»Hatte er keine Freundin?«
»Dr. Wilfried Brauers war mit seinem Job liiert. Ansonsten Affären. Nichts Bedeutendes.«
»Und aktuell?«
»Keine Ahnung. Irgendwas lief immer. Wir haben das Thema ausgeklammert.«
»Warum?«
»Weil wir selbst mal kurz zusammen waren. Damit kamen wir klar. War alles erledigt. Trauerarbeit. Wenn Sie verstehen. Sie erfahren es ja sowieso.«
»Trauerarbeit? Dann können Sie ja jetzt weitermachen.«
»Find ich geschmacklos von Ihnen.«
»Frau Schnell, wir ermitteln. Ihr Chef hing heute Morgen an einer Brücke in der Eifel. Alles sehr unangenehm. Vor allem für ihn. Wir ziehen Ihnen alles aus der Nase.«
»Hören Sie! Vor wenigen Stunden habe ich Wilfried noch lebendig gesehen. Jetzt kommen Sie rein, quatschen von Mord oder Selbstmord und wollen von mir wissen, wer ihn umgebracht haben könnte. Meine Existenz ist am Arsch! Seine Alte in Hoboken erbt alles. Ich steh auf der Straße und kann bei irgendeinem Bürofuzzi Exceldateien für Mindestlohn tippen. Soll ich jetzt Hurra rufen und Ihnen eine Mörderliste geben?«
»Frau Schnell, so haben wir das nicht gemeint. Je mehr Sie uns sagen, umso schneller können wir den Fall aufklären.«
»Dann klären Sie mal auf. Und lassen Sie mich in Ruhe. Man verliert nicht einen Menschen wie ein altes Portemonnaie. Wir kannten uns über 20 Jahre.«
»Rufen Sie uns bitte an, wenn Ihnen etwas einfällt. Sie erreichen uns immer.«
»Den Terminkalender von Dr. Brauers. Wo finden wir den?«
»War in seinem Handy und die geschäftlichen Termine auf meinem PC im Büro. Passwort ›Wilfried2003‹.«
Fett betrachtete ihre lackierten Fingernägel, die verweinten Augen, die blonden Strähnen. Wenigstens kein Nagelstudio, dachte er. Ob sie viele Tattoos hat? Er sah nur am linken Fußgelenk einen Buchstaben. Sah nach einem W aus. Für Wilfried? Die einsamen Abende im Büro konnte er sich gut vorstellen. Von ihr ging eine durchdringende erotische Ausstrahlung aus. Es knisterte. Ob Schmelzer das auch spürte? Der Kollege schaute interessiert die Inneneinrichtung an. Wahrscheinlich holte er sich Ideen für sein Fertighaus am Steppenberg. Er reichte Marion Schnell die Hand. Selbst da noch spürte er das Kribbeln, die Ausstrahlung einer lebensfrohen und verdammt attraktiven Frau Ende 30, Anfang 40.
Bäckerball – Todesball
Fett und Schmelzer fuhren zum Eurogress. Die Aschenbecher vor dem Kongressgebäude waren noch voller Kippen. Das Casino nebenan schon lange geschlossen. Eine Sternstunde der Stadtentwicklung. Irgendwann sollte sogar ein Nachbau der Sixtinischen Kapelle da rein. Stand in der Zeitung und war kein Aprilscherz. Johannes Beaucamp, der Hausmeister, öffnete. Ferdi Scholl, Technikbeauftragter, kam aus Richtung Europasaal auf sie zu. Er trug einen grauen Kittel wie sein Kollege Hausmeister.
»Tag, die Herren. Sie kommen wegen des Bäckerballs?«
»Fett, Schmelzer. Kripo Aachen. Haben Sie Kameras installiert?«
»Kameras? Ja, aber nur hintenrum. Für die Zufahrt. Ist ja stockdunkel. Wir hatten Einbruchsversuche.«
»Nicht hier vorne oder im Eingangsbereich zu den Sälen?«
»Datenschutz! Da macht uns die Politik im Betriebsausschuss die Hölle heiß. Soll keiner sehen, wer hier feiert.«
»Und alle Gäste kommen hier rein und gehen hier raus?«
»Gäste ja. Künstler hinten.«
»Das war es.«
»Na dann. Heute Abend ist wieder Bäckerball. Wenn Sie noch nichts vorhaben. Sind noch wenige Karten frei.«
»Wir melden uns. Mein Kollege steht mehr auf veganen und alternativen Karneval.«
Schmelzer schaute überrascht. Wusste er von sich gar nicht.
