widerfahren. Etwas, das ihn in die Lage versetzte, den Eid zu verweigern, ohne sich in aller Öffentlichkeit zu denjenigen bekennen zu müssen, welche die Kirche als Ketzer bezeichnete. Von diesem Zeitpunkt an hatte er wieder Hoffnung geschöpft. Doch ob der Richter seiner Geschichte Glauben schenken würde, war mehr als fraglich.
»Jobst Heiss, ich fordere Euch dazu auf, vor Gott und den Menschen zu bezeugen, dass Ihr die Wahrheit gesagt habt.« In fast feierlichem Ernst klang die Stimme Georg von Panhalms über den Platz. Zusammen mit ihm hatten sich auch alle anderen, die am Richtertisch saßen, erhoben.
»Hebt die Hand und schwört also: Ich schwöre bei Gott dem Allmächtigen und bei allem, was mir heilig ist, dass ich die Wahrheit und nichts als die Wahrheit gesagt habe.«
Jobst Heiss hob die Hand. »Ich schwöre bei Gott, dem Allmächtigen, und bei allem, was mir heilig ist, dass ich die Wahrheit und nichts als die Wahrheit gesagt habe«, verkündete er Gott und den Menschen. Als er zu Ende gekommen war, standen Schweißperlen auf seiner Stirn.
»Nun gut. – Ich rufe als ersten Zeugen Balduin Lechner auf«, fuhr der Stadtrichter mit der Verhandlung fort.
Mit unsicheren Schritten erklomm der Schweinehirt in Begleitung eines der Büttel die Stufen und begann, sichtlich zum Ergötzen der Zuschauer, im Zick-Zack-Kurs quer durch die Laube zu stolpern. Den schwarzen, zerlumpten Hut mit der durchlöcherten Krempe hatte er abgenommen. Das graue Haar hing ihm in verwegenen Strähnen in das schmutzige, von einem struppigen Bart gerahmte Gesicht. Der schwarze Umhang über dem Wams starrte vor Dreck, ebenso die Beinlinge und die Lumpen, mit denen er seine Füße umwickelt hatte. Zielbewusst strebte Balduin mit wenigen Schritten dem Richtertisch zu, den er wider Erwarten auch tatsächlich erreichte. Deutlich schwankend, aber sich durchaus der Wichtigkeit seiner Person bewusst, verharrte er schließlich unmittelbar vor Georg von Panhalm.
Das hohe Gericht rümpfte entsetzt die Nase. Von Panhalm verzichtete darauf, Balduin förmlich zu fragen, ob er auch wirklich Balduin sei. Dass der Mann, der da vor ihm stand, Herr der Ternbergschen Schweine war, hätte nur ein Wahnsinniger oder jemand ohne Geruchssinn leugnen können. Ebenso wenig, dass das Bier Herr über den Mann war. Die Schwaden, die seiner Gestalt entströmten, ließen an seiner Identität keinen Zweifel zu.
Nur mit eisernem Willen gelang es dem Stadtrichter, seine Nase von der Umklammerung seiner Finger zu befreien.
»Balduin Lechner, Ihr wart Zeuge an jenem Abend, als Dietrich Pützer und Jobst Heiss miteinander stritten?« Der Richter bemühte sich, seiner Stimme einen amtlichen Ton zu verleihen.
Balduin schwankte bedenklich. Er sah den Richter mit glasigen Augen an – dann wandte er sich plötzlich um und torkelte an die Brüstung der Laube. Breit grinsend sah er auf die Masse der Zuschauer hinunter, ungeachtet der schwarzen Zahnstummel, die er dabei entblößen musste, und fuchtelte mit den Armen.
»Ha… habt Ihr … es