»Glaubt mir, ich habe bei sämtlichen Personen, die infrage kommen, nachgeforscht – nichts!«
Falk runzelte die Brauen und starrte schweigend in die Flammen, die im Kamin knisterten. Ihr Flackern ließ unruhige Schatten über ihre Gesichter huschen und tauchte den Teil der Halle, in dem sie sich aufhielten, in warmes, zuckendes Rot.
»Ihr sagtet vorhin, der Stadtrichter habe den Körper Eurer Gattin noch am Fundort untersucht?«
»Ja.«
»Ich nehme an, auch die unmittelbare Umgebung?«
»Ich gehe davon aus.«
»Über das Ergebnis hat er nichts verlauten lassen?«
»Er hat mit Sicherheit nichts gefunden. Aber besser, Ihr fragt ihn selbst danach.«
Falk nickte. »Das werde ich. Gleich morgen.«
»Morgen wird er Euch nicht empfangen können. Da trifft er sich mit dem Bannrichter in Enns. Der Panhalm muss die Verhandlung am Freitag vorbereiten, bei der vielleicht der Bannrichter zugegen sein wird. Es geht um den Vorwurf des Mordes gegen einen gewissen Jobst Heiss aus Steyrdorf.«
»So?«, murmelte Falk und kramte in seinem Gedächtnis: Jobst Heiss – plötzlich fiel es ihm wieder ein. Natürlich. Die Verhandlung, bei der Peter Seimer als Zeuge aussagen würde. Jos, der Knecht vom Seimerhof, hatte ihnen erst heute Nachmittag davon erzählt.
Auch Christine hatte die Äußerung des Alten noch im Sinn. Gegenwärtig war alles, was mit Peter Seimer zusammenhing, von Interesse. »Diese Verhandlung – es geht dabei tatsächlich um Leben und Tod?«, fragte sie darum.
»Das weiß man noch nicht so genau. Ich selbst habe mich mit der Sache nicht näher beschäftigt. Aber die Tatsache, dass der Bannrichter anwesend sein wird, lässt eigentlich keinen anderen Schluss zu. Was diesen Jobst Heiss angeht, habe ich gehört, dass er ein zwielichtiger Geselle sein soll. Die Genannten, die für die Verhandlung bestimmt wurden, um den Richter bei der Urteilsfindung zu unterstützen, sind sich über seine Person nicht einig. Die einen sagen, er habe sein Opfer bewusst getötet, die anderen sprechen von einem unglücklichen Zufall. Ich schätze, Stadt- und Bannrichter werden sich schwertun, die Wahrheit herauszufinden.«
»Er hat derzeit eine ganze Menge um die Ohren, Euer Stadtrichter, nicht wahr?«
»Das könnt Ihr laut sagen. Zu all dem soll sich das Rußgesicht wieder in der Gegend herumtreiben. Auch dieser Sache muss er nachgehen.«
»Das ›Rußgesicht‹?«
»Ja, ein Waldenserprediger, der sich das Gesicht mit Kohle färbt und sich in den Wäldern verbirgt. Vor einigen Monaten gelang ihm die Flucht aus dem Kerker. Er verschwand zunächst spurlos, muss sich aber immer noch in der Gegend aufhalten. Der eine oder andere will ihn in den vergangenen Tagen wieder gesehen haben.«
Falk sah angespannt vor sich hin, seine Wangenmuskeln zuckten.
Wernher griff nach der Kanne mit dem Würzwein, die auf dem Kamin stand.
»Jeder noch einen Becher?«
Die Frage riss Falk aus seinen Grübeleien heraus. Er schüttelte den Kopf.
»Nein, Wernher, lasst es gut sein. Es ist Zeit fürs Lager. Für Euch kräht der Hahn morgen früher als sonst. Ihr habt eine anstrengende Reise vor Euch und auch wir sind rechtschaffen müde«, sagte er und erhob sich.
Christine folgte seinem Beispiel. Gähnend reckte sie die Glieder.
»Nun denn, lasst mich Euch noch hinüber zum Fondaco begleiten. Ein wenig frische Luft wird mir nicht schaden«, entgegnete der Ternberger und ging zur Tür.
Sie traten in den kühlen Abend hinaus; ein klarer Sternenhimmel wölbte sich über ihnen.
Vor der Türe zum Fondaco verabschiedeten sie sich.
»So Gott will, sehen wir uns in etwa einem Monat wieder. Betrachtet mein Haus als das Eure. Mein Verwalter, Hans Söhnlein, und Irmingard, meine Obermagd, sind angewiesen, Euch jedwede Unterstützung zu gewähren«, bemerkte der Ternberger, nachdem sämtliche guten Wünsche ausgetauscht worden waren.