Schneeregen setzte ein. Der Himmel zeigte sich geschlossen grau. Ein kalter Wind fegte durch Aachen. Sie fuhren den kurzen Weg zum Polizeipräsidium, ohne ein Wort zu wechseln. Den Samstag hatten sie sich anders vorgestellt. Schmelzer wollte mit Sohn und Frau einkaufen. Fett hatte sich auf ausgedehnte Zeitungslektüre und ein zweites Frühstück im »Café zum Mohren« gefreut. Jetzt hockten sie vor einer Filterkaffeemaschine im Büro und trugen die Fakten zusammen.
»Keine Spuren in Vogelsang. Niemand hat etwas mitbekommen. Keine Kamerabilder. Wir prüfen alle Radaranlagen auf dem Weg von Aachen nach Vogelsang. In Roetgen blitzt es an allen Ecken. Frühschwimmer haben nichts gesehen. Irgendwann nach 23 Uhr ist Brauers vom Bäckerball verschwunden. Ob alleine oder in Begleitung, wissen wir nicht. Wir checken alle vom Promitisch. Kümmern Sie sich drum, Schmelzer. Rufen Sie den Bäckerballpräsidenten an oder wen auch immer. Wir müssen wissen, mit wem Brauers am Tisch saß. Wer hat ihn zuletzt gesehen? Da gibt es auch Kellner, die für die Tische zuständig sind. Auch die müssen wir überprüfen. Ich brauch jetzt ’nen Kaffee.«
»Ich auch.«
Schmelzer telefonierte und trug langsam die Sitzordnung am Prominententisch zusammen. So verging sein Samstagnachmittag. Sechs Personen saßen am Promitisch beim Bäckerball am Freitagabend. Vom Vorstand der Sparkasse Aachen das Ehepaar Rosenstern, aus dem Festkomitee des Bäckerballs der stellvertretende Vorsitzende und Erfinder der Rundprinte, Bäckermeister Ludwig Krützen, die Vorsitzende des Sozialwerks christliche Nächstenliebe, Frau Dr. Roswitha Sänger-Hagelschlag, der Geschäftsführer von Aachen Aix-Port-Import, Herbert Johnen, und eben Dr. Brauers selig.
Schmelzer zeichnete die Sitzordnung nach. Der überaus hilfsbereite Geschäftsführer des Vereins Bäckerball e.V. konnte die Platzierung rekonstruieren. Nun galt es, Verbindungen zu checken und die Tischnachbarn zu befragen.
Export/Import
Für Herbert Johnen, den alten Junggesellen, standen Export und Import im Mittelpunkt des Lebens, seit er von seinem Vater einen kleinen Kolonialwarenladen geerbt hatte. Er wohnte irgendwo im Südviertel. Nach 20 Minuten traf er mit seinem alten Daimler am Präsidium ein. Johnen schob seine Wampe ungefähr einen halben Meter vor seinem Kopf auf Fett zu. Ganz merkwürdige Gestalt, dachte Fett. Blaues Sakko, goldene Knöpfe, altes Einstecktuch, Schuppen auf den Schultern.
»Tag, die Herren, was ist denn los?«
»Herr Johnen, danke, dass Sie direkt kommen konnten. Am Tag nach dem Bäckerball.«
»Sie sagten etwas von Brauers und Unfall. Also bitte.«
»Letal. Ja, ein Todesfall. Sie haben ihn zuletzt gesehen.«
»Todesfall, zuletzt gesehen? Meine Herren, bin ich schon angeklagt? Habe ich ihn in die Pau gestoßen?« Er lachte trocken, leicht kränklich, alter, abgestandener Atem.
»Sie können uns vielleicht sehr helfen, Herr Johnen. Wann haben Sie Dr. Brauers zuletzt gesehen?«
»Tee hab ich gestern nicht getrunken. Um Mitternacht oder so. Kurz vor Programmschluss. Ja, genau. Ich erinnere mich. Er sagte, dass er mal an die frische Luft müsse. Konnte ich gut verstehen. Wissen Sie, die Luft, ja die Luft. Die ist immer so schlecht. Alle schwitzen. Dann die Musik. Also ich konnte das gut verstehen.«
»Und dann?«
»Was und dann? Dann ist er nicht mehr gekommen.«
»Haben Sie sich nicht gewundert?«
»Nein, nein, es ging dem Ende zu. Man konnte kaum ein Wort wechseln. Und Brauers, der war eh eigen. Also er ging und kam. Das war so seine Art. Was ist denn überhaupt passiert?«
»Brauers hing heute Morgen an einer Brücke in der Eifel.«
»An einer Brücke in der Eifel! Mit so etwas scherzt man nicht.« Die Neugier konnte er kaum zügeln. Er stand auf und kam so nah an Fett heran, dass die Intimzone Alarmsignale abgab. Viel zu nahe stand er vor Fett. Leicht