Einem plötzlichen Impuls folgend, umarmte er seine Gäste noch einmal. Dann wandte er sich um und ging mit weit ausgreifenden Schritten zum Haupthaus zurück.
Kapitel 9
Freitag, 07. August 1388
Der Hof vor dem Gerichtsgebäude zu Steyr war voller Menschen. Es herrschte ein Schubsen, Drängeln, Stoßen und Rempeln, dass einem angst und bange werden konnte. Aus nah und fern war man herbeigeströmt, um bei der Verhandlung dabei sein zu können. Ganze Familien waren zugegen. Einige von ihnen hatten sogar ihre Speisen mitgebracht: Brot, Käse und Dünnbier. Auch Christine war gekommen und versuchte nun, einen guten Platz in den vorderen Reihen zu ergattern, um möglichst nah am Geschehen sein zu können. Das Wetter an diesem Freitag schien für eine solche Veranstaltung geradezu geschaffen zu sein: Der Himmel war blau, und die Sonne strahlte nicht zu allzu heiß. Selten hatte eine Verhandlung vor dem Stadtrichter so viele Zuschauer angezogen. Das war auch kein Wunder, ging es doch um den Mord an Dietrich Pützer, ehemals Schuster zu Garsten. Oder zumindest um das, was einige als Mord bezeichneten. Denn es gab nicht wenige, die den Tod des Pützer lediglich als einen unglücklichen Zufall ansahen.
Und das kam so:
Wie viele andere Mannsbilder aus der Gegend war auch Dietrich Pützer Stammgast im Schwarzen Raben zu Garsten gewesen. Nicht, dass das Gebräu, das man dort genießen konnte, besonders frisch und von herausragendem Geschmack gewesen wäre – es war eher von durchschnittlicher Güte. Nein, was viele der Männer so sehr erfrischte, waren vor allem die Reize der Wirtstochter Luzia, mit denen diese nicht gerade geizte.
Eines Abends war in der Schankstube des Rabenwirts zwischen Dietrich Pützer, dem Schuster, und Jobst Heiss, der in der Nähe von Garsten eine Schmiede betrieb, ein Streit ausgebrochen. Ein Streit darüber, wer von beiden denn nun das Recht habe, dem lieblichen Töchterchen den knackigen Hintern zu tätscheln, wenn es einem den Humpen kredenzte.
Luzia selbst war das völlig gleichgültig; tätscheln konnte sie, wer wollte – Hauptsache, der Pfennig rollte. Aber zwischen Pützer und Heiss führte die Erörterung dieser unglaublich schwierigen Frage zu einer lautstarken Auseinandersetzung, die von Humpen zu Humpen an Intensität zunahm.
Außer den beiden Streithähnen waren an diesem Abend nur noch Peter Seimer und Balduin, der Schweinehirt des Dorfes Ternberg, als Gäste anwesend gewesen.
Als der Rabenwirt die Hitzköpfe beschwichtigen wollte, war es bereits zu spät. Die gewaltigen Mengen an Bier hatten nicht nur ihre Bäuche, sondern auch ihren Verstand geflutet. So war aus dem verbalen Gefecht schnell eine handfeste Rauferei geworden; Jobst und Dietrich droschen wie wild aufeinander ein.
Peter Seimer, der nahe Wolfern einen großen Hof bewirtschaftete, hatte sich schon bei Beginn der Auseinandersetzung mit seinem Krug in die hinterste Ecke der Wirtsstube verzogen. Er hatte die Schankstube des Rabenwirts nicht wegen dessen Töchterchen aufgesucht, sondern weil er an diesem Abend im Raben zu nächtigen gedachte und die Heimreise erst bei Tageslicht fortsetzen wollte. Peter galt als ruhig und besonnen und als jemand, der dem Streit aus dem Weg ging. Längst schon hätte er die Kneipe verlassen, hätten die Hitzköpfe ihre Debatte mit Fäusten und Worten nicht in unmittelbarer Nähe der Türe ausgetragen.
Balduin der Schweinehirt dagegen hatte an der Prügelei seine wahre Freude. Sie brachte Kurzweil in sein erbärmliches Leben; einmal Jobst, ein andermal Dietrich anfeuernd, klatschte er begeistert in die Hände, wenn ein gut gesetzter Hieb dem anderen folgte.
Jakob, dem Wirt, war schnell klar geworden, dass er allein die beiden Streithähne nicht zur Vernunft bringen konnte. Also hatte er seine Kneipe durch eine Hintertür verlassen, um nachbarliche Hilfe einzuholen. Luzia war schon vorher in ihre Kammer geflüchtet.
Die Schlägerei eskalierte währenddessen weiter. Beide hatten